Gottschall, Rudolph: Poetik. Die Dichtkunst und ihre Technik [v]om Standpunkte der Neuzeit. Breslau, 1858.pgo_455.001 pgo_455.010 Vierter Abschnitt. pgo_455.011Das Lustspiel, das Schauspiel und die Posse. pgo_455.012 pgo_455.001 pgo_455.010 Vierter Abschnitt. pgo_455.011Das Lustspiel, das Schauspiel und die Posse. pgo_455.012 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0477" n="455"/><lb n="pgo_455.001"/> aber soll sich aus der kriminalistischen Weinerlichkeit des Schauspiels, wie <lb n="pgo_455.002"/> es bei den Engländer Lillo und Moore, bei Diderot, Jffland und Kotzebue <lb n="pgo_455.003"/> herrscht, zur Größe eines gesellschaftlichen Konfliktes erheben. Schiller's <lb n="pgo_455.004"/> „Räuber“ und „Kabale und Liebe“ haben auch hierin die Bahn gebrochen, <lb n="pgo_455.005"/> auf welcher Hebbel's „<hi rendition="#g">Maria Magdalena</hi>“ und andere Stücke folgten. <lb n="pgo_455.006"/> Die Kämpfe der Leidenschaft und des Gedankens, die tiefsten psychologischen <lb n="pgo_455.007"/> Probleme können sowohl auf diesem Hintergrund, als auch auf <lb n="pgo_455.008"/> einem mehr <hi rendition="#g">historischen</hi> und <hi rendition="#g">romantischen</hi> zum Austrag gebracht <lb n="pgo_455.009"/> werden. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> </div> <div n="4"> <lb n="pgo_455.010"/> <head> <hi rendition="#c">Vierter Abschnitt.</hi> </head> <lb n="pgo_455.011"/> <head> <hi rendition="#c">Das Lustspiel, das Schauspiel und die Posse.</hi> </head> <p><lb n="pgo_455.012"/> Wenn uns die Tragödie den Helden im erhabenen Kampf mit dem <lb n="pgo_455.013"/> Schicksal zeigt, sodaß in seinem Untergange die sittliche Jdee triumphirt: <lb n="pgo_455.014"/> so zeigt uns die Komödie den Menschen in den heitern Verwickelungen <lb n="pgo_455.015"/> von Absicht und Zufall, aus denen sich am Schluß die Harmonie der <lb n="pgo_455.016"/> Existenz wiederherstellt. Die Beruhigung, daß diese Welt des Scheines <lb n="pgo_455.017"/> doch auch ihren realen Schwerpunkt hat, auf welchem wir mit Behagen <lb n="pgo_455.018"/> ausruhn können, ist die ideale Schlußwirkung der Komödie, ohne welche <lb n="pgo_455.019"/> sie sich in's Phantastische und Bodenlose verflüchtigt. Die Zwecke des <lb n="pgo_455.020"/> Helden müssen in der Komödie <hi rendition="#g">erreicht</hi> werden, wie sich auch der Zufall <lb n="pgo_455.021"/> und die Jntrigue dagegen wehre. Wohl darf die Jronie dabei bestehn, <lb n="pgo_455.022"/> daß diese Zwecke nichtig sind und gerade, wenn sie erreicht worden, sich in <lb n="pgo_455.023"/> ihrer ganzen Nichtigkeit offenbaren. Doch ebensogut können diese Zwecke <lb n="pgo_455.024"/> eine reale Gültigkeit haben und sich durchsetzen in einer nichtigen Welt, <lb n="pgo_455.025"/> die sich im Verlaufe der Handlung in heiterer Weise auflöst. Das Behagen <lb n="pgo_455.026"/> der Komödie kann nicht aus der Selbstgefälligkeit der Phantasie hervorgehn, <lb n="pgo_455.027"/> die mit der ganzen realen Welt ein willkürliches Spiel treibt, <lb n="pgo_455.028"/> sondern nur aus dem Bewußtsein, daß dieser von allen Kleinlichkeiten <lb n="pgo_455.029"/> und Nichtigkeiten, von hundert Widersprüchen erfüllten und bewegten <lb n="pgo_455.030"/> Welt doch die Jdee zu Grunde liegt, die uns einen sichern Halt giebt. <lb n="pgo_455.031"/> So vertiefen wir uns mit doppeltem Behagen in die lustige Bewegung <lb n="pgo_455.032"/> der Wirklichkeit, in ihre bacchantischen Wirbel, weil wir uns dabei sicher <lb n="pgo_455.033"/> fühlen auf dem Ankergrunde des Ewigen. Jn der Tragödie sympathisiren </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [455/0477]
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aber soll sich aus der kriminalistischen Weinerlichkeit des Schauspiels, wie pgo_455.002
es bei den Engländer Lillo und Moore, bei Diderot, Jffland und Kotzebue pgo_455.003
herrscht, zur Größe eines gesellschaftlichen Konfliktes erheben. Schiller's pgo_455.004
„Räuber“ und „Kabale und Liebe“ haben auch hierin die Bahn gebrochen, pgo_455.005
auf welcher Hebbel's „Maria Magdalena“ und andere Stücke folgten. pgo_455.006
Die Kämpfe der Leidenschaft und des Gedankens, die tiefsten psychologischen pgo_455.007
Probleme können sowohl auf diesem Hintergrund, als auch auf pgo_455.008
einem mehr historischen und romantischen zum Austrag gebracht pgo_455.009
werden.
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Vierter Abschnitt. pgo_455.011
Das Lustspiel, das Schauspiel und die Posse. pgo_455.012
Wenn uns die Tragödie den Helden im erhabenen Kampf mit dem pgo_455.013
Schicksal zeigt, sodaß in seinem Untergange die sittliche Jdee triumphirt: pgo_455.014
so zeigt uns die Komödie den Menschen in den heitern Verwickelungen pgo_455.015
von Absicht und Zufall, aus denen sich am Schluß die Harmonie der pgo_455.016
Existenz wiederherstellt. Die Beruhigung, daß diese Welt des Scheines pgo_455.017
doch auch ihren realen Schwerpunkt hat, auf welchem wir mit Behagen pgo_455.018
ausruhn können, ist die ideale Schlußwirkung der Komödie, ohne welche pgo_455.019
sie sich in's Phantastische und Bodenlose verflüchtigt. Die Zwecke des pgo_455.020
Helden müssen in der Komödie erreicht werden, wie sich auch der Zufall pgo_455.021
und die Jntrigue dagegen wehre. Wohl darf die Jronie dabei bestehn, pgo_455.022
daß diese Zwecke nichtig sind und gerade, wenn sie erreicht worden, sich in pgo_455.023
ihrer ganzen Nichtigkeit offenbaren. Doch ebensogut können diese Zwecke pgo_455.024
eine reale Gültigkeit haben und sich durchsetzen in einer nichtigen Welt, pgo_455.025
die sich im Verlaufe der Handlung in heiterer Weise auflöst. Das Behagen pgo_455.026
der Komödie kann nicht aus der Selbstgefälligkeit der Phantasie hervorgehn, pgo_455.027
die mit der ganzen realen Welt ein willkürliches Spiel treibt, pgo_455.028
sondern nur aus dem Bewußtsein, daß dieser von allen Kleinlichkeiten pgo_455.029
und Nichtigkeiten, von hundert Widersprüchen erfüllten und bewegten pgo_455.030
Welt doch die Jdee zu Grunde liegt, die uns einen sichern Halt giebt. pgo_455.031
So vertiefen wir uns mit doppeltem Behagen in die lustige Bewegung pgo_455.032
der Wirklichkeit, in ihre bacchantischen Wirbel, weil wir uns dabei sicher pgo_455.033
fühlen auf dem Ankergrunde des Ewigen. Jn der Tragödie sympathisiren
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