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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837.

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schwimmen sah, und es waren keine anderen, als jene, welchen er das Leben gerettet hatte. Der mittelste hielt eine Muschel im Munde, die er an den Strand zu Füßen des Jünglings hinlegte, und als dieser sie aufhob und öffnete, so lag der Goldring darin. Voll Freude brachte er ihn dem Könige, und erwartete daß er ihm dafür den verheißenen Lohn gewähren würde. Die stolze Königstochter aber, als sie vernahm, daß er ihr nicht ebenbürtig war, verschmähte ihn, und verlangte er solle erst eine zweite Aufgabe lösen. Sie gieng hinab in den Garten, und streute selbst zehn Säcke voll Hirsen ins Gras. 'Die muß er Morgen, eh die Sonne hervor kommt, aufgelesen haben,' sprach sie 'und darf kein Körnchen fehlen.' Vergeblich sann der Jüngling wie er diese Forderung erfüllen könnte, er saß traurig im Garten, und erwartete bei Anbruch des Morgens zum Tode geführt zu werden. Als aber die ersten Sonnenstrahlen in den Garten fielen, so sah er die zehn Säcke rund um gefüllt neben einander stehen, und kein Körnchen fehlte darin. Der Ameisenkönig war mit seinen viel tausend Ameisen in der Nacht herangekommen, und die dankbaren Thiere hatten den Hirsen mit großer Emsigkeit aufgelesen und in die Säcke gesammelt. Die Königstochter kam selbst in den Garten herab, und sah mit Verwunderung daß der Jüngling vollbracht hatte was ihm aufgegeben war. Aber sie konnte ihr stolzes Herz noch nicht bezwingen, und sprach 'hat er auch die beiden Aufgaben gelöst, so soll er doch nicht eher mein Gemahl werden, bis er mir einen Apfel vom Baume des Lebens gebracht hat.' Der Jüngling hätte aber niemals den Baum des

schwimmen sah, und es waren keine anderen, als jene, welchen er das Leben gerettet hatte. Der mittelste hielt eine Muschel im Munde, die er an den Strand zu Fuͤßen des Juͤnglings hinlegte, und als dieser sie aufhob und oͤffnete, so lag der Goldring darin. Voll Freude brachte er ihn dem Koͤnige, und erwartete daß er ihm dafuͤr den verheißenen Lohn gewaͤhren wuͤrde. Die stolze Koͤnigstochter aber, als sie vernahm, daß er ihr nicht ebenbuͤrtig war, verschmaͤhte ihn, und verlangte er solle erst eine zweite Aufgabe loͤsen. Sie gieng hinab in den Garten, und streute selbst zehn Saͤcke voll Hirsen ins Gras. ‘Die muß er Morgen, eh die Sonne hervor kommt, aufgelesen haben,’ sprach sie ‘und darf kein Koͤrnchen fehlen.’ Vergeblich sann der Juͤngling wie er diese Forderung erfuͤllen koͤnnte, er saß traurig im Garten, und erwartete bei Anbruch des Morgens zum Tode gefuͤhrt zu werden. Als aber die ersten Sonnenstrahlen in den Garten fielen, so sah er die zehn Saͤcke rund um gefuͤllt neben einander stehen, und kein Koͤrnchen fehlte darin. Der Ameisenkoͤnig war mit seinen viel tausend Ameisen in der Nacht herangekommen, und die dankbaren Thiere hatten den Hirsen mit großer Emsigkeit aufgelesen und in die Saͤcke gesammelt. Die Koͤnigstochter kam selbst in den Garten herab, und sah mit Verwunderung daß der Juͤngling vollbracht hatte was ihm aufgegeben war. Aber sie konnte ihr stolzes Herz noch nicht bezwingen, und sprach ‘hat er auch die beiden Aufgaben geloͤst, so soll er doch nicht eher mein Gemahl werden, bis er mir einen Apfel vom Baume des Lebens gebracht hat.’ Der Juͤngling haͤtte aber niemals den Baum des

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[112/0143] schwimmen sah, und es waren keine anderen, als jene, welchen er das Leben gerettet hatte. Der mittelste hielt eine Muschel im Munde, die er an den Strand zu Fuͤßen des Juͤnglings hinlegte, und als dieser sie aufhob und oͤffnete, so lag der Goldring darin. Voll Freude brachte er ihn dem Koͤnige, und erwartete daß er ihm dafuͤr den verheißenen Lohn gewaͤhren wuͤrde. Die stolze Koͤnigstochter aber, als sie vernahm, daß er ihr nicht ebenbuͤrtig war, verschmaͤhte ihn, und verlangte er solle erst eine zweite Aufgabe loͤsen. Sie gieng hinab in den Garten, und streute selbst zehn Saͤcke voll Hirsen ins Gras. ‘Die muß er Morgen, eh die Sonne hervor kommt, aufgelesen haben,’ sprach sie ‘und darf kein Koͤrnchen fehlen.’ Vergeblich sann der Juͤngling wie er diese Forderung erfuͤllen koͤnnte, er saß traurig im Garten, und erwartete bei Anbruch des Morgens zum Tode gefuͤhrt zu werden. Als aber die ersten Sonnenstrahlen in den Garten fielen, so sah er die zehn Saͤcke rund um gefuͤllt neben einander stehen, und kein Koͤrnchen fehlte darin. Der Ameisenkoͤnig war mit seinen viel tausend Ameisen in der Nacht herangekommen, und die dankbaren Thiere hatten den Hirsen mit großer Emsigkeit aufgelesen und in die Saͤcke gesammelt. Die Koͤnigstochter kam selbst in den Garten herab, und sah mit Verwunderung daß der Juͤngling vollbracht hatte was ihm aufgegeben war. Aber sie konnte ihr stolzes Herz noch nicht bezwingen, und sprach ‘hat er auch die beiden Aufgaben geloͤst, so soll er doch nicht eher mein Gemahl werden, bis er mir einen Apfel vom Baume des Lebens gebracht hat.’ Der Juͤngling haͤtte aber niemals den Baum des

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1837, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1837/143>, abgerufen am 19.05.2024.