Gerade wie im neuhochd. das ursprünglich kurze i in mir, gibt mit dem diphth. in liebt, fiel zus. fällt, daher man mier schreiben könnte, wie man giebt schreibt. Die altnord. e sind richtiger nach dem maß- stab ihres ursprungs und der analogie verwandter slämme, als nach dem der neuisl. aussprache zu be. urtheilen. -- Beispiele des e 1) vor einfachen cons. ef (si) efa (dubitare) Thegn (homo liber) frekr (nimius) fela (multum) em (sum) enn (ille) drepa (ferire) bera (ferre) bera (ursa) er (est) mer (mihi) eta (edere) etc. 2) vor doppelten: bregda (vertere) drecka (bi- bere) ecki (non) elgr (alce) felmr (metus) brenna (ar- dere) berg (saxum) dvergr (nanus) verpa (conjicere) frestr (mora) detta (cadere) etc. *). Die verwandt- schaft des e mit dem i zeigt sich theils in den schwan- ken zwischen beiden, z. b. neben renna, brenna, drecka gilt vinna, finna; für enn findet sich inn und hinn etc. theils in dem gewisse fälle des goth. i und ai vertretenden ia (wovon unten), in deren flexionen und ableitungen wiederum zuweilen das reine i vor- bricht, z. b. in dirfaz (audere) von diarfr, birni (urso) von biörn (d. h. biarnu); endlich in dem neben dem e für gewisse flexionen und ableitungen geltenden al- ten i, als vedr (aer) vidra sik (aura se reficere), verd (pretium) virda (aestimare) verk (opus) mannvirki (opus hum.) mer (mihi) mik (me) etc. Ein hauptfall der sonst hier analogen alth. sprache nämlich das vor- treten des i im sg. praes. (oben s. 81.) findet jedoch keine statt, es heißt verpa, verp, verpr, gefa, gef, gefr, nicht virpr, gifr. --
Durch genaue beachtung des e und e wird man viele sonst zus. fallende wörter unterscheiden lernen, z. b. ver (defendit) dreckja (mergere) ber (bacca) ek (veho) von: ver (virum) drecka (bibere) ber (fero) ek (ego) etc. Beide weichen wiederum von dem gedehn- ten e ab, z. b. her (exercitus) el (gigno) fell (cado) ver (nos) von her (hic) el (nimbus) fell (cecidit) ver (piscina), wiewohl sich e und e näher stehen, als e und e oder e und e, daher auch jene öfters verwechselt werden **).
*) Wenn bei doppelter consonanz e verkürzt wird, so ent- springt e, nicht e; als: fell, geck st. fell, geck; merk- würdig heilagr, verkürzt helgr.
**) Die alten runen haben bekanntlich gar kein e, sondern ersetzen es, zur bestätigung meiner unterscheidung, bald
I. altnordiſche vocale.
Gerade wie im neuhochd. das urſprünglich kurze i in mir, gibt mit dem diphth. in liebt, fiel zuſ. fällt, daher man mier ſchreiben könnte, wie man giebt ſchreibt. Die altnord. ë ſind richtiger nach dem maß- ſtab ihres urſprungs und der analogie verwandter ſlämme, als nach dem der neuisl. ausſprache zu be. urtheilen. — Beiſpiele des ë 1) vor einfachen conſ. ëf (ſi) ëfa (dubitare) Þëgn (homo liber) frëkr (nimius) fëla (multum) ëm (ſum) ënn (ille) drëpa (ferire) bëra (ferre) bëra (urſa) ër (eſt) mër (mihi) ëta (edere) etc. 2) vor doppelten: brëgda (vertere) drëcka (bi- bere) ëcki (non) ëlgr (alce) fëlmr (metus) brënna (ar- dere) bërg (ſaxum) dvërgr (nanus) vërpa (conjicere) frëſtr (mora) dëtta (cadere) etc. *). Die verwandt- ſchaft des ë mit dem i zeigt ſich theils in den ſchwan- ken zwiſchen beiden, z. b. neben rënna, brënna, drëcka gilt vinna, finna; für ënn findet ſich inn und hinn etc. theils in dem gewiſſe fälle des goth. i und aí vertretenden ia (wovon unten), in deren flexionen und ableitungen wiederum zuweilen das reine i vor- bricht, z. b. in dirfaz (audere) von diarfr, birni (urſo) von biörn (d. h. biarnu); endlich in dem neben dem ë für gewiſſe flexionen und ableitungen geltenden al- ten i, als vëdr (aër) vidra ſik (aura ſe reficere), vërd (pretium) virda (aeſtimare) vërk (opus) mannvirki (opus hum.) mër (mihi) mik (me) etc. Ein hauptfall der ſonſt hier analogen alth. ſprache nämlich das vor- treten des i im ſg. praeſ. (oben ſ. 81.) findet jedoch keine ſtatt, es heißt vërpa, vërp, vërpr, gëfa, gëf, gëfr, nicht virpr, gifr. —
Durch genaue beachtung des e und ë wird man viele ſonſt zuſ. fallende wörter unterſcheiden lernen, z. b. ver (defendit) dreckja (mergere) ber (bacca) ek (veho) von: vër (virum) drëcka (bibere) bër (fero) ëk (ego) etc. Beide weichen wiederum von dem gedehn- ten ê ab, z. b. her (exercitus) el (gigno) fell (cado) vër (nos) von hêr (hic) êl (nimbus) fêll (cecidit) vêr (piſcina), wiewohl ſich ë und ê näher ſtehen, als e und ê oder e und ë, daher auch jene öfters verwechſelt werden **).
*) Wenn bei doppelter conſonanz ê verkürzt wird, ſo ent- ſpringt ë, nicht e; als: fëll, gëck ſt. fêll, gêck; merk- würdig heilagr, verkürzt hëlgr.
**) Die alten runen haben bekanntlich gar kein e, ſondern erſetzen es, zur beſtätigung meiner unterſcheidung, bald
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I. altnordiſche vocale.
Gerade wie im neuhochd. das urſprünglich kurze i
in mir, gibt mit dem diphth. in liebt, fiel zuſ. fällt,
daher man mier ſchreiben könnte, wie man giebt
ſchreibt. Die altnord. ë ſind richtiger nach dem maß-
ſtab ihres urſprungs und der analogie verwandter
ſlämme, als nach dem der neuisl. ausſprache zu be.
urtheilen. — Beiſpiele des ë 1) vor einfachen conſ.
ëf (ſi) ëfa (dubitare) Þëgn (homo liber) frëkr (nimius)
fëla (multum) ëm (ſum) ënn (ille) drëpa (ferire) bëra
(ferre) bëra (urſa) ër (eſt) mër (mihi) ëta (edere)
etc. 2) vor doppelten: brëgda (vertere) drëcka (bi-
bere) ëcki (non) ëlgr (alce) fëlmr (metus) brënna (ar-
dere) bërg (ſaxum) dvërgr (nanus) vërpa (conjicere)
frëſtr (mora) dëtta (cadere) etc. *). Die verwandt-
ſchaft des ë mit dem i zeigt ſich theils in den ſchwan-
ken zwiſchen beiden, z. b. neben rënna, brënna,
drëcka gilt vinna, finna; für ënn findet ſich inn und
hinn etc. theils in dem gewiſſe fälle des goth. i und
aí vertretenden ia (wovon unten), in deren flexionen
und ableitungen wiederum zuweilen das reine i vor-
bricht, z. b. in dirfaz (audere) von diarfr, birni (urſo)
von biörn (d. h. biarnu); endlich in dem neben dem
ë für gewiſſe flexionen und ableitungen geltenden al-
ten i, als vëdr (aër) vidra ſik (aura ſe reficere), vërd
(pretium) virda (aeſtimare) vërk (opus) mannvirki
(opus hum.) mër (mihi) mik (me) etc. Ein hauptfall
der ſonſt hier analogen alth. ſprache nämlich das vor-
treten des i im ſg. praeſ. (oben ſ. 81.) findet jedoch
keine ſtatt, es heißt vërpa, vërp, vërpr, gëfa, gëf,
gëfr, nicht virpr, gifr. —
Durch genaue beachtung des e und ë wird man
viele ſonſt zuſ. fallende wörter unterſcheiden lernen,
z. b. ver (defendit) dreckja (mergere) ber (bacca) ek
(veho) von: vër (virum) drëcka (bibere) bër (fero) ëk
(ego) etc. Beide weichen wiederum von dem gedehn-
ten ê ab, z. b. her (exercitus) el (gigno) fell (cado) vër
(nos) von hêr (hic) êl (nimbus) fêll (cecidit) vêr
(piſcina), wiewohl ſich ë und ê näher ſtehen, als e und
ê oder e und ë, daher auch jene öfters verwechſelt
werden **).
*) Wenn bei doppelter conſonanz ê verkürzt wird, ſo ent-
ſpringt ë, nicht e; als: fëll, gëck ſt. fêll, gêck; merk-
würdig heilagr, verkürzt hëlgr.
**) Die alten runen haben bekanntlich gar kein e, ſondern
erſetzen es, zur beſtätigung meiner unterſcheidung, bald
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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/309>, abgerufen am 22.11.2024.
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