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Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.

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komische Muse, giebt ihr einen heiter phantastischen Schwung und ihren pgo_371.002
gelungenen Wendungen eine dem Gedächtniß der Nation sich einprägende pgo_371.003
Form. Auf der andern Seite werden solche mehr plastische Formen dazu pgo_371.004
dienen, unsere komische Muse von der stereotypen Heine'schen Manier zu pgo_371.005
befreien, an welcher sie krankt. Jn Otto Roquette's "Waldmeisters pgo_371.006
Brautfahrt" liegt ein ansprechender Versuch in dieser Gattung vor.

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Das größere satyrische Thierepos, das im Wesentlichen allegorisch pgo_371.008
ist, indem in ihm die Thiere als personificirte Eigenschaften auftreten, hat pgo_371.009
im alten "Reinecke Fuchs" sein klassisches Muster, das Goethe, Glaßbrenner pgo_371.010
u. A. in verschiedener Weise zu modernisiren suchten. Ueber pgo_371.011
diese feststehenden Typen wird eine neuere Erfindung nicht hinausgehn pgo_371.012
können, wenn auch Heine's "Atta Troll" eine geistvolle Variation auf pgo_371.013
das alte Thema ist. Als Gipfelpunkt des komischen Epos bezeichnen wir pgo_371.014
das humoristische, das in der derb-volksthümlichen Holzschnittmanier pgo_371.015
der "Jobsiade," als genialer Welt- und Lebensspiegel aber in Byron's pgo_371.016
"Don Juan" seine Muster findet. Hier kann auch die ernstere epische pgo_371.017
Muse ihren ganzen dichterischen Reichthum entfalten; hier kann ein pgo_371.018
großer Genius, ohne in die Blasirtheit des weltmüden Lords zu verfallen, pgo_371.019
ein echt modernes Weltepos dichten, das künstlerischen Werth und pgo_371.020
Volksthümlichkeit vereinigt. Das Burlesk-Joviale, wie es in Glaßbrenner's pgo_371.021
"verkehrter Welt" hervortritt, hat indeß ebenfalls sein gutes Recht.



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Vierter Abschnitt.
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Die dichterische Erzählung.

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Durch die Auflösung des Kunstepos, dessen Wiedergeburt in strenger pgo_371.025
Form wir nicht nur für möglich, sondern für wünschenswerth halten, pgo_371.026
entstanden in neuer Zeit zwei beliebte epische Formen: die poetische Erzählung, pgo_371.027
in welcher die Totalität des epischen Weltbildes aufgegeben pgo_371.028
wurde, um ein einzelnes Ereigniß mit dichterischer Kunst, die aber meistens pgo_371.029
in's Lyrische übergreift, auszumalen, und der Roman, in welchem die pgo_371.030
Totalität des Weltbildes festgehalten, die künstlerische Form aber in die pgo_371.031
Breite der Prosa verflacht wurde. Beide Formen gingen indeß auch dem pgo_371.032
großen Epos zur Seite! Die Erzählung ist die selbstständig losgelöste

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[371/0393] pgo_371.001 komische Muse, giebt ihr einen heiter phantastischen Schwung und ihren pgo_371.002 gelungenen Wendungen eine dem Gedächtniß der Nation sich einprägende pgo_371.003 Form. Auf der andern Seite werden solche mehr plastische Formen dazu pgo_371.004 dienen, unsere komische Muse von der stereotypen Heine'schen Manier zu pgo_371.005 befreien, an welcher sie krankt. Jn Otto Roquette's „Waldmeisters pgo_371.006 Brautfahrt“ liegt ein ansprechender Versuch in dieser Gattung vor. pgo_371.007 Das größere satyrische Thierepos, das im Wesentlichen allegorisch pgo_371.008 ist, indem in ihm die Thiere als personificirte Eigenschaften auftreten, hat pgo_371.009 im alten „Reinecke Fuchs“ sein klassisches Muster, das Goethe, Glaßbrenner pgo_371.010 u. A. in verschiedener Weise zu modernisiren suchten. Ueber pgo_371.011 diese feststehenden Typen wird eine neuere Erfindung nicht hinausgehn pgo_371.012 können, wenn auch Heine's „Atta Troll“ eine geistvolle Variation auf pgo_371.013 das alte Thema ist. Als Gipfelpunkt des komischen Epos bezeichnen wir pgo_371.014 das humoristische, das in der derb-volksthümlichen Holzschnittmanier pgo_371.015 der „Jobsiade,“ als genialer Welt- und Lebensspiegel aber in Byron's pgo_371.016 „Don Juan“ seine Muster findet. Hier kann auch die ernstere epische pgo_371.017 Muse ihren ganzen dichterischen Reichthum entfalten; hier kann ein pgo_371.018 großer Genius, ohne in die Blasirtheit des weltmüden Lords zu verfallen, pgo_371.019 ein echt modernes Weltepos dichten, das künstlerischen Werth und pgo_371.020 Volksthümlichkeit vereinigt. Das Burlesk-Joviale, wie es in Glaßbrenner's pgo_371.021 „verkehrter Welt“ hervortritt, hat indeß ebenfalls sein gutes Recht. pgo_371.022 Vierter Abschnitt. pgo_371.023 Die dichterische Erzählung. pgo_371.024 Durch die Auflösung des Kunstepos, dessen Wiedergeburt in strenger pgo_371.025 Form wir nicht nur für möglich, sondern für wünschenswerth halten, pgo_371.026 entstanden in neuer Zeit zwei beliebte epische Formen: die poetische Erzählung, pgo_371.027 in welcher die Totalität des epischen Weltbildes aufgegeben pgo_371.028 wurde, um ein einzelnes Ereigniß mit dichterischer Kunst, die aber meistens pgo_371.029 in's Lyrische übergreift, auszumalen, und der Roman, in welchem die pgo_371.030 Totalität des Weltbildes festgehalten, die künstlerische Form aber in die pgo_371.031 Breite der Prosa verflacht wurde. Beide Formen gingen indeß auch dem pgo_371.032 großen Epos zur Seite! Die Erzählung ist die selbstständig losgelöste

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Zitationshilfe: Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottschall_poetik_1858/393>, abgerufen am 22.11.2024.