Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819.

Bild:
<< vorherige Seite

soll sie auch ihr gutes Futter haben, sagte der Schneider, und jeden Tag auf die Weide geführt werden." Nun mußten sie die Söhne nach der Reihe hinausführen. Der älteste brachte sie auf den Kirchhof, wo schöne Kräuter standen und ließ sie da herum springen und fressen. Abends, als er mit ihr heim wollte, sprach er: "Ziege, bist du satt?" die Ziege antwortete:

"ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!"

"So komm nach Haus" sprach der Junge, faßte sie am Strickchen und führte sie heim in den Stall und band sie fest. "Nun, sagte der alte Schneider, hat die Ziege ihr Futter?" "O, sprach der Sohn, die ist so satt, sie mag kein Blatt." Der Vater wollte aber selbst nachsehen, ging in den Stall und fragte: "Ziege, bist du auch satt?" Da antwortete das Thier:

"wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur über Gräbelein
und fand kein einzig Blättelein: meh! meh!"

Der Schneider ward zornig, lief hinauf und sprach zu dem Jungen: "ei du Lügner, was hast du meine Ziege hungern lassen?" nahm seinen Stock von der Wand und jagte ihn hinaus. Am andern Tag war die Reihe am zweiten, der führte die Ziege auch unter lauter gute Kräuter, die fraß sie alle rein ab. Abends als er heim wollte, sprach er: "Ziege bist du satt?" die Ziege antwortete:

"ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!"

soll sie auch ihr gutes Futter haben, sagte der Schneider, und jeden Tag auf die Weide gefuͤhrt werden.“ Nun mußten sie die Soͤhne nach der Reihe hinausfuͤhren. Der aͤlteste brachte sie auf den Kirchhof, wo schoͤne Kraͤuter standen und ließ sie da herum springen und fressen. Abends, als er mit ihr heim wollte, sprach er: „Ziege, bist du satt?“ die Ziege antwortete:

„ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!“

„So komm nach Haus“ sprach der Junge, faßte sie am Strickchen und fuͤhrte sie heim in den Stall und band sie fest. „Nun, sagte der alte Schneider, hat die Ziege ihr Futter?“ „O, sprach der Sohn, die ist so satt, sie mag kein Blatt.“ Der Vater wollte aber selbst nachsehen, ging in den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?“ Da antwortete das Thier:

„wovon sollt ich satt sein?
ich sprang nur uͤber Graͤbelein
und fand kein einzig Blaͤttelein: meh! meh!“

Der Schneider ward zornig, lief hinauf und sprach zu dem Jungen: „ei du Luͤgner, was hast du meine Ziege hungern lassen?“ nahm seinen Stock von der Wand und jagte ihn hinaus. Am andern Tag war die Reihe am zweiten, der fuͤhrte die Ziege auch unter lauter gute Kraͤuter, die fraß sie alle rein ab. Abends als er heim wollte, sprach er: „Ziege bist du satt?“ die Ziege antwortete:

„ich bin so satt,
ich mag kein Blatt: meh! meh!“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0244" n="180"/>
soll sie auch ihr gutes Futter haben, sagte der Schneider, und jeden Tag auf die Weide gefu&#x0364;hrt werden.&#x201C; Nun mußten sie die So&#x0364;hne nach der Reihe hinausfu&#x0364;hren. Der a&#x0364;lteste brachte sie auf den Kirchhof, wo scho&#x0364;ne Kra&#x0364;uter standen und ließ sie da herum springen und fressen. Abends, als er mit ihr heim wollte, sprach er: &#x201E;Ziege, bist du satt?&#x201C; die Ziege antwortete:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;ich bin so satt,</l><lb/>
          <l>ich mag kein Blatt: meh! meh!&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>&#x201E;So komm nach Haus&#x201C; sprach der Junge, faßte sie am Strickchen und fu&#x0364;hrte sie heim in den Stall und band sie fest. &#x201E;Nun, sagte der alte Schneider, hat die Ziege ihr Futter?&#x201C; &#x201E;O, sprach der Sohn, die ist so satt, sie mag kein Blatt.&#x201C; Der Vater wollte aber selbst nachsehen, ging in den Stall und fragte: &#x201E;Ziege, bist du auch satt?&#x201C; Da antwortete das Thier:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;wovon sollt ich satt sein?</l><lb/>
          <l>ich sprang nur u&#x0364;ber Gra&#x0364;belein</l><lb/>
          <l>und fand kein einzig Bla&#x0364;ttelein: meh! meh!&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
        <p>Der Schneider ward zornig, lief hinauf und sprach zu dem Jungen: &#x201E;ei du Lu&#x0364;gner, was hast du meine Ziege hungern lassen?&#x201C; nahm seinen Stock von der Wand und jagte ihn hinaus. Am andern Tag war die Reihe am zweiten, der fu&#x0364;hrte die Ziege auch unter lauter gute Kra&#x0364;uter, die fraß sie alle rein ab. Abends als er heim wollte, sprach er: &#x201E;Ziege bist du satt?&#x201C; die Ziege antwortete:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;ich bin so satt,</l><lb/>
          <l>ich mag kein Blatt: meh! meh!&#x201C;</l><lb/>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0244] soll sie auch ihr gutes Futter haben, sagte der Schneider, und jeden Tag auf die Weide gefuͤhrt werden.“ Nun mußten sie die Soͤhne nach der Reihe hinausfuͤhren. Der aͤlteste brachte sie auf den Kirchhof, wo schoͤne Kraͤuter standen und ließ sie da herum springen und fressen. Abends, als er mit ihr heim wollte, sprach er: „Ziege, bist du satt?“ die Ziege antwortete: „ich bin so satt, ich mag kein Blatt: meh! meh!“ „So komm nach Haus“ sprach der Junge, faßte sie am Strickchen und fuͤhrte sie heim in den Stall und band sie fest. „Nun, sagte der alte Schneider, hat die Ziege ihr Futter?“ „O, sprach der Sohn, die ist so satt, sie mag kein Blatt.“ Der Vater wollte aber selbst nachsehen, ging in den Stall und fragte: „Ziege, bist du auch satt?“ Da antwortete das Thier: „wovon sollt ich satt sein? ich sprang nur uͤber Graͤbelein und fand kein einzig Blaͤttelein: meh! meh!“ Der Schneider ward zornig, lief hinauf und sprach zu dem Jungen: „ei du Luͤgner, was hast du meine Ziege hungern lassen?“ nahm seinen Stock von der Wand und jagte ihn hinaus. Am andern Tag war die Reihe am zweiten, der fuͤhrte die Ziege auch unter lauter gute Kraͤuter, die fraß sie alle rein ab. Abends als er heim wollte, sprach er: „Ziege bist du satt?“ die Ziege antwortete: „ich bin so satt, ich mag kein Blatt: meh! meh!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12545-9) in Bd. 1, S. 7–27 ein aussagekräftiges Vorwort.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/244
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 1. Berlin, 1819, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1819/244>, abgerufen am 17.05.2024.