Der älteste Sohn war indeß zu einem Schreiner in die Lehr gegangen, und als seine Jahre herum waren, und er auf die Wander- schaft wollte, gab ihm dieser ein Tischgen deck dich. Er brauchte nur zu sagen: Tischgen deck dich! so war das Tischgen mit weißem Tuch ge- deckt, ein silberner Teller stand da, silberne Mes- ser und Gabel lagen dabei, vorn ein Cristall- glas mit rothem Wein gefüllt, und rund herum die schönsten Schüsseln voll Essen. Damit zog er vergnügt in die Welt, und wo er war, im Feld, im Wald oder in einer Wirthsstube, wenn er sein Tischgen hinsetzte und: "Tischgen deck dich sagte, so hatte er die prächtigste Mahlzeit. Einmal kam er in ein Wirthshaus, wo die Gäste schon alle versammelt waren, sie fragten ihn, ob er mitessen wollte, er antwortete: nein "aber ihr sollt mit mir essen." Damit stellte er sein Tischgen in die Stube, sprach: "Tischgen, deck dich!" da stand es voll von dem kostbarsten Essen und wenn eine Schüssel abgehoben war, kam alsbald eine neue an ihre Stelle, und alle Gäste wurden herrlich tractirt. Der Wirth ge- dachte, wenn du ein solches Tischgen hättest, wärst du ein reicher Mann, und Nachts als der fremde Schreiner eingeschlafen war, und sein Tischgen in eine Ecke gestellt hatte, holte er ein anderes, das ebenso aussah, und stellte es für das ächte hin. Am Morgen früh stand der
Der aͤlteſte Sohn war indeß zu einem Schreiner in die Lehr gegangen, und als ſeine Jahre herum waren, und er auf die Wander- ſchaft wollte, gab ihm dieſer ein Tiſchgen deck dich. Er brauchte nur zu ſagen: Tiſchgen deck dich! ſo war das Tiſchgen mit weißem Tuch ge- deckt, ein ſilberner Teller ſtand da, ſilberne Meſ- ſer und Gabel lagen dabei, vorn ein Criſtall- glas mit rothem Wein gefuͤllt, und rund herum die ſchoͤnſten Schuͤſſeln voll Eſſen. Damit zog er vergnuͤgt in die Welt, und wo er war, im Feld, im Wald oder in einer Wirthsſtube, wenn er ſein Tiſchgen hinſetzte und: „Tiſchgen deck dich ſagte, ſo hatte er die praͤchtigſte Mahlzeit. Einmal kam er in ein Wirthshaus, wo die Gaͤſte ſchon alle verſammelt waren, ſie fragten ihn, ob er miteſſen wollte, er antwortete: nein „aber ihr ſollt mit mir eſſen.“ Damit ſtellte er ſein Tiſchgen in die Stube, ſprach: „Tiſchgen, deck dich!“ da ſtand es voll von dem koſtbarſten Eſſen und wenn eine Schuͤſſel abgehoben war, kam alsbald eine neue an ihre Stelle, und alle Gaͤſte wurden herrlich tractirt. Der Wirth ge- dachte, wenn du ein ſolches Tiſchgen haͤtteſt, waͤrſt du ein reicher Mann, und Nachts als der fremde Schreiner eingeſchlafen war, und ſein Tiſchgen in eine Ecke geſtellt hatte, holte er ein anderes, das ebenſo ausſah, und ſtellte es fuͤr das aͤchte hin. Am Morgen fruͤh ſtand der
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Der aͤlteſte Sohn war indeß zu einem
Schreiner in die Lehr gegangen, und als ſeine
Jahre herum waren, und er auf die Wander-
ſchaft wollte, gab ihm dieſer ein Tiſchgen deck
dich. Er brauchte nur zu ſagen: Tiſchgen deck
dich! ſo war das Tiſchgen mit weißem Tuch ge-
deckt, ein ſilberner Teller ſtand da, ſilberne Meſ-
ſer und Gabel lagen dabei, vorn ein Criſtall-
glas mit rothem Wein gefuͤllt, und rund herum
die ſchoͤnſten Schuͤſſeln voll Eſſen. Damit zog
er vergnuͤgt in die Welt, und wo er war, im
Feld, im Wald oder in einer Wirthsſtube, wenn
er ſein Tiſchgen hinſetzte und: „Tiſchgen deck
dich ſagte, ſo hatte er die praͤchtigſte Mahlzeit.
Einmal kam er in ein Wirthshaus, wo die Gaͤſte
ſchon alle verſammelt waren, ſie fragten ihn,
ob er miteſſen wollte, er antwortete: nein „aber
ihr ſollt mit mir eſſen.“ Damit ſtellte er ſein
Tiſchgen in die Stube, ſprach: „Tiſchgen, deck
dich!“ da ſtand es voll von dem koſtbarſten
Eſſen und wenn eine Schuͤſſel abgehoben war,
kam alsbald eine neue an ihre Stelle, und alle
Gaͤſte wurden herrlich tractirt. Der Wirth ge-
dachte, wenn du ein ſolches Tiſchgen haͤtteſt,
waͤrſt du ein reicher Mann, und Nachts als
der fremde Schreiner eingeſchlafen war, und ſein
Tiſchgen in eine Ecke geſtellt hatte, holte er ein
anderes, das ebenſo ausſah, und ſtellte es fuͤr
das aͤchte hin. Am Morgen fruͤh ſtand der
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/198>, abgerufen am 24.11.2024.
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