Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 5. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 275–344. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.kein Bettler sein, verehrter Herr. Ich weiß wohl, daß die übrigen öffentlichen Musikleute sich damit begnügen, einige auswendig gelernte Gassenhauer, Deutschwalzer, ja wohl gar Melodieen von unartigen Liedern, immer wieder von denselben anfangend, fort und fort herab zu spielen, so daß man ihnen giebt, um ihrer los zu werden, oder weil ihr Spiel die Erinnerung genossener Tanzfreuden oder sonst unordentlicher Ergötzlichsten wieder lebendig macht. Daher spielen sie auch aus dem Gedächtniß und greifen falsch mitunter, ja häufig. Von mir aber sei fern zu betrügen. Ich habe deßhalb, theils weil mein Gedächtniß überhaupt nicht das beste ist, theils weil es für Jeden schwierig sein dürfte, verwickelte Zusammensetzungen geachteter Musikverfasser Note für Note bei sich zu behalten, diese Hefte mir selbst ins Reine geschrieben. Er zeigte dabei durchblätternd auf sein Musikbuch, in dem ich zu meinem Entsetzen mit sorgfältiger, aber widerlich steifer Schrift ungeheuer schwierige Compositionen alter berühmter Meister, ganz schwarz von Passagen und Doppelgriffen, erblickte. Und derlei spielte der alte Mann mit seinen ungelenken Fingern! Indem ich nun diese Stücke spiele, fuhr er fort, bezeige ich meine Verehrung den nach Stand und Würden geachteten längst nicht mehr lebenden Meistern und Verfassern, thue mir selbst genug und lebe der angenehmen Hoffnung, daß die mir mildest gereichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geschmackes und Herzens der ohnehin von so vielen Seiten gestörten und irre geleiteten Zuhörer- kein Bettler sein, verehrter Herr. Ich weiß wohl, daß die übrigen öffentlichen Musikleute sich damit begnügen, einige auswendig gelernte Gassenhauer, Deutschwalzer, ja wohl gar Melodieen von unartigen Liedern, immer wieder von denselben anfangend, fort und fort herab zu spielen, so daß man ihnen giebt, um ihrer los zu werden, oder weil ihr Spiel die Erinnerung genossener Tanzfreuden oder sonst unordentlicher Ergötzlichsten wieder lebendig macht. Daher spielen sie auch aus dem Gedächtniß und greifen falsch mitunter, ja häufig. Von mir aber sei fern zu betrügen. Ich habe deßhalb, theils weil mein Gedächtniß überhaupt nicht das beste ist, theils weil es für Jeden schwierig sein dürfte, verwickelte Zusammensetzungen geachteter Musikverfasser Note für Note bei sich zu behalten, diese Hefte mir selbst ins Reine geschrieben. Er zeigte dabei durchblätternd auf sein Musikbuch, in dem ich zu meinem Entsetzen mit sorgfältiger, aber widerlich steifer Schrift ungeheuer schwierige Compositionen alter berühmter Meister, ganz schwarz von Passagen und Doppelgriffen, erblickte. Und derlei spielte der alte Mann mit seinen ungelenken Fingern! Indem ich nun diese Stücke spiele, fuhr er fort, bezeige ich meine Verehrung den nach Stand und Würden geachteten längst nicht mehr lebenden Meistern und Verfassern, thue mir selbst genug und lebe der angenehmen Hoffnung, daß die mir mildest gereichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geschmackes und Herzens der ohnehin von so vielen Seiten gestörten und irre geleiteten Zuhörer- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0018"/> kein Bettler sein, verehrter Herr. Ich weiß wohl, daß die übrigen öffentlichen Musikleute sich damit begnügen, einige auswendig gelernte Gassenhauer, Deutschwalzer, ja wohl gar Melodieen von unartigen Liedern, immer wieder von denselben anfangend, fort und fort herab zu spielen, so daß man ihnen giebt, um ihrer los zu werden, oder weil ihr Spiel die Erinnerung genossener Tanzfreuden oder sonst unordentlicher Ergötzlichsten wieder lebendig macht. Daher spielen sie auch aus dem Gedächtniß und greifen falsch mitunter, ja häufig. Von mir aber sei fern zu betrügen. Ich habe deßhalb, theils weil mein Gedächtniß überhaupt nicht das beste ist, theils weil es für Jeden schwierig sein dürfte, verwickelte Zusammensetzungen geachteter Musikverfasser Note für Note bei sich zu behalten, diese Hefte mir selbst ins Reine geschrieben. Er zeigte dabei durchblätternd auf sein Musikbuch, in dem ich zu meinem Entsetzen mit sorgfältiger, aber widerlich steifer Schrift ungeheuer schwierige Compositionen alter berühmter Meister, ganz schwarz von Passagen und Doppelgriffen, erblickte. Und derlei spielte der alte Mann mit seinen ungelenken Fingern! Indem ich nun diese Stücke spiele, fuhr er fort, bezeige ich meine Verehrung den nach Stand und Würden geachteten längst nicht mehr lebenden Meistern und Verfassern, thue mir selbst genug und lebe der angenehmen Hoffnung, daß die mir mildest gereichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geschmackes und Herzens der ohnehin von so vielen Seiten gestörten und irre geleiteten Zuhörer-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
kein Bettler sein, verehrter Herr. Ich weiß wohl, daß die übrigen öffentlichen Musikleute sich damit begnügen, einige auswendig gelernte Gassenhauer, Deutschwalzer, ja wohl gar Melodieen von unartigen Liedern, immer wieder von denselben anfangend, fort und fort herab zu spielen, so daß man ihnen giebt, um ihrer los zu werden, oder weil ihr Spiel die Erinnerung genossener Tanzfreuden oder sonst unordentlicher Ergötzlichsten wieder lebendig macht. Daher spielen sie auch aus dem Gedächtniß und greifen falsch mitunter, ja häufig. Von mir aber sei fern zu betrügen. Ich habe deßhalb, theils weil mein Gedächtniß überhaupt nicht das beste ist, theils weil es für Jeden schwierig sein dürfte, verwickelte Zusammensetzungen geachteter Musikverfasser Note für Note bei sich zu behalten, diese Hefte mir selbst ins Reine geschrieben. Er zeigte dabei durchblätternd auf sein Musikbuch, in dem ich zu meinem Entsetzen mit sorgfältiger, aber widerlich steifer Schrift ungeheuer schwierige Compositionen alter berühmter Meister, ganz schwarz von Passagen und Doppelgriffen, erblickte. Und derlei spielte der alte Mann mit seinen ungelenken Fingern! Indem ich nun diese Stücke spiele, fuhr er fort, bezeige ich meine Verehrung den nach Stand und Würden geachteten längst nicht mehr lebenden Meistern und Verfassern, thue mir selbst genug und lebe der angenehmen Hoffnung, daß die mir mildest gereichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt durch Veredlung des Geschmackes und Herzens der ohnehin von so vielen Seiten gestörten und irre geleiteten Zuhörer-
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