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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822.

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II. mittelhochd. starke conjugation.
st, t der II. III. sg. praes. ind. abgeneigt sey, folgt
aus umgedreht möglicher erweichung der med. in den
vocal i oder gänzlicher ausstoßung im fall solcher
syncopen. Nämlich neben tregst, tregt gilt treist, treit;
neben gibst, gibt: geist, git; neben ligst, ligt, pfligst,
pfligt: leist, leit, pfleist, pfleit und für quidet: keit
(s. 867. th.); analoge kürzungen unhäufigerer wörter
sind jedoch nicht zu folgern, z. b. kein neit f. negt,
kein leit f. ledet, kein weit f. wibt oder wigt. Ge-
rade so darf in den gangbaren verbis laßen und va-
hen
(nicht in verwaßen, selten in sehen, ziehen, vlie-
hen) ß und h ausfallen (vgl. s. 934.); nur niederdeutsche
und thüringer gestatten sich zien: knien (En. 57b (ge-
siet (videtis): niet (En. 5a 65a Herb. 115b); im vater-
unser reimt zei (traho) gei (fateor): sei etc. Gebrauch
oder nichtgebrauch dieser kürzungen kann die sprache
einzelner dichter characterisieren helfen. -- e) die ent-
wickelung des r aus s begreift jetzt folgende fälle:
in conj. VIII. rirn; in IX. kurn, verlurn, vrurn, zwei-
felhaft nurn oder nusen; in X. waren, schwankend
naren, laren; in XI. hat gir, gar, garen, gorn wahr-
scheinlich (denn fürs praet. keine belege) vollständig
s mit r vertauscht. Völlige auswerfung des r in wan
f. waren gewährt nur Boners dialect (7, 19. 38,
19. etc.). -- z) ein pl. praet. glirn, schrirn von schreien,
gleien ist mir nicht begegnet, aber wohl möglich als
nebenform von schriuwen, gliuwen (?), über birn,
birt s. erste anom. -- e) auch g im verhältnis zu h
hat sich erweitert; zwar gilt noch slahe, twahe, gi-
wahe (nicht slage etc.), allein im sg. praet. sluoc, twuoc,
gewuoc reimend auf truoc, pfuoc etc. kein dem alth.
sluoh paralleles sluoch, welches auf buoch, schuoch,
vluoch reimen müste; jenes sluoc steht folglich = sluog
und entspricht der otfried. form (s. 867.); der imp. lau-
tet slach (versch. vom subst. slac) twach, gewach. In
conj. VIII. IX. X. bestehet leihe, lech; zeihe, zech;
reihe, rech etc. vliuhe, vloch; ziuhe, zoch; sihe, sach;
geschihe, geschach, desgl. in allen imp. leich, zeich,
vliuch, ziuch, sich; dagegen schwankt der kehllaut
im pl. praet. (also auch in II. sg.) und part.: sahen,
saehe, gesehen behält die spirans (sagen ist unrein)
ebenso lihen, vluhen; zu g bekennen sich, außer je-
nem sluogen, twuogen, gewuogen: zigen, rigen, sigen
(?), erwigen (?) zugen [kein w statt h, namentlich
kein liuwen, siuwen, sawen]. -- th) meide, meit, mi-
II. mittelhochd. ſtarke conjugation.
ſt, t der II. III. ſg. praeſ. ind. abgeneigt ſey, folgt
aus umgedreht möglicher erweichung der med. in den
vocal i oder gänzlicher ausſtoßung im fall ſolcher
ſyncopen. Nämlich neben tregſt, tregt gilt treiſt, treit;
neben gibſt, gibt: gîſt, git; neben ligſt, ligt, pfligſt,
pfligt: lîſt, lît, pflîſt, pflît und für quidet: kît
(ſ. 867. θ.); analoge kürzungen unhäufigerer wörter
ſind jedoch nicht zu folgern, z. b. kein neit f. negt,
kein leit f. ledet, kein wît f. wibt oder wigt. Ge-
rade ſo darf in den gangbaren verbis lâƷen und vâ-
hen
(nicht in verwâƷen, ſelten in ſëhen, ziehen, vlie-
hen) Ʒ und h ausfallen (vgl. ſ. 934.); nur niederdeutſche
und thüringer geſtatten ſich zien: knien (En. 57b (ge-
ſiet (videtis): niet (En. 5a 65a Herb. 115b); im vater-
unſer reimt zî (traho) gî (fateor): ſî etc. Gebrauch
oder nichtgebrauch dieſer kürzungen kann die ſprache
einzelner dichter characteriſieren helfen. — ε) die ent-
wickelung des r aus ſ begreift jetzt folgende fälle:
in conj. VIII. rirn; in IX. kurn, verlurn, vrurn, zwei-
felhaft nurn oder nuſen; in X. wâren, ſchwankend
nâren, lâren; in XI. hat gir, gar, gâren, gorn wahr-
ſcheinlich (denn fürs praet. keine belege) vollſtändig
ſ mit r vertauſcht. Völlige auswerfung des r in wân
f. wâren gewährt nur Boners dialect (7, 19. 38,
19. etc.). — ζ) ein pl. praet. glirn, ſchrirn von ſchrîen,
glîen iſt mir nicht begegnet, aber wohl möglich als
nebenform von ſchriuwen, gliuwen (?), über birn,
birt ſ. erſte anom. — η) auch g im verhältnis zu h
hat ſich erweitert; zwar gilt noch ſlahe, twahe, gi-
wahe (nicht ſlage etc.), allein im ſg. praet. ſluoc, twuoc,
gewuoc reimend auf truoc, pfuoc etc. kein dem alth.
ſluoh paralleles ſluoch, welches auf buoch, ſchuoch,
vluoch reimen müſte; jenes ſluoc ſteht folglich = ſluog
und entſpricht der otfried. form (ſ. 867.); der imp. lau-
tet ſlach (verſch. vom ſubſt. ſlac) twach, gewach. In
conj. VIII. IX. X. beſtehet lîhe, lêch; zîhe, zêch;
rîhe, rêch etc. vliuhe, vlôch; ziuhe, zôch; ſihe, ſach;
geſchihe, geſchach, desgl. in allen imp. lîch, zîch,
vliuch, ziuch, ſich; dagegen ſchwankt der kehllaut
im pl. praet. (alſo auch in II. ſg.) und part.: ſâhen,
ſæhe, geſëhen behält die ſpirans (ſâgen iſt unrein)
ebenſo lihen, vluhen; zu g bekennen ſich, außer je-
nem ſluogen, twuogen, gewuogen: zigen, rigen, ſigen
(?), erwigen (?) zugen [kein w ſtatt h, namentlich
kein liuwen, ſiuwen, ſâwen]. — θ) mîde, meit, mi-
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[943/0969] II. mittelhochd. ſtarke conjugation. ſt, t der II. III. ſg. praeſ. ind. abgeneigt ſey, folgt aus umgedreht möglicher erweichung der med. in den vocal i oder gänzlicher ausſtoßung im fall ſolcher ſyncopen. Nämlich neben tregſt, tregt gilt treiſt, treit; neben gibſt, gibt: gîſt, git; neben ligſt, ligt, pfligſt, pfligt: lîſt, lît, pflîſt, pflît und für quidet: kît (ſ. 867. θ.); analoge kürzungen unhäufigerer wörter ſind jedoch nicht zu folgern, z. b. kein neit f. negt, kein leit f. ledet, kein wît f. wibt oder wigt. Ge- rade ſo darf in den gangbaren verbis lâƷen und vâ- hen (nicht in verwâƷen, ſelten in ſëhen, ziehen, vlie- hen) Ʒ und h ausfallen (vgl. ſ. 934.); nur niederdeutſche und thüringer geſtatten ſich zien: knien (En. 57b (ge- ſiet (videtis): niet (En. 5a 65a Herb. 115b); im vater- unſer reimt zî (traho) gî (fateor): ſî etc. Gebrauch oder nichtgebrauch dieſer kürzungen kann die ſprache einzelner dichter characteriſieren helfen. — ε) die ent- wickelung des r aus ſ begreift jetzt folgende fälle: in conj. VIII. rirn; in IX. kurn, verlurn, vrurn, zwei- felhaft nurn oder nuſen; in X. wâren, ſchwankend nâren, lâren; in XI. hat gir, gar, gâren, gorn wahr- ſcheinlich (denn fürs praet. keine belege) vollſtändig ſ mit r vertauſcht. Völlige auswerfung des r in wân f. wâren gewährt nur Boners dialect (7, 19. 38, 19. etc.). — ζ) ein pl. praet. glirn, ſchrirn von ſchrîen, glîen iſt mir nicht begegnet, aber wohl möglich als nebenform von ſchriuwen, gliuwen (?), über birn, birt ſ. erſte anom. — η) auch g im verhältnis zu h hat ſich erweitert; zwar gilt noch ſlahe, twahe, gi- wahe (nicht ſlage etc.), allein im ſg. praet. ſluoc, twuoc, gewuoc reimend auf truoc, pfuoc etc. kein dem alth. ſluoh paralleles ſluoch, welches auf buoch, ſchuoch, vluoch reimen müſte; jenes ſluoc ſteht folglich = ſluog und entſpricht der otfried. form (ſ. 867.); der imp. lau- tet ſlach (verſch. vom ſubſt. ſlac) twach, gewach. In conj. VIII. IX. X. beſtehet lîhe, lêch; zîhe, zêch; rîhe, rêch etc. vliuhe, vlôch; ziuhe, zôch; ſihe, ſach; geſchihe, geſchach, desgl. in allen imp. lîch, zîch, vliuch, ziuch, ſich; dagegen ſchwankt der kehllaut im pl. praet. (alſo auch in II. ſg.) und part.: ſâhen, ſæhe, geſëhen behält die ſpirans (ſâgen iſt unrein) ebenſo lihen, vluhen; zu g bekennen ſich, außer je- nem ſluogen, twuogen, gewuogen: zigen, rigen, ſigen (?), erwigen (?) zugen [kein w ſtatt h, namentlich kein liuwen, ſiuwen, ſâwen]. — θ) mîde, meit, mi-

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 1. Göttingen, 1822, S. 943. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik01_1822/969>, abgerufen am 22.11.2024.