Grillparzer, Franz: Sappho. Trauerspiel in fünf Aufzügen. Wien, 1819.
Die Leyer war's, am Pfeiler aufgehangen, In deren Saiten laut die Seeluft spielte. Schwer athmend blickt sie auf und fährt zusammen, Wie von Berührung einer höhern Macht. Die Augen auf die Leyer starr geheftet, Beleben sich mit eins die todten Züge Und fremdes Lächeln spielt um ihren Mund. Jetzt öffnen sich die strenggeschloss'nen Lippen, Es tönen Worte, schauerlichen Klangs, Aus Sappho's Munde, doch nicht Sappho's Worte. Rufst du mir, spricht sie, Freundinn? Mahnst du mich? O, ich versteh' dich, Freundinn an der Wand! Du mahnst mich an verfloss'ne Zeit! Hab' Dank! -- Wie sie die Wand erreicht, und wie die Leyer, Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu sagen, Denn wie ein Blitzstrahl flirrte mich's vorüber. Jetzt blick' ich hin, sie halt das Saitenspiel, Und drückt es an die sturmbewegte Brust, Die hörbar laut den Athem nahm und gab. Den Kranz dann, den Olympischen, des Sieges, Dort aufgehangen an dem Hausaltar, Schlingt sie um's Haupt, und wirft den Purpur- mantel, Hochglühend, so wie er, um ihre Schultern. Wer sie jetzt sah, zum erstenmahle sah, Auf des Altares hohen Stufen stehend, Die Leyer in der Hand, den Blick gehoben,
Die Leyer war's, am Pfeiler aufgehangen, In deren Saiten laut die Seeluft ſpielte. Schwer athmend blickt ſie auf und fährt zuſammen, Wie von Berührung einer höhern Macht. Die Augen auf die Leyer ſtarr geheftet, Beleben ſich mit eins die todten Züge Und fremdes Lächeln ſpielt um ihren Mund. Jetzt öffnen ſich die ſtrenggeſchloſſ'nen Lippen, Es tönen Worte, ſchauerlichen Klangs, Aus Sappho's Munde, doch nicht Sappho's Worte. Rufſt du mir, ſpricht ſie, Freundinn? Mahnſt du mich? O, ich verſteh' dich, Freundinn an der Wand! Du mahnſt mich an verfloſſ'ne Zeit! Hab' Dank! — Wie ſie die Wand erreicht, und wie die Leyer, Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu ſagen, Denn wie ein Blitzſtrahl flirrte mich's vorüber. Jetzt blick' ich hin, ſie halt das Saitenſpiel, Und drückt es an die ſturmbewegte Bruſt, Die hörbar laut den Athem nahm und gab. Den Kranz dann, den Olympiſchen, des Sieges, Dort aufgehangen an dem Hausaltar, Schlingt ſie um's Haupt, und wirft den Purpur- mantel, Hochglühend, ſo wie er, um ihre Schultern. Wer ſie jetzt ſah, zum erſtenmahle ſah, Auf des Altares hohen Stufen ſtehend, Die Leyer in der Hand, den Blick gehoben, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#EUC"> <p><pb facs="#f0130" n="120"/> Die Leyer war's, am Pfeiler aufgehangen,<lb/> In deren Saiten laut die Seeluft ſpielte.<lb/> Schwer athmend blickt ſie auf und fährt zuſammen,<lb/> Wie von Berührung einer höhern Macht.<lb/> Die Augen auf die Leyer ſtarr geheftet,<lb/> Beleben ſich mit eins die todten Züge<lb/> Und fremdes Lächeln ſpielt um ihren Mund.<lb/> Jetzt öffnen ſich die ſtrenggeſchloſſ'nen Lippen,<lb/> Es tönen Worte, ſchauerlichen Klangs,<lb/> Aus Sappho's Munde, doch nicht Sappho's Worte.<lb/> Rufſt du mir, ſpricht ſie, Freundinn? Mahnſt du<lb/> mich?<lb/> O, ich verſteh' dich, Freundinn an der Wand!<lb/> Du mahnſt mich an verfloſſ'ne Zeit! Hab' Dank! —<lb/> Wie ſie die Wand erreicht, und wie die Leyer,<lb/> Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu ſagen,<lb/> Denn wie ein Blitzſtrahl flirrte mich's vorüber.<lb/> Jetzt blick' ich hin, ſie halt das Saitenſpiel,<lb/> Und drückt es an die ſturmbewegte Bruſt,<lb/> Die hörbar laut den Athem nahm und gab.<lb/> Den Kranz dann, den Olympiſchen, des Sieges,<lb/> Dort aufgehangen an dem Hausaltar,<lb/> Schlingt ſie um's Haupt, und wirft den Purpur-<lb/> mantel,<lb/> Hochglühend, ſo wie er, um ihre Schultern.<lb/> Wer ſie jetzt ſah, zum erſtenmahle ſah,<lb/> Auf des Altares hohen Stufen ſtehend,<lb/> Die Leyer in der Hand, den Blick gehoben,<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [120/0130]
Die Leyer war's, am Pfeiler aufgehangen,
In deren Saiten laut die Seeluft ſpielte.
Schwer athmend blickt ſie auf und fährt zuſammen,
Wie von Berührung einer höhern Macht.
Die Augen auf die Leyer ſtarr geheftet,
Beleben ſich mit eins die todten Züge
Und fremdes Lächeln ſpielt um ihren Mund.
Jetzt öffnen ſich die ſtrenggeſchloſſ'nen Lippen,
Es tönen Worte, ſchauerlichen Klangs,
Aus Sappho's Munde, doch nicht Sappho's Worte.
Rufſt du mir, ſpricht ſie, Freundinn? Mahnſt du
mich?
O, ich verſteh' dich, Freundinn an der Wand!
Du mahnſt mich an verfloſſ'ne Zeit! Hab' Dank! —
Wie ſie die Wand erreicht, und wie die Leyer,
Hoch oben hängend, weiß ich nicht zu ſagen,
Denn wie ein Blitzſtrahl flirrte mich's vorüber.
Jetzt blick' ich hin, ſie halt das Saitenſpiel,
Und drückt es an die ſturmbewegte Bruſt,
Die hörbar laut den Athem nahm und gab.
Den Kranz dann, den Olympiſchen, des Sieges,
Dort aufgehangen an dem Hausaltar,
Schlingt ſie um's Haupt, und wirft den Purpur-
mantel,
Hochglühend, ſo wie er, um ihre Schultern.
Wer ſie jetzt ſah, zum erſtenmahle ſah,
Auf des Altares hohen Stufen ſtehend,
Die Leyer in der Hand, den Blick gehoben,
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