(AU) dieser diphth. findet nur höchst selten und le- diglich in den s. 100. 1.) bezeichneten einsilb. wörtern statt. Belegen kann ich keine beispiele als: glau (pru- dens) gen. glawes; thau (mos) gen. thawes; ebenso wür- den dau (ros) hrau (crudus) etc. anzunehmen seyn. Verschieden ist der tripht. au in blau **), gen. blawes und vermuthlich grau (canus).
(EA. EO. EU) nämlich ea, eo, eu, sind mit den üblicheren ia, io, iu gleichbedeutend; am häufigsten wechseln e-a, j-a, j-e in der endung, z. b. minnea, reikeas, biddean st. minnja, reikjes, biddjen. In der wur- zel ist ea eigentlich nie vorhanden, da die beiden fälle sea (eam) thea (ii) sich in e-a, i-a auflösen. Öfter zeigt sich eo und zwar wurzelhaft in breost, leob, theob, seok, theoda, kneohon, neotan, geotan etc., als con- traction in den ablauten: hreop (clamavit) hreopun. Man unterscheide davon das triphthongische eo, seola, hreo etc. eu finde ich (wie das einsilb. au) bloß in dem einsilb. treu- in der zusammensetzung treu-los (fallox) treu-logo (mendax), das mehrsilb. subst. lautet trewa (fides).
(IA) ich finde nur wenige fälle: liagan (mentiri) liaban (carum) diapa (profundam) thiadan (dominus) und thiad-, sämmtlich statt des goth. iu und gemein- alth. io, so wie auch in diesen wörtern selbst im alts. io viel üblicher ist. Die spuren des ia gleichen also dem otfriedischen. In sia (eam, ii) und thia erblicke ich eine contraction aus si-a, thi-a, wie vorhin beim ea.
(IE) dieser häufigere diphth. ist
1) abschwächung des vorigen ia, steht aber, außer in thied-, liebo, auch da, wo das ältere ia nicht mehr vorkommt, z. b. in thief (fur) brief (epistola) griet (arena) hier (heic), namentlich in den ablauten: hiet, liet, gieng, fieng, hield, wiep etc. und wechselt in allen fällen, wo sich ie (ia) auf ein älteres i-a gründet, mit dem gedehnten e, indem es eben-
*) Wenn ich dies wort aus maut-spelli (aotus mutationis) richtig schließe; mit muth (os) kann es nichts gemein haben (Docen misc. 2, 18.). Der parallelismus hat auch giwand thesaro weroldes (nova facies mundi) vom jüng- sten tag.
**) Der teufel wird blau-weiso (dux lividus) genannt.
(AU) dieſer diphth. findet nur höchſt ſelten und le- diglich in den ſ. 100. 1.) bezeichneten einſilb. wörtern ſtatt. Belegen kann ich keine beiſpiele als: glau (pru- dens) gen. glawes; thau (mos) gen. thawes; ebenſo wür- den dau (ros) hrau (crudus) etc. anzunehmen ſeyn. Verſchieden iſt der tripht. âu in blâu **), gen. blâwes und vermuthlich grâu (canus).
(EA. EO. EU) nämlich ëa, ëo, ëu, ſind mit den üblicheren ia, io, iu gleichbedeutend; am häufigſten wechſeln ë-a, j-a, j-e in der endung, z. b. minnëa, rîkëas, biddëan ſt. minnja, rîkjes, biddjen. In der wur- zel iſt ëa eigentlich nie vorhanden, da die beiden fälle ſëa (eam) thëa (ii) ſich in ë-a, i-a auflöſen. Öfter zeigt ſich ëo und zwar wurzelhaft in brëoſt, lëob, thëob, ſëok, thëoda, knëohon, nëotan, gëotan etc., als con- traction in den ablauten: hrëop (clamavit) hrëopun. Man unterſcheide davon das triphthongiſche êo, ſêola, hrêo etc. ëu finde ich (wie das einſilb. au) bloß in dem einſilb. trëu- in der zuſammenſetzung trëu-lôs (fallox) trëu-logo (mendax), das mehrſilb. ſubſt. lautet trëwa (fides).
(IA) ich finde nur wenige fälle: liagan (mentiri) liaban (carum) diapa (profundam) thiadan (dominus) und thiad-, ſämmtlich ſtatt des goth. iu und gemein- alth. io, ſo wie auch in dieſen wörtern ſelbſt im altſ. io viel üblicher iſt. Die ſpuren des ia gleichen alſo dem otfriediſchen. In ſia (eam, ii) und thia erblicke ich eine contraction aus ſi-a, thi-a, wie vorhin beim ëa.
(IE) dieſer häufigere diphth. iſt
1) abſchwächung des vorigen ia, ſteht aber, außer in thied-, liebo, auch da, wo das ältere ia nicht mehr vorkommt, z. b. in thief (fur) brief (epiſtola) griet (arena) hier (hîc), namentlich in den ablauten: hiet, liet, gieng, fieng, hield, wiep etc. und wechſelt in allen fällen, wo ſich ie (ia) auf ein älteres i-a gründet, mit dem gedehnten ê, indem es eben-
*) Wenn ich dies wort aus mût-ſpëlli (aotus mutationis) richtig ſchließe; mit muth (os) kann es nichts gemein haben (Docen miſc. 2, 18.). Der paralleliſmus hat auch giwand thëſaro wëroldes (nova facies mundi) vom jüng- ſten tag.
**) Der teufel wird blâu-wîſo (dux lividus) genannt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0233"n="207"/><fwplace="top"type="header">I. <hirendition="#i">altſächſiſche vocale.</hi></fw><lb/>
(ſonorus) dûfa (columba) crûci (crux) cûmjan (plorare)<lb/>
grûri (horror) hûs (aedes) ûtan (extra) mûtôn (mutare) <noteplace="foot"n="*)">Wenn ich dies wort aus mût-ſpëlli (aotus mutationis)<lb/>
richtig ſchließe; mit muth (os) kann es nichts gemein<lb/>
haben (Docen miſc. 2, 18.). Der paralleliſmus hat auch<lb/>
giwand thëſaro wëroldes (nova facies mundi) vom jüng-<lb/>ſten tag.</note>.</p><lb/><p>(AU) dieſer diphth. findet nur höchſt ſelten und le-<lb/>
diglich in den ſ. 100. 1.) bezeichneten einſilb. wörtern<lb/>ſtatt. Belegen kann ich keine beiſpiele als: glau (pru-<lb/>
dens) gen. glawes; thau (mos) gen. thawes; ebenſo wür-<lb/>
den dau (ros) hrau (crudus) etc. anzunehmen ſeyn.<lb/>
Verſchieden iſt der tripht. âu in blâu <noteplace="foot"n="**)">Der teufel wird blâu-wîſo (dux lividus) genannt.</note>, gen. blâwes<lb/>
und vermuthlich grâu (canus).</p><lb/><p>(EA. EO. EU) nämlich ëa, ëo, ëu, ſind mit den<lb/>
üblicheren ia, io, iu gleichbedeutend; am häufigſten<lb/>
wechſeln ë-a, j-a, j-e in der endung, z. b. minnëa,<lb/>
rîkëas, biddëan ſt. minnja, rîkjes, biddjen. In der wur-<lb/>
zel iſt ëa eigentlich nie vorhanden, da die beiden fälle<lb/>ſëa (eam) thëa (ii) ſich in ë-a, i-a auflöſen. Öfter<lb/>
zeigt ſich ëo und zwar wurzelhaft in brëoſt, lëob, thëob,<lb/>ſëok, thëoda, knëohon, nëotan, gëotan etc., als con-<lb/>
traction in den ablauten: hrëop (clamavit) hrëopun. Man<lb/>
unterſcheide davon das triphthongiſche êo, ſêola, hrêo etc.<lb/>
ëu finde ich (wie das einſilb. au) bloß in dem einſilb. trëu-<lb/>
in der zuſammenſetzung trëu-lôs (fallox) trëu-logo<lb/>
(mendax), das mehrſilb. ſubſt. lautet trëwa (fides).</p><lb/><p>(IA) ich finde nur wenige fälle: liagan (mentiri)<lb/>
liaban (carum) diapa (profundam) thiadan (dominus)<lb/>
und thiad-, ſämmtlich ſtatt des goth. iu und gemein-<lb/>
alth. io, ſo wie auch in dieſen wörtern ſelbſt im altſ.<lb/>
io viel üblicher iſt. Die ſpuren des ia gleichen alſo dem<lb/>
otfriediſchen. In ſia (eam, ii) und thia erblicke ich<lb/>
eine contraction aus ſi-a, thi-a, wie vorhin beim ëa.</p><lb/><p>(IE) dieſer häufigere diphth. iſt</p><lb/><list><item>1) abſchwächung des vorigen ia, ſteht aber, außer in<lb/>
thied-, liebo, auch da, wo das ältere <hirendition="#i">ia</hi> nicht mehr<lb/>
vorkommt, z. b. in thief (fur) brief (epiſtola) griet<lb/>
(arena) hier (hîc), namentlich in den ablauten: hiet,<lb/>
liet, gieng, fieng, hield, wiep etc. und wechſelt<lb/>
in allen fällen, wo ſich ie (ia) auf ein älteres<lb/>
i-a gründet, mit dem gedehnten ê, indem es eben-<lb/></item></list></div></div></div></body></text></TEI>
[207/0233]
I. altſächſiſche vocale.
(ſonorus) dûfa (columba) crûci (crux) cûmjan (plorare)
grûri (horror) hûs (aedes) ûtan (extra) mûtôn (mutare) *).
(AU) dieſer diphth. findet nur höchſt ſelten und le-
diglich in den ſ. 100. 1.) bezeichneten einſilb. wörtern
ſtatt. Belegen kann ich keine beiſpiele als: glau (pru-
dens) gen. glawes; thau (mos) gen. thawes; ebenſo wür-
den dau (ros) hrau (crudus) etc. anzunehmen ſeyn.
Verſchieden iſt der tripht. âu in blâu **), gen. blâwes
und vermuthlich grâu (canus).
(EA. EO. EU) nämlich ëa, ëo, ëu, ſind mit den
üblicheren ia, io, iu gleichbedeutend; am häufigſten
wechſeln ë-a, j-a, j-e in der endung, z. b. minnëa,
rîkëas, biddëan ſt. minnja, rîkjes, biddjen. In der wur-
zel iſt ëa eigentlich nie vorhanden, da die beiden fälle
ſëa (eam) thëa (ii) ſich in ë-a, i-a auflöſen. Öfter
zeigt ſich ëo und zwar wurzelhaft in brëoſt, lëob, thëob,
ſëok, thëoda, knëohon, nëotan, gëotan etc., als con-
traction in den ablauten: hrëop (clamavit) hrëopun. Man
unterſcheide davon das triphthongiſche êo, ſêola, hrêo etc.
ëu finde ich (wie das einſilb. au) bloß in dem einſilb. trëu-
in der zuſammenſetzung trëu-lôs (fallox) trëu-logo
(mendax), das mehrſilb. ſubſt. lautet trëwa (fides).
(IA) ich finde nur wenige fälle: liagan (mentiri)
liaban (carum) diapa (profundam) thiadan (dominus)
und thiad-, ſämmtlich ſtatt des goth. iu und gemein-
alth. io, ſo wie auch in dieſen wörtern ſelbſt im altſ.
io viel üblicher iſt. Die ſpuren des ia gleichen alſo dem
otfriediſchen. In ſia (eam, ii) und thia erblicke ich
eine contraction aus ſi-a, thi-a, wie vorhin beim ëa.
(IE) dieſer häufigere diphth. iſt
1) abſchwächung des vorigen ia, ſteht aber, außer in
thied-, liebo, auch da, wo das ältere ia nicht mehr
vorkommt, z. b. in thief (fur) brief (epiſtola) griet
(arena) hier (hîc), namentlich in den ablauten: hiet,
liet, gieng, fieng, hield, wiep etc. und wechſelt
in allen fällen, wo ſich ie (ia) auf ein älteres
i-a gründet, mit dem gedehnten ê, indem es eben-
*) Wenn ich dies wort aus mût-ſpëlli (aotus mutationis)
richtig ſchließe; mit muth (os) kann es nichts gemein
haben (Docen miſc. 2, 18.). Der paralleliſmus hat auch
giwand thëſaro wëroldes (nova facies mundi) vom jüng-
ſten tag.
**) Der teufel wird blâu-wîſo (dux lividus) genannt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/233>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.