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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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I. mittelhochdeutsche vocale.
(sarci): neste (M. S. 2, 85b) glesten: gesten (M. S. 1, 88a).
Das org. e folgt aus den ableitungen geniste, geswi-
stere etc. die ursache, weshalb es vor st zu e wird, könnte
in der ähnlichkeit der spiranten h und s gesucht werden,
wenn auch st hier anders einwirkt, als ht; doch darf
das übergewicht der reime vester, este, geste, beste etc.
in anschlag kommen und eben darum läßt sich nicht
in diesen ein e behaupten und in jenen beibehal-
ten. Überhaupt scheint mir das klar, daß zu den
unorganischen e oder e die folgenden cons. verbindun-
gen mitwirken; so in den angeführten beispielen ht. st.
ld. lm. (man denke an den einfluß des nord. Im. s. 286);
vor einfachen cons. (zumahl liq.) bewahren sich beide
vocale treuer und selbst vor geminationen, da schwer-
lich ein guter dichter jener zeit den einen oder den
andern in helle (tartarus) und helle (clare) ellen (vis)
und snellen (celerem) etc. verkennen wird, Neithart aber
in einem tanzliede 2, 85b wagt es snelle: helle zu rei-
men. -- Von den berührungen des e mit i und o bei diesen.

(I) verhält sich beinahe völlig wie im alth., tritt in
flexionen und ableitungen aus dem e hervor (geben, gip;
wesen, wis; nebel, genibele; degen, gedigene; feder, gefi-
dere; sedel, gesidele; ger, gir, girde; scherbe, schirbin
testaceus.) und schwankt mundartisch in einzelnen wörtern,
schef lesen noch alte hss. neben schif, im reim finde ich
nur letzteres (: grif, rif); allgemein gilt noch biben (tre-
mere) ebenso allgemein aber gebel (cacumen) wie swebel,
nebel, folglich dem neuh. gibel und beben gerade entge-
genstehend. -- Von dem ei genau zu scheiden; reime
wie treibet: bibet (Maria 177.) sind im 13. jahrh. unerhört.

(O) das alth. o, allein beschränkt durch den einge-
führten umlaut in ö (vgl. dieses); das alte u zuweilen
noch in den s. 84. 85. angegebenen fällen hervorbrechend
und dann in ü umlautend, als: horn, einhürne, hürnein;
dorn, gedürne, dürnein; zorn, zürnen; mort, mürden
(occidere) vielleicht auch hort, hürden (opes colligere);
borgen (cavere) bürge (fidejussor) worgen, würgen; spor,
spürn; vogel, gefügele; holz, hülzein; golt, güldein;
wolle, wüllein; dorren, dürre; vol, füllen; hol (cavus
und caverna, latibulum) hüllen (tegere) und so beziehen
sich noch andere seltnere verba betrüllen (fascinare) um-
betüllen (cingere, marginare) knüllen (pugno caedere)
nüllen (decipere) etc. auf die subst. trol (praestigium) *)

*) Beftätigend ein nord. troll st. tröll (oben s. 300.)

I. mittelhochdeutſche vocale.
(ſarci): neſte (M. S. 2, 85b) gleſten: geſten (M. S. 1, 88a).
Das org. ë folgt aus den ableitungen geniſte, geſwi-
ſtere etc. die urſache, weshalb es vor ſt zu e wird, könnte
in der ähnlichkeit der ſpiranten h und ſ geſucht werden,
wenn auch ſt hier anders einwirkt, als ht; doch darf
das übergewicht der reime veſter, eſte, geſte, beſte etc.
in anſchlag kommen und eben darum läßt ſich nicht
in dieſen ein ë behaupten und in jenen beibehal-
ten. Überhaupt ſcheint mir das klar, daß zu den
unorganiſchen ë oder e die folgenden conſ. verbindun-
gen mitwirken; ſo in den angeführten beiſpielen ht. ſt.
ld. lm. (man denke an den einfluß des nord. Im. ſ. 286);
vor einfachen conſ. (zumahl liq.) bewahren ſich beide
vocale treuer und ſelbſt vor geminationen, da ſchwer-
lich ein guter dichter jener zeit den einen oder den
andern in helle (tartarus) und hëlle (clare) ellen (vis)
und ſnëllen (celerem) etc. verkennen wird, Nîthart aber
in einem tanzliede 2, 85b wagt es ſnëlle: helle zu rei-
men. — Von den berührungen des ë mit i und o bei dieſen.

(I) verhält ſich beinahe völlig wie im alth., tritt in
flexionen und ableitungen aus dem ë hervor (gëben, gip;
wëſen, wis; nëbel, genibele; dëgen, gedigene; fëder, gefi-
dere; ſëdel, geſidele; gër, gir, girde; ſchërbe, ſchirbìn
teſtaceus.) und ſchwankt mundartiſch in einzelnen wörtern,
ſchëf leſen noch alte hſſ. neben ſchif, im reim finde ich
nur letzteres (: grif, rif); allgemein gilt noch biben (tre-
mere) ebenſo allgemein aber gëbel (cacumen) wie ſwëbel,
nëbel, folglich dem neuh. gibel und beben gerade entge-
genſtehend. — Von dem î genau zu ſcheiden; reime
wie trîbet: bibet (Maria 177.) ſind im 13. jahrh. unerhört.

(O) das alth. o, allein beſchränkt durch den einge-
führten umlaut in ö (vgl. dieſes); das alte u zuweilen
noch in den ſ. 84. 85. angegebenen fällen hervorbrechend
und dann in ü umlautend, als: horn, einhürne, hürnîn;
dorn, gedürne, dürnîn; zorn, zürnen; mort, mürden
(occidere) vielleicht auch hort, hürden (opes colligere);
borgen (cavere) bürge (fidejuſſor) worgen, würgen; ſpor,
ſpürn; vogel, gefügele; holz, hülzîn; golt, güldîn;
wolle, wüllîn; dorren, dürre; vol, füllen; hol (cavus
und caverna, latibulum) hüllen (tegere) und ſo beziehen
ſich noch andere ſeltnere verba betrüllen (faſcinare) um-
betüllen (cingere, marginare) knüllen (pugno caedere)
nüllen (decipere) etc. auf die ſubſt. trol (praeſtigium) *)

*) Beftätigend ein nord. troll ſt. tröll (oben ſ. 300.)
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[335/0361] I. mittelhochdeutſche vocale. (ſarci): neſte (M. S. 2, 85b) gleſten: geſten (M. S. 1, 88a). Das org. ë folgt aus den ableitungen geniſte, geſwi- ſtere etc. die urſache, weshalb es vor ſt zu e wird, könnte in der ähnlichkeit der ſpiranten h und ſ geſucht werden, wenn auch ſt hier anders einwirkt, als ht; doch darf das übergewicht der reime veſter, eſte, geſte, beſte etc. in anſchlag kommen und eben darum läßt ſich nicht in dieſen ein ë behaupten und in jenen beibehal- ten. Überhaupt ſcheint mir das klar, daß zu den unorganiſchen ë oder e die folgenden conſ. verbindun- gen mitwirken; ſo in den angeführten beiſpielen ht. ſt. ld. lm. (man denke an den einfluß des nord. Im. ſ. 286); vor einfachen conſ. (zumahl liq.) bewahren ſich beide vocale treuer und ſelbſt vor geminationen, da ſchwer- lich ein guter dichter jener zeit den einen oder den andern in helle (tartarus) und hëlle (clare) ellen (vis) und ſnëllen (celerem) etc. verkennen wird, Nîthart aber in einem tanzliede 2, 85b wagt es ſnëlle: helle zu rei- men. — Von den berührungen des ë mit i und o bei dieſen. (I) verhält ſich beinahe völlig wie im alth., tritt in flexionen und ableitungen aus dem ë hervor (gëben, gip; wëſen, wis; nëbel, genibele; dëgen, gedigene; fëder, gefi- dere; ſëdel, geſidele; gër, gir, girde; ſchërbe, ſchirbìn teſtaceus.) und ſchwankt mundartiſch in einzelnen wörtern, ſchëf leſen noch alte hſſ. neben ſchif, im reim finde ich nur letzteres (: grif, rif); allgemein gilt noch biben (tre- mere) ebenſo allgemein aber gëbel (cacumen) wie ſwëbel, nëbel, folglich dem neuh. gibel und beben gerade entge- genſtehend. — Von dem î genau zu ſcheiden; reime wie trîbet: bibet (Maria 177.) ſind im 13. jahrh. unerhört. (O) das alth. o, allein beſchränkt durch den einge- führten umlaut in ö (vgl. dieſes); das alte u zuweilen noch in den ſ. 84. 85. angegebenen fällen hervorbrechend und dann in ü umlautend, als: horn, einhürne, hürnîn; dorn, gedürne, dürnîn; zorn, zürnen; mort, mürden (occidere) vielleicht auch hort, hürden (opes colligere); borgen (cavere) bürge (fidejuſſor) worgen, würgen; ſpor, ſpürn; vogel, gefügele; holz, hülzîn; golt, güldîn; wolle, wüllîn; dorren, dürre; vol, füllen; hol (cavus und caverna, latibulum) hüllen (tegere) und ſo beziehen ſich noch andere ſeltnere verba betrüllen (faſcinare) um- betüllen (cingere, marginare) knüllen (pugno caedere) nüllen (decipere) etc. auf die ſubſt. trol (praeſtigium) *) *) Beftätigend ein nord. troll ſt. tröll (oben ſ. 300.)

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/361>, abgerufen am 22.11.2024.