Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_372.001 pgo_372.006 1. Die strengepische Erzählung. pgo_372.007 pgo_372.001 pgo_372.006 1. Die strengepische Erzählung. pgo_372.007 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0394" n="372"/><lb n="pgo_372.001"/><hi rendition="#g">epische Episode</hi> und als solche des epischen Geistes und Styls theilhaft. <lb n="pgo_372.002"/> Dennoch hat die neuere Zeit, die sie mit großer Vorliebe gepflegt, <lb n="pgo_372.003"/> das Lyrische in aller Fülle mit in sie aufgenommen, während das Didaktische <lb n="pgo_372.004"/> schon von den Griechen und Römern mit ihr verschmolzen wurde. <lb n="pgo_372.005"/> Wir wollen ihre Formen in aller Kürze betrachten.</p> <div n="5"> <lb n="pgo_372.006"/> <head> <hi rendition="#c">1. Die strengepische Erzählung.</hi> </head> <p><lb n="pgo_372.007"/> Die <hi rendition="#g">Jdylle</hi> (<foreign xml:lang="grc">εἰδυλλιον </foreign>, kleines Bild) vertritt vorzugsweise diese <lb n="pgo_372.008"/> Gattung in allen Zeitaltern. Einfachheit der Handlung, plastische Wahrheit <lb n="pgo_372.009"/> der Darstellung sind ihr ebenso wesentlich, wie jene <hi rendition="#g">arkadische <lb n="pgo_372.010"/> Beseligung,</hi> die aus der unbefangenen Einheit der Natur und <lb n="pgo_372.011"/> Kultur hervorgeht. Jn der vollkommenen Harmlosigkeit der Existenz <lb n="pgo_372.012"/> besteht der ganze Reiz der Jdylle. Wohl sind Konflikte nicht ausgeschlossen, <lb n="pgo_372.013"/> aber sie dürfen nicht den Rahmen des Genrebildes sprengen. <lb n="pgo_372.014"/> Deshalb sind die meisten modernen „Dorfgeschichten“ keine Jdyllen, weil <lb n="pgo_372.015"/> sie Konflikte einer ausgebildeten Kulturwelt, Konflikte juristischer und <lb n="pgo_372.016"/> confessioneller Art, rohe, wüste Leidenschaften u. dgl. m. mit in ihren <lb n="pgo_372.017"/> Kreis hinübernehmen. Der frische Duft der Ackerfurche allein kann den <lb n="pgo_372.018"/> arkadischen Hauch nicht ersetzen. Es fehlt das Vollglück, die Harmonie <lb n="pgo_372.019"/> innerhalb enger Schranken! Eher verträgt die Jdylle einen leisen komischen <lb n="pgo_372.020"/> Anstrich — man denke z. B. an den verliebten Alten <hi rendition="#g">Aegon</hi> in <hi rendition="#g">Theokrit's</hi> <lb n="pgo_372.021"/> Rinderhirten. Reizende humoristische Prosaidyllen von der größten <lb n="pgo_372.022"/> geistigen Tiefe, deren diese Form fähig ist, hat <hi rendition="#g">Jean Paul</hi> geschrieben. <lb n="pgo_372.023"/> Auch einzelne Genrebilder aus <hi rendition="#g">Auerbach's</hi> ersten Dorfgeschichten sind <lb n="pgo_372.024"/> treffliche idyllische Burlesken. Das arkadische Vollglück der Jdylle darf <lb n="pgo_372.025"/> indeß nicht in die klare Empfindung ihrer Helden gelegt werden, sondern <lb n="pgo_372.026"/> nur wie ein leiser Hauch epischer Stimmung um das plastische Bild <lb n="pgo_372.027"/> zittern. Wir selbst empfinden uns in jene objektiven Situationsbilder <lb n="pgo_372.028"/> hinein, und der Kontrast einer einfach kindlichen Welt, die sie darstellen, <lb n="pgo_372.029"/> mit den verwickelten Verhältnissen, in denen wir uns bewegen, kann in <lb n="pgo_372.030"/> uns eine elegische Rührung hervorrufen. <hi rendition="#g">Geßner</hi> griff hierin fehl, <lb n="pgo_372.031"/> indem er seinem Helden eine geschmückte Sentimentalität ankränkelte, <lb n="pgo_372.032"/> welche an die arkadischen Komödieen des Hofes von Trianon erinnert. <lb n="pgo_372.033"/> Die neue Jdylle braucht sich nicht, wie <hi rendition="#g">Theokrit, Bion, Moschus, <lb n="pgo_372.034"/> Virgil,</hi> auf das ländliche Leben der Fischer, Schnitter, Hirten zu </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [372/0394]
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epische Episode und als solche des epischen Geistes und Styls theilhaft. pgo_372.002
Dennoch hat die neuere Zeit, die sie mit großer Vorliebe gepflegt, pgo_372.003
das Lyrische in aller Fülle mit in sie aufgenommen, während das Didaktische pgo_372.004
schon von den Griechen und Römern mit ihr verschmolzen wurde. pgo_372.005
Wir wollen ihre Formen in aller Kürze betrachten.
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1. Die strengepische Erzählung. pgo_372.007
Die Jdylle (εἰδυλλιον , kleines Bild) vertritt vorzugsweise diese pgo_372.008
Gattung in allen Zeitaltern. Einfachheit der Handlung, plastische Wahrheit pgo_372.009
der Darstellung sind ihr ebenso wesentlich, wie jene arkadische pgo_372.010
Beseligung, die aus der unbefangenen Einheit der Natur und pgo_372.011
Kultur hervorgeht. Jn der vollkommenen Harmlosigkeit der Existenz pgo_372.012
besteht der ganze Reiz der Jdylle. Wohl sind Konflikte nicht ausgeschlossen, pgo_372.013
aber sie dürfen nicht den Rahmen des Genrebildes sprengen. pgo_372.014
Deshalb sind die meisten modernen „Dorfgeschichten“ keine Jdyllen, weil pgo_372.015
sie Konflikte einer ausgebildeten Kulturwelt, Konflikte juristischer und pgo_372.016
confessioneller Art, rohe, wüste Leidenschaften u. dgl. m. mit in ihren pgo_372.017
Kreis hinübernehmen. Der frische Duft der Ackerfurche allein kann den pgo_372.018
arkadischen Hauch nicht ersetzen. Es fehlt das Vollglück, die Harmonie pgo_372.019
innerhalb enger Schranken! Eher verträgt die Jdylle einen leisen komischen pgo_372.020
Anstrich — man denke z. B. an den verliebten Alten Aegon in Theokrit's pgo_372.021
Rinderhirten. Reizende humoristische Prosaidyllen von der größten pgo_372.022
geistigen Tiefe, deren diese Form fähig ist, hat Jean Paul geschrieben. pgo_372.023
Auch einzelne Genrebilder aus Auerbach's ersten Dorfgeschichten sind pgo_372.024
treffliche idyllische Burlesken. Das arkadische Vollglück der Jdylle darf pgo_372.025
indeß nicht in die klare Empfindung ihrer Helden gelegt werden, sondern pgo_372.026
nur wie ein leiser Hauch epischer Stimmung um das plastische Bild pgo_372.027
zittern. Wir selbst empfinden uns in jene objektiven Situationsbilder pgo_372.028
hinein, und der Kontrast einer einfach kindlichen Welt, die sie darstellen, pgo_372.029
mit den verwickelten Verhältnissen, in denen wir uns bewegen, kann in pgo_372.030
uns eine elegische Rührung hervorrufen. Geßner griff hierin fehl, pgo_372.031
indem er seinem Helden eine geschmückte Sentimentalität ankränkelte, pgo_372.032
welche an die arkadischen Komödieen des Hofes von Trianon erinnert. pgo_372.033
Die neue Jdylle braucht sich nicht, wie Theokrit, Bion, Moschus, pgo_372.034
Virgil, auf das ländliche Leben der Fischer, Schnitter, Hirten zu
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