(U) u drückt in den beibehaltenen eigennamen stets das gr. ou (ou) aus, z. b. Sausanna, Sousanna, lairau- salem, Ierousalem (wogegen die nebenform Ierosoluma durch lairausaulyma gegeben wird, einigemahl schwankt Ulph. zwischen beiden, vielleicht nach schwankenden gr. lesarten); Fanauel phanouel etc., hiernach hat es im goth. gedehnten laut. In ächtgothischen wörtern macht aber die geltung dieses vocals schwierigkeit. Für einen doppellaut sollte man ihn halten 1) weil die rune aur, mit deren gestalt das goth. schriftzeichen (n) stimmt, vor- zugsweise den gedehnten laut ausdrückt. 2) wegen je- nes gr. ou. 3) wegen des entsprechenden alth. und nord. au. Letzterer grund gibt zugleich den einwurf her: war- um zeigen andere und zwar zahlreichere alth. u. nord. wörter ein u oder o, jedenfalls einen kurzen laut, in welchen derselbe goth. buchstab steht? Daß er dann kei- nen diphth. ausdrücke zeigt auch die folgende gemina- tion, z. b. in brunna.
Dieses nöthigt zu der annahme eines zweifachen goth. u, obschon Ulph. beide mit einem zeichen schreibt *), welches nicht schlimmer ist, als wenn auch Lateiner und Griechen ihr langes und kurzes u, u, in der schrift nicht unterscheiden.
au haben nur wenige wörter, und stets vor einfacher consonanz: daubo (columba). staubjus (pulvis). -auh (an- hangspartikel). oder -uh? laukan (claudere). braukja (uti- lis). kaukjan (osculari). sauljan (fundare). raum (spatium). haunjan (confidere, oder hunjan?). rauna (secretum). sau- pon (condire). skaura (imber). haus (habitatio). thausundi (mille). aut (ex) lauton (seducere.) sautis (dulcis). In letz- term wort entspricht ausnahmsweise kein alth. au, son- dern uo (suoßi). es findet sich nur der comp. sautizo in der bedeutung von anektoteron.
Ein kurzes u hingegen (außer den ablauten und endungen) du (ad) ju (jam) nu (nunc) thu (tu): ubils (malus). ubizva (porticus). da-guds (eusebes). gudja (pon- tifex). ludja (facies). trudan (calcare). uf (sub). ufar (su- per). skufts (capillus). ufta (saepe). hugjan (cogitare). bugjan
*) Wenn Rask (preisschrift p. 164.) ou = au und u = u setzt und p. 197. sounau schreibt, so ist das nicht zu billigen; theils hat Ulph. hier stets dasselbe zeichen (n), theils ge- bührt jenem worte: sun, nicht saun.
I. gothiſche vocale.
(U) u drückt in den beibehaltenen eigennamen ſtets das gr. ου (ȣ) aus, z. b. Sûſanna, Σουσάννα, lairû- ſalêm, Ἱερουσαλὴμ (wogegen die nebenform Ἱεροσόλυμα durch lairauſaulyma gegeben wird, einigemahl ſchwankt Ulph. zwiſchen beiden, vielleicht nach ſchwankenden gr. lesarten); Fanûêl φανȣὴλ etc., hiernach hat es im goth. gedehnten laut. In ächtgothiſchen wörtern macht aber die geltung dieſes vocals ſchwierigkeit. Für einen doppellaut ſollte man ihn halten 1) weil die rune ûr, mit deren geſtalt das goth. ſchriftzeichen (n) ſtimmt, vor- zugsweiſe den gedehnten laut ausdrückt. 2) wegen je- nes gr. ου. 3) wegen des entſprechenden alth. und nord. û. Letzterer grund gibt zugleich den einwurf her: war- um zeigen andere und zwar zahlreichere alth. u. nord. wörter ein u oder o, jedenfalls einen kurzen laut, in welchen derſelbe goth. buchſtab ſteht? Daß er dann kei- nen diphth. ausdrücke zeigt auch die folgende gemina- tion, z. b. in brunna.
Dieſes nöthigt zu der annahme eines zweifachen goth. u, obſchon Ulph. beide mit einem zeichen ſchreibt *), welches nicht ſchlimmer iſt, als wenn auch Lateiner und Griechen ihr langes und kurzes u, υ, in der ſchrift nicht unterſcheiden.
û haben nur wenige wörter, und ſtets vor einfacher conſonanz: dûbô (columba). ſtûbjus (pulvis). -ûh (an- hangspartikel). oder -uh? lûkan (claudere). brûkja (uti- lis). kûkjan (oſculari). ſûljan (fundare). rûm (ſpatium). hûnjan (confidere, oder hunjan?). rûna (ſecretum). ſû- pôn (condire). ſkûra (imber). hûs (habitatio). þûſundi (mille). ût (ex) lûton (ſeducere.) ſûtis (dulcis). In letz- term wort entſpricht ausnahmsweiſe kein alth. û, ſon- dern uo (ſuoƷi). es findet ſich nur der comp. ſûtizô in der bedeutung von ἀνεκτότερον.
Ein kurzes u hingegen (außer den ablauten und endungen) du (ad) ju (jam) nu (nunc) þu (tu): ubils (malus). ubizva (porticus). da-guds (εὐσεβὴς). gudja (pon- tifex). ludja (facies). trudan (calcare). uf (ſub). ufar (ſu- per). ſkufts (capillus). ufta (ſaepe). hugjan (cogitare). bugjan
*) Wenn Raſk (preisſchrift p. 164.) ȣ = û und υ = u ſetzt und p. 197. σȣναυ ſchreibt, ſo iſt das nicht zu billigen; theils hat Ulph. hier ſtets dasſelbe zeichen (n), theils ge- bührt jenem worte: ſun, nicht ſûn.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0067"n="41"/><fwplace="top"type="header">I. <hirendition="#i">gothiſche vocale.</hi></fw><lb/><p>(U) u drückt in den beibehaltenen eigennamen<lb/>ſtets das gr. <hirendition="#i">ου</hi> (ȣ) aus, z. b. Sûſanna, Σ<hirendition="#i">ουσάννα</hi>, lairû-<lb/>ſalêm, Ἱ<hirendition="#i">ερουσαλὴμ</hi> (wogegen die nebenform Ἱ<hirendition="#i">εροσόλυμα</hi><lb/>
durch lairauſaulyma gegeben wird, einigemahl ſchwankt<lb/>
Ulph. zwiſchen beiden, vielleicht nach ſchwankenden<lb/>
gr. lesarten); Fanûêl <hirendition="#i">φανȣὴλ</hi> etc., hiernach hat es im<lb/>
goth. gedehnten laut. In ächtgothiſchen wörtern macht<lb/>
aber die geltung dieſes vocals ſchwierigkeit. Für einen<lb/>
doppellaut ſollte man ihn halten 1) weil die rune ûr,<lb/>
mit deren geſtalt das goth. ſchriftzeichen (n) ſtimmt, vor-<lb/>
zugsweiſe den gedehnten laut ausdrückt. 2) wegen je-<lb/>
nes gr. <hirendition="#i">ου</hi>. 3) wegen des entſprechenden alth. und nord.<lb/>
û. Letzterer grund gibt zugleich den einwurf her: war-<lb/>
um zeigen andere und zwar zahlreichere alth. u. nord.<lb/>
wörter ein <hirendition="#i">u</hi> oder <hirendition="#i">o</hi>, jedenfalls einen kurzen laut, in<lb/>
welchen derſelbe goth. buchſtab ſteht? Daß er dann kei-<lb/>
nen diphth. ausdrücke zeigt auch die folgende gemina-<lb/>
tion, z. b. in brunna.</p><lb/><p>Dieſes nöthigt zu der annahme eines zweifachen<lb/>
goth. u, obſchon Ulph. beide mit einem zeichen<lb/>ſchreibt <noteplace="foot"n="*)">Wenn Raſk (preisſchrift p. 164.) <hirendition="#i">ȣ</hi> = û und <hirendition="#i">υ</hi> = u ſetzt<lb/>
und p. 197. <hirendition="#i">σȣναυ</hi>ſchreibt, ſo iſt das nicht zu billigen;<lb/>
theils hat Ulph. hier ſtets dasſelbe zeichen (n), theils ge-<lb/>
bührt jenem worte: <hirendition="#i">ſun</hi>, nicht <hirendition="#i">ſûn</hi>.</note>, welches nicht ſchlimmer iſt, als wenn auch<lb/>
Lateiner und Griechen ihr langes und kurzes u, <hirendition="#i">υ</hi>, in<lb/>
der ſchrift nicht unterſcheiden.</p><lb/><p>û haben nur wenige wörter, und ſtets vor einfacher<lb/>
conſonanz: dûbô (columba). ſtûbjus (pulvis). -ûh (an-<lb/>
hangspartikel). oder -uh? lûkan (claudere). brûkja (uti-<lb/>
lis). kûkjan (oſculari). ſûljan (fundare). rûm (ſpatium).<lb/>
hûnjan (confidere, oder hunjan?). rûna (ſecretum). ſû-<lb/>
pôn (condire). ſkûra (imber). hûs (habitatio). þûſundi<lb/>
(mille). ût (ex) lûton (ſeducere.) ſûtis (dulcis). In letz-<lb/>
term wort entſpricht ausnahmsweiſe kein alth. <hirendition="#i">û</hi>, ſon-<lb/>
dern <hirendition="#i">uo</hi> (ſuoƷi). es findet ſich nur der comp. ſûtizô in<lb/>
der bedeutung von <hirendition="#i">ἀνεκτότερον</hi>.</p><lb/><p>Ein kurzes <hirendition="#i">u</hi> hingegen (außer den ablauten und<lb/>
endungen) du (ad) ju (jam) nu (nunc) þu (tu): ubils<lb/>
(malus). ubizva (porticus). da-guds (<hirendition="#i">εὐσεβὴς</hi>). gudja (pon-<lb/>
tifex). ludja (facies). trudan (calcare). uf (ſub). ufar (ſu-<lb/>
per). ſkufts (capillus). ufta (ſaepe). hugjan (cogitare). bugjan<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[41/0067]
I. gothiſche vocale.
(U) u drückt in den beibehaltenen eigennamen
ſtets das gr. ου (ȣ) aus, z. b. Sûſanna, Σουσάννα, lairû-
ſalêm, Ἱερουσαλὴμ (wogegen die nebenform Ἱεροσόλυμα
durch lairauſaulyma gegeben wird, einigemahl ſchwankt
Ulph. zwiſchen beiden, vielleicht nach ſchwankenden
gr. lesarten); Fanûêl φανȣὴλ etc., hiernach hat es im
goth. gedehnten laut. In ächtgothiſchen wörtern macht
aber die geltung dieſes vocals ſchwierigkeit. Für einen
doppellaut ſollte man ihn halten 1) weil die rune ûr,
mit deren geſtalt das goth. ſchriftzeichen (n) ſtimmt, vor-
zugsweiſe den gedehnten laut ausdrückt. 2) wegen je-
nes gr. ου. 3) wegen des entſprechenden alth. und nord.
û. Letzterer grund gibt zugleich den einwurf her: war-
um zeigen andere und zwar zahlreichere alth. u. nord.
wörter ein u oder o, jedenfalls einen kurzen laut, in
welchen derſelbe goth. buchſtab ſteht? Daß er dann kei-
nen diphth. ausdrücke zeigt auch die folgende gemina-
tion, z. b. in brunna.
Dieſes nöthigt zu der annahme eines zweifachen
goth. u, obſchon Ulph. beide mit einem zeichen
ſchreibt *), welches nicht ſchlimmer iſt, als wenn auch
Lateiner und Griechen ihr langes und kurzes u, υ, in
der ſchrift nicht unterſcheiden.
û haben nur wenige wörter, und ſtets vor einfacher
conſonanz: dûbô (columba). ſtûbjus (pulvis). -ûh (an-
hangspartikel). oder -uh? lûkan (claudere). brûkja (uti-
lis). kûkjan (oſculari). ſûljan (fundare). rûm (ſpatium).
hûnjan (confidere, oder hunjan?). rûna (ſecretum). ſû-
pôn (condire). ſkûra (imber). hûs (habitatio). þûſundi
(mille). ût (ex) lûton (ſeducere.) ſûtis (dulcis). In letz-
term wort entſpricht ausnahmsweiſe kein alth. û, ſon-
dern uo (ſuoƷi). es findet ſich nur der comp. ſûtizô in
der bedeutung von ἀνεκτότερον.
Ein kurzes u hingegen (außer den ablauten und
endungen) du (ad) ju (jam) nu (nunc) þu (tu): ubils
(malus). ubizva (porticus). da-guds (εὐσεβὴς). gudja (pon-
tifex). ludja (facies). trudan (calcare). uf (ſub). ufar (ſu-
per). ſkufts (capillus). ufta (ſaepe). hugjan (cogitare). bugjan
*) Wenn Raſk (preisſchrift p. 164.) ȣ = û und υ = u ſetzt
und p. 197. σȣναυ ſchreibt, ſo iſt das nicht zu billigen;
theils hat Ulph. hier ſtets dasſelbe zeichen (n), theils ge-
bührt jenem worte: ſun, nicht ſûn.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/67>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.