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Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826.

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III. partikelcomp. -- untr. part. mit verb.
vativen zweiten wörten gezeugt haben. Entnakten trifft
zwar mit dem begriff von entkleiden zusammen, nur liegt
hier die privation bloß in der part., dort in dem wort
nacket (wie bei denudare in nudus), bloeßen MS. 2, 65b
sagt gleichviel mit enbloeßen. Viele einfache verba z. b.
fallen, sinken, fliehen haben von natur etwas privatives;
mit ent- componiert können sie daher, wie mans nimmt,
unter 2 oder 3 aufgezählt werden. Und bei dunkelm
zweiten wort herscht hierüber gänzliche unsicherheit,
z. b. ich weiß nicht ob in-tratan wie int-sizan oder wie
das ags. on-egan anzusehen ist. b) unterweilen bedeutet
ent- vor denselben verbis verschiednes; das goth. and-
hausjan ist grade das gegentheil vom nhd. (gerichtlichen)
enthören (gehör versagen), das ahd. intwerfen (solvere)
vom nhd. entwerfen (disponere); inziohan drückt ahd.
extendere mons. 367. ker. 96. (wo disto in distendo zu
ändern?) entziehen nhd. auferre aus, das mhd. ent-wern
sowohl praestare als auch denegare. c) es ist s. 809. ge-
zeigt worden, wie sich das ahd. int- durch die entstellte
form in-, und das ags. and- durch die entstellung on-
mit den partikeln in und ana berührt. Für die bedeu-
tung 2. kann diese berührung aber auch materiell sein,
and- bezeichnet hier entgegenkommen, näherung, wie
ana- (s. 716.). Kaum also läßt sich sagen, ob das ags.
on-ginnan auf goth. and-ginnan oder ana-ginnan, das
ags. on-sendan auf goth. and-saudjan, ana-sandjan oder
in-sandjan lautet? das ahd. in-kinnan ist selbst zweideu-
tig und das ahd. int-sentan widerlegt weder ana-, noch
in-, da Ulf. wirklich in-sandjan, nicht and-sandjan sagt.
Er sagt auch in-branjan, in-tandjan etc., so daß das ahd.
in-prennan, in-zuntan nicht nothwendig auf int- zurück-
geführt zu werden braucht, obschon wir nhd. ent-bren-
nen, ent-zünden gebrauchen. Unser heutiges ent-bieten
führt allerdings auf ahd. in-piotan aus int-piotan, ags.
on-beodan aus and-beodan; allein Ulf. gibt ana-biudan,
kein and-biudan. Man hat auch die parallele composition
der subst. zu beachten, das ahd. in-pot (mandatum) mons.
379. 384. spricht nicht für in-piotan aus int-piotan; in-
piß oder in-peiß (s. 760.) nicht für in-peißan aus int-peißan,
widerlegen sie aber nicht gänzlich. Hingegen and-fanc
zu in-fahan aus int-fahan stimmt. Die materielle vermi-
schung der drei partikeln kann zu der formellen beige-
tragen haben, wohei sich nur im ahd. und mhd., nicht
im ags., rücksicht auf den anlaut des verbums entwickelte.
Die formelle verderbnis läßt sich aber nicht leugnen, da

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III. partikelcomp. — untr. part. mit verb.
vativen zweiten wörten gezeugt haben. Entnakten trifft
zwar mit dem begriff von entkleiden zuſammen, nur liegt
hier die privation bloß in der part., dort in dem wort
nacket (wie bei denudare in nudus), blœƷen MS. 2, 65b
ſagt gleichviel mit enblœƷen. Viele einfache verba z. b.
fallen, ſinken, fliehen haben von natur etwas privatives;
mit ent- componiert können ſie daher, wie mans nimmt,
unter 2 oder 3 aufgezählt werden. Und bei dunkelm
zweiten wort herſcht hierüber gänzliche unſicherheit,
z. b. ich weiß nicht ob in-trâtan wie int-ſizan oder wie
das agſ. on-êgan anzuſehen iſt. b) unterweilen bedeutet
ent- vor denſelben verbis verſchiednes; das goth. and-
háuſjan iſt grade das gegentheil vom nhd. (gerichtlichen)
enthören (gehör verſagen), das ahd. intwërfen (ſolvere)
vom nhd. entwerfen (diſponere); inziohan drückt ahd.
extendere monſ. 367. ker. 96. (wo diſto in diſtendo zu
ändern?) entziehen nhd. auferre aus, das mhd. ent-wërn
ſowohl praeſtare als auch denegare. c) es iſt ſ. 809. ge-
zeigt worden, wie ſich das ahd. int- durch die entſtellte
form in-, und das agſ. and- durch die entſtellung on-
mit den partikeln in und ana berührt. Für die bedeu-
tung 2. kann dieſe berührung aber auch materiell ſein,
and- bezeichnet hier entgegenkommen, näherung, wie
ana- (ſ. 716.). Kaum alſo läßt ſich ſagen, ob das agſ.
on-ginnan auf goth. and-ginnan oder ana-ginnan, das
agſ. on-ſendan auf goth. and-ſaudjan, ana-ſandjan oder
in-ſandjan lautet? das ahd. in-kinnan iſt ſelbſt zweideu-
tig und das ahd. int-ſentan widerlegt weder ana-, noch
ïn-, da Ulf. wirklich ïn-ſandjan, nicht and-ſandjan ſagt.
Er ſagt auch ïn-branjan, ïn-tandjan etc., ſo daß das ahd.
in-prennan, in-zuntan nicht nothwendig auf int- zurück-
geführt zu werden braucht, obſchon wir nhd. ent-bren-
nen, ent-zünden gebrauchen. Unſer heutiges ent-bieten
führt allerdings auf ahd. in-piotan aus int-piotan, agſ.
on-bëodan aus and-bëodan; allein Ulf. gibt ana-biudan,
kein and-biudan. Man hat auch die parallele compoſition
der ſubſt. zu beachten, das ahd. in-pot (mandatum) monſ.
379. 384. ſpricht nicht für in-piotan aus int-piotan; in-
piƷ oder in-pîƷ (ſ. 760.) nicht für in-pîƷan aus int-pîƷan,
widerlegen ſie aber nicht gänzlich. Hingegen and-fanc
zu in-fâhan aus int-fâhan ſtimmt. Die materielle vermi-
ſchung der drei partikeln kann zu der formellen beige-
tragen haben, wohei ſich nur im ahd. und mhd., nicht
im agſ., rückſicht auf den anlaut des verbums entwickelte.
Die formelle verderbnis läßt ſich aber nicht leugnen, da

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[817/0835] III. partikelcomp. — untr. part. mit verb. vativen zweiten wörten gezeugt haben. Entnakten trifft zwar mit dem begriff von entkleiden zuſammen, nur liegt hier die privation bloß in der part., dort in dem wort nacket (wie bei denudare in nudus), blœƷen MS. 2, 65b ſagt gleichviel mit enblœƷen. Viele einfache verba z. b. fallen, ſinken, fliehen haben von natur etwas privatives; mit ent- componiert können ſie daher, wie mans nimmt, unter 2 oder 3 aufgezählt werden. Und bei dunkelm zweiten wort herſcht hierüber gänzliche unſicherheit, z. b. ich weiß nicht ob in-trâtan wie int-ſizan oder wie das agſ. on-êgan anzuſehen iſt. b) unterweilen bedeutet ent- vor denſelben verbis verſchiednes; das goth. and- háuſjan iſt grade das gegentheil vom nhd. (gerichtlichen) enthören (gehör verſagen), das ahd. intwërfen (ſolvere) vom nhd. entwerfen (diſponere); inziohan drückt ahd. extendere monſ. 367. ker. 96. (wo diſto in diſtendo zu ändern?) entziehen nhd. auferre aus, das mhd. ent-wërn ſowohl praeſtare als auch denegare. c) es iſt ſ. 809. ge- zeigt worden, wie ſich das ahd. int- durch die entſtellte form in-, und das agſ. and- durch die entſtellung on- mit den partikeln in und ana berührt. Für die bedeu- tung 2. kann dieſe berührung aber auch materiell ſein, and- bezeichnet hier entgegenkommen, näherung, wie ana- (ſ. 716.). Kaum alſo läßt ſich ſagen, ob das agſ. on-ginnan auf goth. and-ginnan oder ana-ginnan, das agſ. on-ſendan auf goth. and-ſaudjan, ana-ſandjan oder in-ſandjan lautet? das ahd. in-kinnan iſt ſelbſt zweideu- tig und das ahd. int-ſentan widerlegt weder ana-, noch ïn-, da Ulf. wirklich ïn-ſandjan, nicht and-ſandjan ſagt. Er ſagt auch ïn-branjan, ïn-tandjan etc., ſo daß das ahd. in-prennan, in-zuntan nicht nothwendig auf int- zurück- geführt zu werden braucht, obſchon wir nhd. ent-bren- nen, ent-zünden gebrauchen. Unſer heutiges ent-bieten führt allerdings auf ahd. in-piotan aus int-piotan, agſ. on-bëodan aus and-bëodan; allein Ulf. gibt ana-biudan, kein and-biudan. Man hat auch die parallele compoſition der ſubſt. zu beachten, das ahd. in-pot (mandatum) monſ. 379. 384. ſpricht nicht für in-piotan aus int-piotan; in- piƷ oder in-pîƷ (ſ. 760.) nicht für in-pîƷan aus int-pîƷan, widerlegen ſie aber nicht gänzlich. Hingegen and-fanc zu in-fâhan aus int-fâhan ſtimmt. Die materielle vermi- ſchung der drei partikeln kann zu der formellen beige- tragen haben, wohei ſich nur im ahd. und mhd., nicht im agſ., rückſicht auf den anlaut des verbums entwickelte. Die formelle verderbnis läßt ſich aber nicht leugnen, da F f f

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Deutsche Grammatik. Bd. 2. Göttingen, 1826, S. 817. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_grammatik02_1826/835>, abgerufen am 22.11.2024.