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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. angelsächsische consonanten. gutturales.
vol (rota); vgl. eavjan mit dem goth. augjan und
den übertritt der angels. formen: sorg, morgen,
fylgjan, hergjan, mearh in die engl. sorrow. mor-
row, fellow, harrow, marrow. Steht doch selbst
das alth. craju harir (gl. jun. 198.) dem angels. graeg
analog für grawu, man müste denn -ju für die
flexion (cra-ju st. craw-ju) nehmen. --

(CH) diese asp. geht ab, wie im goth. und leicho-
ma, fläschoma (beide: corpus) wird man nach s. 198. 219.
zu beurtheilen wißen.

Hier eine allgemeinere bemerkung: es ist auffallend,
daß der dem hochd. organ so geläufige zisch- und
aspirierte kehllaut im niederd. und fast auch in den
nord. mundarten beinahe gebrechen. Sollte sich die
lücke in dem lautvermögen, zu welchem jeder glücklich
gebildete dialect berechtigt und geneigt scheint, viel-
leicht dadurch hergestellt haben, daß die sächs. und nord.
kehllante c und g unter gewissen umständen (nämlich
bei folgendem e, e, i) in den zischlaut schwanken, wäh-
rend sie (bei folgendem a, o, u) ungetrübt bleiben? Von
dieser spaltung des k und g in den reinen und getrüb-
ten laut weiß nämlich die hochd. mundart durchaus
nichts; die sonstige berührung des hauch- und zischlauts
ließe sich aber dabei anschlagen (vgl. s. 164. 194.) und
die veränderung des lat. c und g in den zisch- oder
wenigstens zungenlaut romanischer sprachen nicht über-
sehn. In der englischen. friesischen und schwedischen
hat sich die erscheinung am stärksten entwickelt *).

Ohne zweifel aber erst später und sehr allmählig;
im ältesten angels. galt nach dem vorhin bei c und g
gezeigten überall noch die reine aussprache der ten. und
med., um wie vielmehr im gothischen; das übrige nie-
derd. und niederländ. hat sie sich bis auf heute erhalten.
Das angels. hingegen mag schon im 10ten oder sicher
11ten jahrh. gleich nach der normänn. eroberung den zisch-
laut und vielleicht anfänglich statt seiner die kehlaspiration
begonnen haben. Lyes wörterbuch liefert die beispiele
chece oder auch chieke (mala) cheidan (increpare) chinne
(mentum) chorl (rusticus) st. ceac, ceidan, cinne, ceorl;

*) Während also diese mundarten das goth. k und g assibi-
lieven, assibiliert die hochd. das goth. t und aspiriert das
goth. p und k und schwächt die aspiration th, deren aus-
sprache in den übrigen sprachen sich zu dem sibilus neigt.
I. angelſächſiſche conſonanten. gutturales.
vol (rota); vgl. eávjan mit dem goth. augjan und
den übertritt der angelſ. formen: ſorg, morgen,
fylgjan, hergjan, mëarh in die engl. ſorrow. mor-
row, fellow, harrow, marrow. Steht doch ſelbſt
das alth. crâju hârir (gl. jun. 198.) dem angelſ. græg
analog für grâwu, man müſte denn -ju für die
flexion (crâ-ju ſt. crâw-ju) nehmen. —

(CH) dieſe aſp. geht ab, wie im goth. und lîcho-
ma, fläſchoma (beide: corpus) wird man nach ſ. 198. 219.
zu beurtheilen wißen.

Hier eine allgemeinere bemerkung: es iſt auffallend,
daß der dem hochd. organ ſo geläufige ziſch- und
aſpirierte kehllaut im niederd. und faſt auch in den
nord. mundarten beinahe gebrechen. Sollte ſich die
lücke in dem lautvermögen, zu welchem jeder glücklich
gebildete dialect berechtigt und geneigt ſcheint, viel-
leicht dadurch hergeſtellt haben, daß die ſächſ. und nord.
kehllante c und g unter gewiſſen umſtänden (nämlich
bei folgendem e, ë, i) in den ziſchlaut ſchwanken, wäh-
rend ſie (bei folgendem a, o, u) ungetrübt bleiben? Von
dieſer ſpaltung des k und g in den reinen und getrüb-
ten laut weiß nämlich die hochd. mundart durchaus
nichts; die ſonſtige berührung des hauch- und ziſchlauts
ließe ſich aber dabei anſchlagen (vgl. ſ. 164. 194.) und
die veränderung des lat. c und g in den ziſch- oder
wenigſtens zungenlaut romaniſcher ſprachen nicht über-
ſehn. In der engliſchen. frieſiſchen und ſchwediſchen
hat ſich die erſcheinung am ſtärkſten entwickelt *).

Ohne zweifel aber erſt ſpäter und ſehr allmählig;
im älteſten angelſ. galt nach dem vorhin bei c und g
gezeigten überall noch die reine ausſprache der ten. und
med., um wie vielmehr im gothiſchen; das übrige nie-
derd. und niederländ. hat ſie ſich bis auf heute erhalten.
Das angelſ. hingegen mag ſchon im 10ten oder ſicher
11ten jahrh. gleich nach der normänn. eroberung den ziſch-
laut und vielleicht anfänglich ſtatt ſeiner die kehlaſpiration
begonnen haben. Lyes wörterbuch liefert die beiſpiele
chêce oder auch chieke (mala) chîdan (increpare) chinnë
(mentum) chorl (ruſticus) ſt. ceac, cîdan, cinne, cëorl;

*) Während alſo dieſe mundarten das goth. k und g aſſibi-
lieven, aſſibiliert die hochd. das goth. t und aſpiriert das
goth. p und k und ſchwächt die aſpiration th, deren aus-
ſprache in den übrigen ſprachen ſich zu dem ſibilus neigt.
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[262/0288] I. angelſächſiſche conſonanten. gutturales. vol (rota); vgl. eávjan mit dem goth. augjan und den übertritt der angelſ. formen: ſorg, morgen, fylgjan, hergjan, mëarh in die engl. ſorrow. mor- row, fellow, harrow, marrow. Steht doch ſelbſt das alth. crâju hârir (gl. jun. 198.) dem angelſ. græg analog für grâwu, man müſte denn -ju für die flexion (crâ-ju ſt. crâw-ju) nehmen. — (CH) dieſe aſp. geht ab, wie im goth. und lîcho- ma, fläſchoma (beide: corpus) wird man nach ſ. 198. 219. zu beurtheilen wißen. Hier eine allgemeinere bemerkung: es iſt auffallend, daß der dem hochd. organ ſo geläufige ziſch- und aſpirierte kehllaut im niederd. und faſt auch in den nord. mundarten beinahe gebrechen. Sollte ſich die lücke in dem lautvermögen, zu welchem jeder glücklich gebildete dialect berechtigt und geneigt ſcheint, viel- leicht dadurch hergeſtellt haben, daß die ſächſ. und nord. kehllante c und g unter gewiſſen umſtänden (nämlich bei folgendem e, ë, i) in den ziſchlaut ſchwanken, wäh- rend ſie (bei folgendem a, o, u) ungetrübt bleiben? Von dieſer ſpaltung des k und g in den reinen und getrüb- ten laut weiß nämlich die hochd. mundart durchaus nichts; die ſonſtige berührung des hauch- und ziſchlauts ließe ſich aber dabei anſchlagen (vgl. ſ. 164. 194.) und die veränderung des lat. c und g in den ziſch- oder wenigſtens zungenlaut romaniſcher ſprachen nicht über- ſehn. In der engliſchen. frieſiſchen und ſchwediſchen hat ſich die erſcheinung am ſtärkſten entwickelt *). Ohne zweifel aber erſt ſpäter und ſehr allmählig; im älteſten angelſ. galt nach dem vorhin bei c und g gezeigten überall noch die reine ausſprache der ten. und med., um wie vielmehr im gothiſchen; das übrige nie- derd. und niederländ. hat ſie ſich bis auf heute erhalten. Das angelſ. hingegen mag ſchon im 10ten oder ſicher 11ten jahrh. gleich nach der normänn. eroberung den ziſch- laut und vielleicht anfänglich ſtatt ſeiner die kehlaſpiration begonnen haben. Lyes wörterbuch liefert die beiſpiele chêce oder auch chieke (mala) chîdan (increpare) chinnë (mentum) chorl (ruſticus) ſt. ceac, cîdan, cinne, cëorl; *) Während alſo dieſe mundarten das goth. k und g aſſibi- lieven, aſſibiliert die hochd. das goth. t und aſpiriert das goth. p und k und ſchwächt die aſpiration th, deren aus- ſprache in den übrigen ſprachen ſich zu dem ſibilus neigt.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/288>, abgerufen am 20.05.2024.