Arten von Gedancken in Oden zu setzen. Zwar Horatii Re- gel nach würden nur wenige Classen darinnen vorkommen.
Musa dedit fidibus Diuos, puerosque diuorum, Et pugilem victorem, & equum certamine primum Et junenum curas, & libera vina referre.
Aber seine Exempel zeigen, daß er es dabey nicht bewenden lassen, indem er wohl so gar Briefe in Form der Oden ge- schrieben, ja Satiren, Gespräche und Lehr-Gedichte darinn abgefaßt, Fabeln erzehlt, sich selbst in einen Schwan verwan- delt und unzehlige andre Erfindungen darinn angebracht. Doch wenn man die Natur der Sachen ansieht, ist es wohl am besten, wenn man sich von der ersten Erfindung so wenig entfernt als möglich ist, und das Lob der Helden und Sieger, den Wein und die Liebe darinn herrschen läst.
Daraus ist nun auch leicht abzunehmen in was vor einer Schreibart die Ode abgefaßt werden müsse. Nach ihren verschiedenen Gattungen muß sich dieselbe auch ändern. Die Lob-Oden müssen in der pathetischen und feurigen, die Lehr- reichen in der scharfsinnigen, die lustigen und traurigen in der natürlichen Schreibart gemacht werden. Die Ursache sieht man leicht. Jn der ersten Art beherrscht die Bewunderung und Erstaunung den Poeten, die ihm alle Vorwürfe ver- grössert, lauter neue Bilder, Gedancken und Ausdrückungen zeuget, lauter edle Gleichnisse, reiche Beschreibungen, leb- haffte Entzückungen wircket. Kurtz, alle Schönheiten zu- sammenhäufet, die eine erhitzte Einbildungskrafft hervor bringen kan. Und dieses ist denn die so genannte Begeiste- rung, das berühmte Göttliche, so in den Oden stecken soll, weswegen Pindar so bewundert worden. Unser Günther hat wohl in dieser Art von Oden ein Meisterstück auf den Prinzen Eugen gemacht, und im Französischen ist Rousseau glücklich darinn, wie auch aus der Ode auf die Weltbezwin- ger, die Amthor übersetzt hat, schon zu sehen ist. Des la Gran- ge drey Philippische Oden auf den verstorbenen Regenten in Franckreich, sind zwar in einem gantz wiedrigen Affecte geschrieben: aber eben so feurig und so zu reden rasend, als eine von den obigen. Und das ist kein Wunder. Er hat es
ver-
Von Oden, oder Liedern.
Arten von Gedancken in Oden zu ſetzen. Zwar Horatii Re- gel nach wuͤrden nur wenige Claſſen darinnen vorkommen.
Muſa dedit fidibus Diuos, puerosque diuorum, Et pugilem victorem, & equum certamine primum Et junenum curas, & libera vina referre.
Aber ſeine Exempel zeigen, daß er es dabey nicht bewenden laſſen, indem er wohl ſo gar Briefe in Form der Oden ge- ſchrieben, ja Satiren, Geſpraͤche und Lehr-Gedichte darinn abgefaßt, Fabeln erzehlt, ſich ſelbſt in einen Schwan verwan- delt und unzehlige andre Erfindungen darinn angebracht. Doch wenn man die Natur der Sachen anſieht, iſt es wohl am beſten, wenn man ſich von der erſten Erfindung ſo wenig entfernt als moͤglich iſt, und das Lob der Helden und Sieger, den Wein und die Liebe darinn herrſchen laͤſt.
Daraus iſt nun auch leicht abzunehmen in was vor einer Schreibart die Ode abgefaßt werden muͤſſe. Nach ihren verſchiedenen Gattungen muß ſich dieſelbe auch aͤndern. Die Lob-Oden muͤſſen in der pathetiſchen und feurigen, die Lehr- reichen in der ſcharfſinnigen, die luſtigen und traurigen in der natuͤrlichen Schreibart gemacht werden. Die Urſache ſieht man leicht. Jn der erſten Art beherrſcht die Bewunderung und Erſtaunung den Poeten, die ihm alle Vorwuͤrfe ver- groͤſſert, lauter neue Bilder, Gedancken und Ausdruͤckungen zeuget, lauter edle Gleichniſſe, reiche Beſchreibungen, leb- haffte Entzuͤckungen wircket. Kurtz, alle Schoͤnheiten zu- ſammenhaͤufet, die eine erhitzte Einbildungskrafft hervor bringen kan. Und dieſes iſt denn die ſo genannte Begeiſte- rung, das beruͤhmte Goͤttliche, ſo in den Oden ſtecken ſoll, weswegen Pindar ſo bewundert worden. Unſer Guͤnther hat wohl in dieſer Art von Oden ein Meiſterſtuͤck auf den Prinzen Eugen gemacht, und im Franzoͤſiſchen iſt Rouſſeau gluͤcklich darinn, wie auch aus der Ode auf die Weltbezwin- ger, die Amthor uͤberſetzt hat, ſchon zu ſehen iſt. Des la Gran- ge drey Philippiſche Oden auf den verſtorbenen Regenten in Franckreich, ſind zwar in einem gantz wiedrigen Affecte geſchrieben: aber eben ſo feurig und ſo zu reden raſend, als eine von den obigen. Und das iſt kein Wunder. Er hat es
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Von Oden, oder Liedern.
Arten von Gedancken in Oden zu ſetzen. Zwar Horatii Re-
gel nach wuͤrden nur wenige Claſſen darinnen vorkommen.
Muſa dedit fidibus Diuos, puerosque diuorum,
Et pugilem victorem, & equum certamine primum
Et junenum curas, & libera vina referre.
Aber ſeine Exempel zeigen, daß er es dabey nicht bewenden
laſſen, indem er wohl ſo gar Briefe in Form der Oden ge-
ſchrieben, ja Satiren, Geſpraͤche und Lehr-Gedichte darinn
abgefaßt, Fabeln erzehlt, ſich ſelbſt in einen Schwan verwan-
delt und unzehlige andre Erfindungen darinn angebracht.
Doch wenn man die Natur der Sachen anſieht, iſt es wohl
am beſten, wenn man ſich von der erſten Erfindung ſo wenig
entfernt als moͤglich iſt, und das Lob der Helden und Sieger,
den Wein und die Liebe darinn herrſchen laͤſt.
Daraus iſt nun auch leicht abzunehmen in was vor einer
Schreibart die Ode abgefaßt werden muͤſſe. Nach ihren
verſchiedenen Gattungen muß ſich dieſelbe auch aͤndern. Die
Lob-Oden muͤſſen in der pathetiſchen und feurigen, die Lehr-
reichen in der ſcharfſinnigen, die luſtigen und traurigen in der
natuͤrlichen Schreibart gemacht werden. Die Urſache ſieht
man leicht. Jn der erſten Art beherrſcht die Bewunderung
und Erſtaunung den Poeten, die ihm alle Vorwuͤrfe ver-
groͤſſert, lauter neue Bilder, Gedancken und Ausdruͤckungen
zeuget, lauter edle Gleichniſſe, reiche Beſchreibungen, leb-
haffte Entzuͤckungen wircket. Kurtz, alle Schoͤnheiten zu-
ſammenhaͤufet, die eine erhitzte Einbildungskrafft hervor
bringen kan. Und dieſes iſt denn die ſo genannte Begeiſte-
rung, das beruͤhmte Goͤttliche, ſo in den Oden ſtecken ſoll,
weswegen Pindar ſo bewundert worden. Unſer Guͤnther
hat wohl in dieſer Art von Oden ein Meiſterſtuͤck auf den
Prinzen Eugen gemacht, und im Franzoͤſiſchen iſt Rouſſeau
gluͤcklich darinn, wie auch aus der Ode auf die Weltbezwin-
ger, die Amthor uͤberſetzt hat, ſchon zu ſehen iſt. Des la Gran-
ge drey Philippiſche Oden auf den verſtorbenen Regenten
in Franckreich, ſind zwar in einem gantz wiedrigen Affecte
geſchrieben: aber eben ſo feurig und ſo zu reden raſend, als
eine von den obigen. Und das iſt kein Wunder. Er hat es
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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