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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomposition. -- part. mit nom.

8) da die untrennbarkeit der partikeln nicht ursprüng-
lich ist, da sie allmählig und schwankend, nach verschie-
denheit der mundarten früher oder später oder gar nicht
erfolgt; so kann eine allgemeine abhandlung der deutschen
partikelzusammensetzungen nicht mit rücksicht auf den un-
terschied zwischen trennbaren und untrennbaren geordnet
werden. Für einen dialect und zeitraum würde diese
absonderung vortheil gewähren.

9) desto sorgfältiger muß hier zusammensetzung mit
dem nomen geschieden werden von der mit dem verbum.
Beide stehen nicht auf gleichem fuß und weichen in form
und bedeutung wichtig von einander ab. Verba die aus
zus. setzungen der part. mit dem nomen abgeleitet wer-
den, sind verschieden von denen der part. mit dem ver-
bum, z. b. ant-worten und ent-halten nicht auf eine reihe
zu stellen, obgleich beiden dieselbe partikel zum grunde liegt.
Dagegen trage ich die composition mit dem subst. und
adj. diesmahl zusammen vor. Decomposita laßen sich des-
halb nicht in §. 5. verweisen, weil einzelne dunkle par-
tikeln selbst schon zusammengesetzt scheinen. Alle com-
posita, deren zweites wort wieder partikel ist, ohne daß
sie sich mit nom. oder verb. binden, bleiben auf cap. V.
verspart.

10) vielfache berührungen der einzelnen partikeln
können erst in den anmerkungen zu diesem §. abgehan-
delt werden.

Partikel mit nomen.

Diese composition scheint älter und ausgebreiteter als
die mit dem verbum, verletzt die form der partikeln in
der regel weniger und findet auch leichter statt mit un-
praepositionalen adverbiis. Da unsere syntax keire freie,
unverbundne stellung der partikel vor das subst., worauf
sie sich bezieht, erlaubt, vor das adj. nur bei belebten *),
nicht bei abstracten partikeln; so muß nicht bloß für un-
trennbare, sondern auch für trennbare, überall wo sie
sich an das nomen schließen, wirkliche zusammensetzung
angenommen werden. Wer die partikel vor dem no-
men für ein adverbium des engern sinnes halten, d. h.
an-blick, vor-schritt aus an-blicken, vor-schreiten ver-
ständigen wollte, den widerlegen unzählige composita, de-

*) z. b. schrecklich theuer, unendlich lieb, ausgezeichnet schön.
III. partikelcompoſition. — part. mit nom.

8) da die untrennbarkeit der partikeln nicht urſprüng-
lich iſt, da ſie allmählig und ſchwankend, nach verſchie-
denheit der mundarten früher oder ſpäter oder gar nicht
erfolgt; ſo kann eine allgemeine abhandlung der deutſchen
partikelzuſammenſetzungen nicht mit rückſicht auf den un-
terſchied zwiſchen trennbaren und untrennbaren geordnet
werden. Für einen dialect und zeitraum würde dieſe
abſonderung vortheil gewähren.

9) deſto ſorgfältiger muß hier zuſammenſetzung mit
dem nomen geſchieden werden von der mit dem verbum.
Beide ſtehen nicht auf gleichem fuß und weichen in form
und bedeutung wichtig von einander ab. Verba die aus
zuſ. ſetzungen der part. mit dem nomen abgeleitet wer-
den, ſind verſchieden von denen der part. mit dem ver-
bum, z. b. ant-worten und ent-halten nicht auf eine reihe
zu ſtellen, obgleich beiden dieſelbe partikel zum grunde liegt.
Dagegen trage ich die compoſition mit dem ſubſt. und
adj. diesmahl zuſammen vor. Decompoſita laßen ſich des-
halb nicht in §. 5. verweiſen, weil einzelne dunkle par-
tikeln ſelbſt ſchon zuſammengeſetzt ſcheinen. Alle com-
poſita, deren zweites wort wieder partikel iſt, ohne daß
ſie ſich mit nom. oder verb. binden, bleiben auf cap. V.
verſpart.

10) vielfache berührungen der einzelnen partikeln
können erſt in den anmerkungen zu dieſem §. abgehan-
delt werden.

Partikel mit nomen.

Dieſe compoſition ſcheint älter und ausgebreiteter als
die mit dem verbum, verletzt die form der partikeln in
der regel weniger und findet auch leichter ſtatt mit un-
praepoſitionalen adverbiis. Da unſere ſyntax keire freie,
unverbundne ſtellung der partikel vor das ſubſt., worauf
ſie ſich bezieht, erlaubt, vor das adj. nur bei belebten *),
nicht bei abſtracten partikeln; ſo muß nicht bloß für un-
trennbare, ſondern auch für trennbare, überall wo ſie
ſich an das nomen ſchließen, wirkliche zuſammenſetzung
angenommen werden. Wer die partikel vor dem no-
men für ein adverbium des engern ſinnes halten, d. h.
an-blick, vor-ſchritt aus an-blicken, vor-ſchreiten ver-
ſtändigen wollte, den widerlegen unzählige compoſita, de-

*) z. b. ſchrecklich theuer, unendlich lieb, ausgezeichnet ſchön.
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[703/0721] III. partikelcompoſition. — part. mit nom. 8) da die untrennbarkeit der partikeln nicht urſprüng- lich iſt, da ſie allmählig und ſchwankend, nach verſchie- denheit der mundarten früher oder ſpäter oder gar nicht erfolgt; ſo kann eine allgemeine abhandlung der deutſchen partikelzuſammenſetzungen nicht mit rückſicht auf den un- terſchied zwiſchen trennbaren und untrennbaren geordnet werden. Für einen dialect und zeitraum würde dieſe abſonderung vortheil gewähren. 9) deſto ſorgfältiger muß hier zuſammenſetzung mit dem nomen geſchieden werden von der mit dem verbum. Beide ſtehen nicht auf gleichem fuß und weichen in form und bedeutung wichtig von einander ab. Verba die aus zuſ. ſetzungen der part. mit dem nomen abgeleitet wer- den, ſind verſchieden von denen der part. mit dem ver- bum, z. b. ant-worten und ent-halten nicht auf eine reihe zu ſtellen, obgleich beiden dieſelbe partikel zum grunde liegt. Dagegen trage ich die compoſition mit dem ſubſt. und adj. diesmahl zuſammen vor. Decompoſita laßen ſich des- halb nicht in §. 5. verweiſen, weil einzelne dunkle par- tikeln ſelbſt ſchon zuſammengeſetzt ſcheinen. Alle com- poſita, deren zweites wort wieder partikel iſt, ohne daß ſie ſich mit nom. oder verb. binden, bleiben auf cap. V. verſpart. 10) vielfache berührungen der einzelnen partikeln können erſt in den anmerkungen zu dieſem §. abgehan- delt werden. Partikel mit nomen. Dieſe compoſition ſcheint älter und ausgebreiteter als die mit dem verbum, verletzt die form der partikeln in der regel weniger und findet auch leichter ſtatt mit un- praepoſitionalen adverbiis. Da unſere ſyntax keire freie, unverbundne ſtellung der partikel vor das ſubſt., worauf ſie ſich bezieht, erlaubt, vor das adj. nur bei belebten *), nicht bei abſtracten partikeln; ſo muß nicht bloß für un- trennbare, ſondern auch für trennbare, überall wo ſie ſich an das nomen ſchließen, wirkliche zuſammenſetzung angenommen werden. Wer die partikel vor dem no- men für ein adverbium des engern ſinnes halten, d. h. an-blick, vor-ſchritt aus an-blicken, vor-ſchreiten ver- ſtändigen wollte, den widerlegen unzählige compoſita, de- *) z. b. ſchrecklich theuer, unendlich lieb, ausgezeichnet ſchön.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/721>, abgerufen am 22.11.2024.