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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. subst. uneig. comp. -- subst. mit subst. gen.
sg. ohne -n vorkam, so gewöhnte man sich in dem -en
weniger eine flexion, als einen bestandtheil des ganzen
worts zu erblicken. Bestätigt wird das namentlich durch
den nhd. theilweisen einschritt des -en in den nom. sg.
masc. (1, 703. 704.). Bei dieser richtung begreift sich
aber, daß man es auch in der composition festhielt und
warum sich nur wenige mhd. und nhd. beispiele eigent-
hcher zusammensetzung, deren erstes wort ein schwaches
subst. ist, vorlegen laßen (s. 423. 424.). Wenn ihrer auch
die ältesten mhd. quellen noch einzelne mehr darbieten
sollten (Roth. 17b or-slac, En. 24a ouc-pra); so ist doch
ein veigen-boum (s. 484.) palmen-boum (s. 541.) rosen-
boum (s. 548.) besmen-slac (s. 523.) etc. nicht zu ver-
leugnen, vielleicht ein müggen-netze Wigal. 380. vürsten-
tuom (s. 531.) zuzugeben, wo überall die ursprünglich
eigentl. comp. verloren gegangen ist *). Und im nhd.
sind beispiele noch häufiger: blumen-korb, dinten-faß,
fiiegen-netz, fürsten-thum, linden-baum, rosen-kranz,
ruthen-schlag, tannen-baum u. a. m. Einige fälle kön-
nen aber mit recht uneigentlich componiert sein, z. b.
rosen-blatt, linden-blatt (s. 608.) was durch wein-blatt
nicht widerlegt wird, indem rose und linde das gewächs
anzeigen, nicht wein, daher weinstocks-blatt gesagt wer-
den müste. Schwaben-land scheint untadelhaft, seit sich
schwabe, gen. schwaben f. schwab, sehwabes einführte;
doch dürfte, wie däne-mark, schwabe-land in der comp.
sich bewahrt haben. Fehlerhafte uneigentliche composita
mit erstem starkem subst. sind ebenfalls verschiedentlich
gangbar geworden, z. b. die mit volks- statt volk-: volks-
thum, volks-sage, volks-lied, beßer schwed. solk-visa,
denn der begriff ist weniger ein lied des volks, als ein
unter dem volke umgehendes.

4) solcher verderbnis im einzelnen ungeachtet dauert
im ganzen die richtige und nothwendige unterscheidung

*) über die mhd. zus. setzung mit erstem schw. wort wären
steben verzeichnisse zu führen 1) eig. mit comp. vocal bei kurz-
silbigen: bote-schaft. 2) eig. ohne comp. voc. bei langsilbigen:
tan-boum. 3) uneig. org. bei kurzsilbigen: boten-brot. 4) uneig.
org. bei langsilbigen: sunnen-abent. 5) uneig. unorg. bei kurz-
silb.: herzogen-tuom (s. 491.). 6) uneig. unorg. bei langsilb.: vei-
gen-boum. 7) comp., welche das s. 423. 580. besprochne -e ha-
ben, namentlich die mit herze (herze-lust, herze-liep), vielleicht
auch mit ouge und ore, man kann sie weder eigentlich noch un-
eig. neunen, aber unorganisch.

III. ſubſt. uneig. comp. — ſubſt. mit ſubſt. gen.
ſg. ohne -n vorkam, ſo gewöhnte man ſich in dem -en
weniger eine flexion, als einen beſtandtheil des ganzen
worts zu erblicken. Beſtätigt wird das namentlich durch
den nhd. theilweiſen einſchritt des -en in den nom. ſg.
maſc. (1, 703. 704.). Bei dieſer richtung begreift ſich
aber, daß man es auch in der compoſition feſthielt und
warum ſich nur wenige mhd. und nhd. beiſpiele eigent-
hcher zuſammenſetzung, deren erſtes wort ein ſchwaches
ſubſt. iſt, vorlegen laßen (ſ. 423. 424.). Wenn ihrer auch
die älteſten mhd. quellen noch einzelne mehr darbieten
ſollten (Roth. 17b ôr-ſlac, En. 24a ouc-prâ); ſo iſt doch
ein vîgen-boum (ſ. 484.) palmen-boum (ſ. 541.) rôſen-
boum (ſ. 548.) bëſmen-ſlac (ſ. 523.) etc. nicht zu ver-
leugnen, vielleicht ein müggen-netze Wigal. 380. vürſten-
tuom (ſ. 531.) zuzugeben, wo überall die urſprünglich
eigentl. comp. verloren gegangen iſt *). Und im nhd.
ſind beiſpiele noch häufiger: blumen-korb, dinten-faß,
fiiegen-netz, fürſten-thum, linden-baum, roſen-kranz,
ruthen-ſchlag, tannen-baum u. a. m. Einige fälle kön-
nen aber mit recht uneigentlich componiert ſein, z. b.
roſen-blatt, linden-blatt (ſ. 608.) was durch wein-blatt
nicht widerlegt wird, indem roſe und linde das gewächs
anzeigen, nicht wein, daher weinſtocks-blatt geſagt wer-
den müſte. Schwaben-land ſcheint untadelhaft, ſeit ſich
ſchwabe, gen. ſchwaben f. ſchwab, ſehwabes einführte;
doch dürfte, wie däne-mark, ſchwabe-land in der comp.
ſich bewahrt haben. Fehlerhafte uneigentliche compoſita
mit erſtem ſtarkem ſubſt. ſind ebenfalls verſchiedentlich
gangbar geworden, z. b. die mit volks- ſtatt volk-: volks-
thum, volks-ſage, volks-lied, beßer ſchwed. ſolk-viſa,
denn der begriff iſt weniger ein lied des volks, als ein
unter dem volke umgehendes.

4) ſolcher verderbnis im einzelnen ungeachtet dauert
im ganzen die richtige und nothwendige unterſcheidung

*) über die mhd. zuſ. ſetzung mit erſtem ſchw. wort wären
ſteben verzeichniſſe zu führen 1) eig. mit comp. vocal bei kurz-
ſilbigen: bote-ſchaft. 2) eig. ohne comp. voc. bei langſilbigen:
tan-boum. 3) uneig. org. bei kurzſilbigen: boten-brôt. 4) uneig.
org. bei langſilbigen: ſunnen-âbent. 5) uneig. unorg. bei kurz-
ſilb.: herzogen-tuom (ſ. 491.). 6) uneig. unorg. bei langſilb.: vî-
gen-boum. 7) comp., welche das ſ. 423. 580. beſprochne -e ha-
ben, namentlich die mit hërze (hërze-luſt, hërze-liep), vielleicht
auch mit ouge und ôre, man kann ſie weder eigentlich noch un-
eig. neunen, aber unorganiſch.
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[615/0633] III. ſubſt. uneig. comp. — ſubſt. mit ſubſt. gen. ſg. ohne -n vorkam, ſo gewöhnte man ſich in dem -en weniger eine flexion, als einen beſtandtheil des ganzen worts zu erblicken. Beſtätigt wird das namentlich durch den nhd. theilweiſen einſchritt des -en in den nom. ſg. maſc. (1, 703. 704.). Bei dieſer richtung begreift ſich aber, daß man es auch in der compoſition feſthielt und warum ſich nur wenige mhd. und nhd. beiſpiele eigent- hcher zuſammenſetzung, deren erſtes wort ein ſchwaches ſubſt. iſt, vorlegen laßen (ſ. 423. 424.). Wenn ihrer auch die älteſten mhd. quellen noch einzelne mehr darbieten ſollten (Roth. 17b ôr-ſlac, En. 24a ouc-prâ); ſo iſt doch ein vîgen-boum (ſ. 484.) palmen-boum (ſ. 541.) rôſen- boum (ſ. 548.) bëſmen-ſlac (ſ. 523.) etc. nicht zu ver- leugnen, vielleicht ein müggen-netze Wigal. 380. vürſten- tuom (ſ. 531.) zuzugeben, wo überall die urſprünglich eigentl. comp. verloren gegangen iſt *). Und im nhd. ſind beiſpiele noch häufiger: blumen-korb, dinten-faß, fiiegen-netz, fürſten-thum, linden-baum, roſen-kranz, ruthen-ſchlag, tannen-baum u. a. m. Einige fälle kön- nen aber mit recht uneigentlich componiert ſein, z. b. roſen-blatt, linden-blatt (ſ. 608.) was durch wein-blatt nicht widerlegt wird, indem roſe und linde das gewächs anzeigen, nicht wein, daher weinſtocks-blatt geſagt wer- den müſte. Schwaben-land ſcheint untadelhaft, ſeit ſich ſchwabe, gen. ſchwaben f. ſchwab, ſehwabes einführte; doch dürfte, wie däne-mark, ſchwabe-land in der comp. ſich bewahrt haben. Fehlerhafte uneigentliche compoſita mit erſtem ſtarkem ſubſt. ſind ebenfalls verſchiedentlich gangbar geworden, z. b. die mit volks- ſtatt volk-: volks- thum, volks-ſage, volks-lied, beßer ſchwed. ſolk-viſa, denn der begriff iſt weniger ein lied des volks, als ein unter dem volke umgehendes. 4) ſolcher verderbnis im einzelnen ungeachtet dauert im ganzen die richtige und nothwendige unterſcheidung *) über die mhd. zuſ. ſetzung mit erſtem ſchw. wort wären ſteben verzeichniſſe zu führen 1) eig. mit comp. vocal bei kurz- ſilbigen: bote-ſchaft. 2) eig. ohne comp. voc. bei langſilbigen: tan-boum. 3) uneig. org. bei kurzſilbigen: boten-brôt. 4) uneig. org. bei langſilbigen: ſunnen-âbent. 5) uneig. unorg. bei kurz- ſilb.: herzogen-tuom (ſ. 491.). 6) uneig. unorg. bei langſilb.: vî- gen-boum. 7) comp., welche das ſ. 423. 580. beſprochne -e ha- ben, namentlich die mit hërze (hërze-luſt, hërze-liep), vielleicht auch mit ouge und ôre, man kann ſie weder eigentlich noch un- eig. neunen, aber unorganiſch.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 615. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/633>, abgerufen am 16.07.2024.