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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Vorrede.
begegnen, will ich nach dem vernünftigen Anschlage eines
geschickten und scharfsinnigen Critici (*) unserer Zeit,
kürtzlich diejenigen Umstände erzehlen, so mich nach und
nach zu diesem Entschlusse, der meinem eigenen Geständ-
nisse nach fast gar zu kühn und verwegen ist, gebracht ha-
ben; und also eine kurtze Historie meiner Dicht-Kunst
machen, die zu desto besserm Verstande derselben viel bey-
tragen wird.

Wie ich von Jugend auf allezeit ein grosses Vergnü-
gen an Versen gehabt, und selbst durch das Exempel mei-
nes eigenen Vaters dazu aufgemuntert worden: also
fand sich 1714, gleich im Anfange meiner Academischen
Jahre, eine Gelegenheit, ein sogenanntes Collegium
Poeticum
zu hören. Mein Lehrer war der nunmehro
seel. Prof. Rohde zu Königsberg, ein sehr geschickter
Mann, der selbst einen artigen Vers schrieb; und das
Buch, so er zum Grunde legte, war Menantes allerneuste
Art zur galanten Poesie zu gelangen. Als nachmahls
der itzige Kön. Preuß. Hofrath und Leib-Medicus, Hr.
D. Pietsch die Poetische Profeßion daselbst erhielte, und
sonderlich das Gedichte auf den Printz Eugen heraus
gab, bekam ich noch einen grössern Trieb zur Poesie: weil
sein Exempel dazumahl bey jedermann viel Eindruck
machte. Jch hatte nach der Zeit die Ehre mit demselben
bekannt zu werden, und seine Censuren über meine Klei-
nigkeiten, so offt als ich es wünschete, zu hören. Dieser
wackere Mann verstattete mir allezeit einen freyen Zu-
tritt, und ihm habe ichs zu dancken, daß ich Canitzen und
Horatzen mit Verstande zu lesen angefangen: weil er
mir des erstern Satire von der Poesie offt auswendig

her-
(*) Siehe des berühmten Hn. Prof. Stolles Vorrede zu seiner Historie
der Gelahrheit, in der neuern Auflage.

Vorrede.
begegnen, will ich nach dem vernuͤnftigen Anſchlage eines
geſchickten und ſcharfſinnigen Critici (*) unſerer Zeit,
kuͤrtzlich diejenigen Umſtaͤnde erzehlen, ſo mich nach und
nach zu dieſem Entſchluſſe, der meinem eigenen Geſtaͤnd-
niſſe nach faſt gar zu kuͤhn und verwegen iſt, gebracht ha-
ben; und alſo eine kurtze Hiſtorie meiner Dicht-Kunſt
machen, die zu deſto beſſerm Verſtande derſelben viel bey-
tragen wird.

Wie ich von Jugend auf allezeit ein groſſes Vergnuͤ-
gen an Verſen gehabt, und ſelbſt durch das Exempel mei-
nes eigenen Vaters dazu aufgemuntert worden: alſo
fand ſich 1714, gleich im Anfange meiner Academiſchen
Jahre, eine Gelegenheit, ein ſogenanntes Collegium
Poeticum
zu hoͤren. Mein Lehrer war der nunmehro
ſeel. Prof. Rohde zu Koͤnigsberg, ein ſehr geſchickter
Mann, der ſelbſt einen artigen Vers ſchrieb; und das
Buch, ſo er zum Grunde legte, war Menantes allerneuſte
Art zur galanten Poeſie zu gelangen. Als nachmahls
der itzige Koͤn. Preuß. Hofrath und Leib-Medicus, Hr.
D. Pietſch die Poetiſche Profeßion daſelbſt erhielte, und
ſonderlich das Gedichte auf den Printz Eugen heraus
gab, bekam ich noch einen groͤſſern Trieb zur Poeſie: weil
ſein Exempel dazumahl bey jedermann viel Eindruck
machte. Jch hatte nach der Zeit die Ehre mit demſelben
bekannt zu werden, und ſeine Cenſuren uͤber meine Klei-
nigkeiten, ſo offt als ich es wuͤnſchete, zu hoͤren. Dieſer
wackere Mann verſtattete mir allezeit einen freyen Zu-
tritt, und ihm habe ichs zu dancken, daß ich Canitzen und
Horatzen mit Verſtande zu leſen angefangen: weil er
mir des erſtern Satire von der Poeſie offt auswendig

her-
(*) Siehe des beruͤhmten Hn. Prof. Stolles Vorrede zu ſeiner Hiſtorie
der Gelahrheit, in der neuern Auflage.
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[0019] Vorrede. begegnen, will ich nach dem vernuͤnftigen Anſchlage eines geſchickten und ſcharfſinnigen Critici (*) unſerer Zeit, kuͤrtzlich diejenigen Umſtaͤnde erzehlen, ſo mich nach und nach zu dieſem Entſchluſſe, der meinem eigenen Geſtaͤnd- niſſe nach faſt gar zu kuͤhn und verwegen iſt, gebracht ha- ben; und alſo eine kurtze Hiſtorie meiner Dicht-Kunſt machen, die zu deſto beſſerm Verſtande derſelben viel bey- tragen wird. Wie ich von Jugend auf allezeit ein groſſes Vergnuͤ- gen an Verſen gehabt, und ſelbſt durch das Exempel mei- nes eigenen Vaters dazu aufgemuntert worden: alſo fand ſich 1714, gleich im Anfange meiner Academiſchen Jahre, eine Gelegenheit, ein ſogenanntes Collegium Poeticum zu hoͤren. Mein Lehrer war der nunmehro ſeel. Prof. Rohde zu Koͤnigsberg, ein ſehr geſchickter Mann, der ſelbſt einen artigen Vers ſchrieb; und das Buch, ſo er zum Grunde legte, war Menantes allerneuſte Art zur galanten Poeſie zu gelangen. Als nachmahls der itzige Koͤn. Preuß. Hofrath und Leib-Medicus, Hr. D. Pietſch die Poetiſche Profeßion daſelbſt erhielte, und ſonderlich das Gedichte auf den Printz Eugen heraus gab, bekam ich noch einen groͤſſern Trieb zur Poeſie: weil ſein Exempel dazumahl bey jedermann viel Eindruck machte. Jch hatte nach der Zeit die Ehre mit demſelben bekannt zu werden, und ſeine Cenſuren uͤber meine Klei- nigkeiten, ſo offt als ich es wuͤnſchete, zu hoͤren. Dieſer wackere Mann verſtattete mir allezeit einen freyen Zu- tritt, und ihm habe ichs zu dancken, daß ich Canitzen und Horatzen mit Verſtande zu leſen angefangen: weil er mir des erſtern Satire von der Poeſie offt auswendig her- (*) Siehe des beruͤhmten Hn. Prof. Stolles Vorrede zu ſeiner Hiſtorie der Gelahrheit, in der neuern Auflage.

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/19>, abgerufen am 03.12.2024.