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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von den Figuren in der Poesie.
an! Hey! Sa, Sa! Ha! u. a. m. Allein es werden so
viel andre Redensarten dazu gebraucht, daß ihre Zahl nicht
zu bestimmen ist. Z. E. Jammer! Lustig! Frisch auf! Her-
zu! Jch Armer! Mich unglückseeligen! Trotz sey dir gebo-
ten etc. etc. Ein Exempel giebt mir Flemming p. 201.

Als aber gleich der Krieg,
Erbarm es GOtt, der Krieg! mit welchem wir uns Deutschen,
Von so viel Jahren her nun gantz zu tode peitschen,
Mein liebes Meißen traf.

Canitz p. 43. der neuen Auflage.

O kindischer und toller Wahn,
Der bey mir eingerissen!

Opitz im IVten Buch der Poet. W. schreibt an Nüßlern,
von seiner Flavien:

Ach! daß ihr frecher Sinn
Mich, der ich ihrer Huld vielmehr als würdig bin,
So wenig gelten läßt! ach, ach! daß kein Vergießen
Der Thränen, und kein Wort, kein Seufzen etc.

Die andre Figur ist der Zweifel, (Dubitatio) damit man
entweder bey sich ansteht, ob eins oder das andre zu glauben
oder zu thun sey; oder sich doch so stellet, als ob man sich
nicht entschliessen könnte. Die Hefftigkeit der Gemüths-
Bewegungen setzet uns offt in den Stand, daß man weder
aus noch ein weiß, denn ehe man mit dem einen Entschlusse
noch fertig ist; fällt uns augenblicklich was anders ein, so
das vorige wieder zunichte macht. Canitz giebt uns ein
schön Exempel in der Ode auf seine Doris. Er hat in der
vorhergehenden Strophe die verflossenen Stunden zurücke
geruffen, besinnt sich aber bald anders und singt.

Aber nein! eilt nicht zurücke,
Sonst entfernen eure Blicke
Mir den längstgewünschten Tod,
Und benehmen nicht die Noth.
Doch könnt ihr mir Doris weisen;
Eilet fort! Nein! haltet still!
Jhr mögt warten, ihr mögt reisen,
Jch weiß selbst nicht was ich will.

Zu-
R 3

Von den Figuren in der Poeſie.
an! Hey! Sa, Sa! Ha! u. a. m. Allein es werden ſo
viel andre Redensarten dazu gebraucht, daß ihre Zahl nicht
zu beſtimmen iſt. Z. E. Jammer! Luſtig! Friſch auf! Her-
zu! Jch Armer! Mich ungluͤckſeeligen! Trotz ſey dir gebo-
ten ꝛc. ꝛc. Ein Exempel giebt mir Flemming p. 201.

Als aber gleich der Krieg,
Erbarm es GOtt, der Krieg! mit welchem wir uns Deutſchen,
Von ſo viel Jahren her nun gantz zu tode peitſchen,
Mein liebes Meißen traf.

Canitz p. 43. der neuen Auflage.

O kindiſcher und toller Wahn,
Der bey mir eingeriſſen!

Opitz im IVten Buch der Poet. W. ſchreibt an Nuͤßlern,
von ſeiner Flavien:

Ach! daß ihr frecher Sinn
Mich, der ich ihrer Huld vielmehr als wuͤrdig bin,
So wenig gelten laͤßt! ach, ach! daß kein Vergießen
Der Thraͤnen, und kein Wort, kein Seufzen ꝛc.

Die andre Figur iſt der Zweifel, (Dubitatio) damit man
entweder bey ſich anſteht, ob eins oder das andre zu glauben
oder zu thun ſey; oder ſich doch ſo ſtellet, als ob man ſich
nicht entſchlieſſen koͤnnte. Die Hefftigkeit der Gemuͤths-
Bewegungen ſetzet uns offt in den Stand, daß man weder
aus noch ein weiß, denn ehe man mit dem einen Entſchluſſe
noch fertig iſt; faͤllt uns augenblicklich was anders ein, ſo
das vorige wieder zunichte macht. Canitz giebt uns ein
ſchoͤn Exempel in der Ode auf ſeine Doris. Er hat in der
vorhergehenden Strophe die verfloſſenen Stunden zuruͤcke
geruffen, beſinnt ſich aber bald anders und ſingt.

Aber nein! eilt nicht zuruͤcke,
Sonſt entfernen eure Blicke
Mir den laͤngſtgewuͤnſchten Tod,
Und benehmen nicht die Noth.
Doch koͤnnt ihr mir Doris weiſen;
Eilet fort! Nein! haltet ſtill!
Jhr moͤgt warten, ihr moͤgt reiſen,
Jch weiß ſelbſt nicht was ich will.

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R 3
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[261/0289] Von den Figuren in der Poeſie. an! Hey! Sa, Sa! Ha! u. a. m. Allein es werden ſo viel andre Redensarten dazu gebraucht, daß ihre Zahl nicht zu beſtimmen iſt. Z. E. Jammer! Luſtig! Friſch auf! Her- zu! Jch Armer! Mich ungluͤckſeeligen! Trotz ſey dir gebo- ten ꝛc. ꝛc. Ein Exempel giebt mir Flemming p. 201. Als aber gleich der Krieg, Erbarm es GOtt, der Krieg! mit welchem wir uns Deutſchen, Von ſo viel Jahren her nun gantz zu tode peitſchen, Mein liebes Meißen traf. Canitz p. 43. der neuen Auflage. O kindiſcher und toller Wahn, Der bey mir eingeriſſen! Opitz im IVten Buch der Poet. W. ſchreibt an Nuͤßlern, von ſeiner Flavien: Ach! daß ihr frecher Sinn Mich, der ich ihrer Huld vielmehr als wuͤrdig bin, So wenig gelten laͤßt! ach, ach! daß kein Vergießen Der Thraͤnen, und kein Wort, kein Seufzen ꝛc. Die andre Figur iſt der Zweifel, (Dubitatio) damit man entweder bey ſich anſteht, ob eins oder das andre zu glauben oder zu thun ſey; oder ſich doch ſo ſtellet, als ob man ſich nicht entſchlieſſen koͤnnte. Die Hefftigkeit der Gemuͤths- Bewegungen ſetzet uns offt in den Stand, daß man weder aus noch ein weiß, denn ehe man mit dem einen Entſchluſſe noch fertig iſt; faͤllt uns augenblicklich was anders ein, ſo das vorige wieder zunichte macht. Canitz giebt uns ein ſchoͤn Exempel in der Ode auf ſeine Doris. Er hat in der vorhergehenden Strophe die verfloſſenen Stunden zuruͤcke geruffen, beſinnt ſich aber bald anders und ſingt. Aber nein! eilt nicht zuruͤcke, Sonſt entfernen eure Blicke Mir den laͤngſtgewuͤnſchten Tod, Und benehmen nicht die Noth. Doch koͤnnt ihr mir Doris weiſen; Eilet fort! Nein! haltet ſtill! Jhr moͤgt warten, ihr moͤgt reiſen, Jch weiß ſelbſt nicht was ich will. Zu- R 3

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/289>, abgerufen am 25.11.2024.