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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. ableitung. schlubbemerkungen.
gen. Bei wörtern lebendiger ableitung wird wurzel und
anfügung gesondert gefühlt, eine ganze reihe gleicher
anfügungen erlaubt es auf den sinn zu schließen. Bei
dunkeln ableitungen machen wurzel und zuthat einen
totaleindruck und nach vollbrachter zerlegung der formen
sind damit die begriffe noch nicht klar gesondert, z. b.
wenn muot (animus) aus muoh-ad entspringt, so hält
es schwer anzugeben, was eigentlich das -ad bedeute und
wie es die idee der wurzel modificiere. Doch läßt sich
zuweilen, selbst wenn die wurzel dunkel bleibt, aus zahl-
reichen ableitungen etwas über ihr eigenes wesen ver-
muthen. Was ich im allgemeinen voranzustellen ver-
mag, ist: unter den ableitenden vocalen scheint a vor-
zugsweise das ruhige, i und u das bewegte zu bedeuten.
Daher vielleicht, weil ein bloßes, unabgeleitetes wort an
sich den stand der ruhe ausdrückt, keine reinvocalische
ableitung a (s. 387.); treten aber ableitende consonanten auf,
so wird nähere vocalische bestimmung nöthig. Man er-
wäge die subst. -al, -ar, -am, -an, -ahi, -assus und die
adj. -ag, -aht, im gegensatze zu -il, -in, -ith, -ing, -ung,
-isk, ison und selbst zu den reinvocalischen ableitungen
der zweiten declination und ersten schwachen conjugation,
wodurch viele lebendig wirkende wesen, sachen und tran-
sitiva gebildet werden. Ueber ableitende diphthongen
weiß ich nichts, von den consonanten etwa nur das zu
sagen, daß l mehr das liebliche, weiche, r mehr das harte
auszudrücken hat *) und daß häufung zweier cons. gern
für das widrige gebraucht wird. Am schwer sten ist die
eigenthümlichkeit der spiranten, des n und t zu durch-
dringen, welche alle bisweilen zu- oder abtreten (vorhin
s. 391.) ohne die bedeutung zu stören. Gleiches dunkel
liegt auf dem m, das sich sehr fruhe in n, so wie s in
r zu verwandeln anhebt **), vgl. auch die verwandlung
des h in g. Nur die vocale sind freilich noch veränder-
licher. Die hauptsächlichsten begriffe, welchen einzelne
ableitungen entsprechen, mögen nunmehr folgen.

*) eine heftige, laute, stürmische bewegung zeigen die ahd.
subst. donar, hliodar, hlahtar, jamar, galstar, hamar, hungar, we-
tar, waßar, viur (das ranschende, flackernde element) an; eine
linde, sanfte die altn. dustl, gutl, hveisl, krabl, sangl etc. vgl. oben
s. 143.
**) bemerkenswerth, daß diese beiden, der entstellung zumeist
ausgesetzten buchstaben gerade das superlativische und comparati-
vische element bezeichnen.

III. ableitung. ſchluβbemerkungen.
gen. Bei wörtern lebendiger ableitung wird wurzel und
anfügung geſondert gefühlt, eine ganze reihe gleicher
anfügungen erlaubt es auf den ſinn zu ſchließen. Bei
dunkeln ableitungen machen wurzel und zuthat einen
totaleindruck und nach vollbrachter zerlegung der formen
ſind damit die begriffe noch nicht klar geſondert, z. b.
wenn muot (animus) aus muoh-ad entſpringt, ſo hält
es ſchwer anzugeben, was eigentlich das -ad bedeute und
wie es die idee der wurzel modificiere. Doch läßt ſich
zuweilen, ſelbſt wenn die wurzel dunkel bleibt, aus zahl-
reichen ableitungen etwas über ihr eigenes weſen ver-
muthen. Was ich im allgemeinen voranzuſtellen ver-
mag, iſt: unter den ableitenden vocalen ſcheint a vor-
zugsweiſe das ruhige, i und u das bewegte zu bedeuten.
Daher vielleicht, weil ein bloßes, unabgeleitetes wort an
ſich den ſtand der ruhe ausdrückt, keine reinvocaliſche
ableitung a (ſ. 387.); treten aber ableitende conſonanten auf,
ſo wird nähere vocaliſche beſtimmung nöthig. Man er-
wäge die ſubſt. -al, -ar, -am, -an, -ahi, -aſſus und die
adj. -ag, -aht, im gegenſatze zu -il, -in, -iþ, -ing, -ung,
-iſk, iſôn und ſelbſt zu den reinvocaliſchen ableitungen
der zweiten declination und erſten ſchwachen conjugation,
wodurch viele lebendig wirkende weſen, ſachen und tran-
ſitiva gebildet werden. Ueber ableitende diphthongen
weiß ich nichts, von den conſonanten etwa nur das zu
ſagen, daß l mehr das liebliche, weiche, r mehr das harte
auszudrücken hat *) und daß häufung zweier conſ. gern
für das widrige gebraucht wird. Am ſchwer ſten iſt die
eigenthümlichkeit der ſpiranten, des n und t zu durch-
dringen, welche alle bisweilen zu- oder abtreten (vorhin
ſ. 391.) ohne die bedeutung zu ſtören. Gleiches dunkel
liegt auf dem m, das ſich ſehr fruhe in n, ſo wie ſ in
r zu verwandeln anhebt **), vgl. auch die verwandlung
des h in g. Nur die vocale ſind freilich noch veränder-
licher. Die hauptſächlichſten begriffe, welchen einzelne
ableitungen entſprechen, mögen nunmehr folgen.

*) eine heftige, laute, ſtürmiſche bewegung zeigen die ahd.
ſubſt. donar, hliodar, hlahtar, jâmar, galſtar, hamar, hungar, wë-
tar, waƷar, viur (das ranſchende, flackernde element) an; eine
linde, ſanfte die altn. duſtl, gutl, hvîſl, krabl, ſângl etc. vgl. oben
ſ. 143.
**) bemerkenswerth, daß dieſe beiden, der entſtellung zumeiſt
ausgeſetzten buchſtaben gerade das ſuperlativiſche und comparati-
viſche element bezeichnen.
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[396/0414] III. ableitung. ſchluβbemerkungen. gen. Bei wörtern lebendiger ableitung wird wurzel und anfügung geſondert gefühlt, eine ganze reihe gleicher anfügungen erlaubt es auf den ſinn zu ſchließen. Bei dunkeln ableitungen machen wurzel und zuthat einen totaleindruck und nach vollbrachter zerlegung der formen ſind damit die begriffe noch nicht klar geſondert, z. b. wenn muot (animus) aus muoh-ad entſpringt, ſo hält es ſchwer anzugeben, was eigentlich das -ad bedeute und wie es die idee der wurzel modificiere. Doch läßt ſich zuweilen, ſelbſt wenn die wurzel dunkel bleibt, aus zahl- reichen ableitungen etwas über ihr eigenes weſen ver- muthen. Was ich im allgemeinen voranzuſtellen ver- mag, iſt: unter den ableitenden vocalen ſcheint a vor- zugsweiſe das ruhige, i und u das bewegte zu bedeuten. Daher vielleicht, weil ein bloßes, unabgeleitetes wort an ſich den ſtand der ruhe ausdrückt, keine reinvocaliſche ableitung a (ſ. 387.); treten aber ableitende conſonanten auf, ſo wird nähere vocaliſche beſtimmung nöthig. Man er- wäge die ſubſt. -al, -ar, -am, -an, -ahi, -aſſus und die adj. -ag, -aht, im gegenſatze zu -il, -in, -iþ, -ing, -ung, -iſk, iſôn und ſelbſt zu den reinvocaliſchen ableitungen der zweiten declination und erſten ſchwachen conjugation, wodurch viele lebendig wirkende weſen, ſachen und tran- ſitiva gebildet werden. Ueber ableitende diphthongen weiß ich nichts, von den conſonanten etwa nur das zu ſagen, daß l mehr das liebliche, weiche, r mehr das harte auszudrücken hat *) und daß häufung zweier conſ. gern für das widrige gebraucht wird. Am ſchwer ſten iſt die eigenthümlichkeit der ſpiranten, des n und t zu durch- dringen, welche alle bisweilen zu- oder abtreten (vorhin ſ. 391.) ohne die bedeutung zu ſtören. Gleiches dunkel liegt auf dem m, das ſich ſehr fruhe in n, ſo wie ſ in r zu verwandeln anhebt **), vgl. auch die verwandlung des h in g. Nur die vocale ſind freilich noch veränder- licher. Die hauptſächlichſten begriffe, welchen einzelne ableitungen entſprechen, mögen nunmehr folgen. *) eine heftige, laute, ſtürmiſche bewegung zeigen die ahd. ſubſt. donar, hliodar, hlahtar, jâmar, galſtar, hamar, hungar, wë- tar, waƷar, viur (das ranſchende, flackernde element) an; eine linde, ſanfte die altn. duſtl, gutl, hvîſl, krabl, ſângl etc. vgl. oben ſ. 143. **) bemerkenswerth, daß dieſe beiden, der entſtellung zumeiſt ausgeſetzten buchſtaben gerade das ſuperlativiſche und comparati- viſche element bezeichnen.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/414>, abgerufen am 22.11.2024.