vermuthlich in seinem Schimpfen und Schelten ernstlicher gemeynet, als andere, die im Loben aus dem Schmeicheln ein Handwerck machen. Jn geistlichen Oden ist Simon Dach dieser Schreibart sehr mächtig gewesen, und insonderheit ist das Lied: Jch bin ja, HErr, in deiner Macht; vor ein voll- kommenes Meisterstück anzusehen.
Die lustigen Lieder, die beym Truncke oder sonst zum Schertze statt finden, müssen sowohl als die traurigen, zärtli- chen und beweglichen in der natürlichen Schreibart gemacht werden, die nicht mehr so edel, feurig und verwegen klinget; sondern mit wenigern Zierrathen zufrieden ist. Zu dieser Classe gehören denn auch die Schäferlieder; davon aber in einem besondern Capitel noch was vorkommen wird. Zum Exempel der lustigen kan Günthers Tabacks-Lied dienen, nebst verschiedenen, die in Flemmings und Opitzens Gedich- ten vorkommen. z. E. im I B. der Poet. W. des letztern steht eine an Nüßlern, und da kommt folgende Strophe vor:
Hola! gebt mir ein Glas Wein, Wasser hab ich nicht vonnöthen, Nun, es gilt dir, Bruder mein! Auf Gesundheit des Poeten, Welcher künftig mich und dich Weit soll lassen hinter sich.
Jn dieser Schreibart läßt sich auch bey Hochzeiten und andern frölichen Veranlassungen bequem ein Gedichte ver- fertigen. Von zärtlichen oder traurigen Liedern habe ich schon oben Canitzens Klagode gelobt, und itzo will ich noch Bessers Ode auf denselben Todesfall, und als er vierzig Jahr alt war, hinzusetzen. Jn geistlichen Gesängen müssen die Bußlieder und andre, wo ein trauriges Wesen herr- schet, also abgefasset werden; wie Dach, Gerhard und Francke uns gewiesen haben.
Endlich die sinnreiche Schreibart kan in moralischen Oden statt finden, ja auch in allen andern Oden, wo wir an- fangen ernsthaffte Betrachtungen anzustellen. Günthers Ode auf Graf Sporcken, ingleichen Andr. Gryphii über den Gottes-Acker, und viele in Amthors Gedichten sind hierinn
unver-
Des II Theils I Capitel
vermuthlich in ſeinem Schimpfen und Schelten ernſtlicher gemeynet, als andere, die im Loben aus dem Schmeicheln ein Handwerck machen. Jn geiſtlichen Oden iſt Simon Dach dieſer Schreibart ſehr maͤchtig geweſen, und inſonderheit iſt das Lied: Jch bin ja, HErr, in deiner Macht; vor ein voll- kommenes Meiſterſtuͤck anzuſehen.
Die luſtigen Lieder, die beym Truncke oder ſonſt zum Schertze ſtatt finden, muͤſſen ſowohl als die traurigen, zaͤrtli- chen und beweglichen in der natuͤrlichen Schreibart gemacht werden, die nicht mehr ſo edel, feurig und verwegen klinget; ſondern mit wenigern Zierrathen zufrieden iſt. Zu dieſer Claſſe gehoͤren denn auch die Schaͤferlieder; davon aber in einem beſondern Capitel noch was vorkommen wird. Zum Exempel der luſtigen kan Guͤnthers Tabacks-Lied dienen, nebſt verſchiedenen, die in Flemmings und Opitzens Gedich- ten vorkommen. z. E. im I B. der Poet. W. des letztern ſteht eine an Nuͤßlern, und da kommt folgende Strophe vor:
Hola! gebt mir ein Glas Wein, Waſſer hab ich nicht vonnoͤthen, Nun, es gilt dir, Bruder mein! Auf Geſundheit des Poeten, Welcher kuͤnftig mich und dich Weit ſoll laſſen hinter ſich.
Jn dieſer Schreibart laͤßt ſich auch bey Hochzeiten und andern froͤlichen Veranlaſſungen bequem ein Gedichte ver- fertigen. Von zaͤrtlichen oder traurigen Liedern habe ich ſchon oben Canitzens Klagode gelobt, und itzo will ich noch Beſſers Ode auf denſelben Todesfall, und als er vierzig Jahr alt war, hinzuſetzen. Jn geiſtlichen Geſaͤngen muͤſſen die Bußlieder und andre, wo ein trauriges Weſen herr- ſchet, alſo abgefaſſet werden; wie Dach, Gerhard und Francke uns gewieſen haben.
Endlich die ſinnreiche Schreibart kan in moraliſchen Oden ſtatt finden, ja auch in allen andern Oden, wo wir an- fangen ernſthaffte Betrachtungen anzuſtellen. Guͤnthers Ode auf Graf Sporcken, ingleichen Andr. Gryphii uͤber den Gottes-Acker, und viele in Amthors Gedichten ſind hierinn
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Des II Theils I Capitel
vermuthlich in ſeinem Schimpfen und Schelten ernſtlicher
gemeynet, als andere, die im Loben aus dem Schmeicheln ein
Handwerck machen. Jn geiſtlichen Oden iſt Simon Dach
dieſer Schreibart ſehr maͤchtig geweſen, und inſonderheit iſt
das Lied: Jch bin ja, HErr, in deiner Macht; vor ein voll-
kommenes Meiſterſtuͤck anzuſehen.
Die luſtigen Lieder, die beym Truncke oder ſonſt zum
Schertze ſtatt finden, muͤſſen ſowohl als die traurigen, zaͤrtli-
chen und beweglichen in der natuͤrlichen Schreibart gemacht
werden, die nicht mehr ſo edel, feurig und verwegen klinget;
ſondern mit wenigern Zierrathen zufrieden iſt. Zu dieſer
Claſſe gehoͤren denn auch die Schaͤferlieder; davon aber in
einem beſondern Capitel noch was vorkommen wird. Zum
Exempel der luſtigen kan Guͤnthers Tabacks-Lied dienen,
nebſt verſchiedenen, die in Flemmings und Opitzens Gedich-
ten vorkommen. z. E. im I B. der Poet. W. des letztern ſteht
eine an Nuͤßlern, und da kommt folgende Strophe vor:
Hola! gebt mir ein Glas Wein,
Waſſer hab ich nicht vonnoͤthen,
Nun, es gilt dir, Bruder mein!
Auf Geſundheit des Poeten,
Welcher kuͤnftig mich und dich
Weit ſoll laſſen hinter ſich.
Jn dieſer Schreibart laͤßt ſich auch bey Hochzeiten und
andern froͤlichen Veranlaſſungen bequem ein Gedichte ver-
fertigen. Von zaͤrtlichen oder traurigen Liedern habe ich
ſchon oben Canitzens Klagode gelobt, und itzo will ich noch
Beſſers Ode auf denſelben Todesfall, und als er vierzig
Jahr alt war, hinzuſetzen. Jn geiſtlichen Geſaͤngen muͤſſen
die Bußlieder und andre, wo ein trauriges Weſen herr-
ſchet, alſo abgefaſſet werden; wie Dach, Gerhard und
Francke uns gewieſen haben.
Endlich die ſinnreiche Schreibart kan in moraliſchen
Oden ſtatt finden, ja auch in allen andern Oden, wo wir an-
fangen ernſthaffte Betrachtungen anzuſtellen. Guͤnthers
Ode auf Graf Sporcken, ingleichen Andr. Gryphii uͤber den
Gottes-Acker, und viele in Amthors Gedichten ſind hierinn
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/362>, abgerufen am 22.11.2024.
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