Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall, und sprach 'morgen soll die Kuh da geschlachtet werden.' Da ward dem Daumerling angst, daß er mit heller Stimme rief 'laßt mich erst heraus, ich sitze ja drin.' Der Herr hörte ihn wohl, wußte aber nicht, wo die Stimme herkam, und sprach 'wo bist du?' 'Jn der schwarzen,' antwortete er, aber der Herr verstand nicht was das heißen sollte, und gieng fort.

Am andern Morgen wurde die Kuh geschlachtet; glücklicherweise traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumerling kein Hieb, aber er gerieth unter das Wurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat, und seine Arbeit anfieng, schrie er aus Leibeskräften 'hackt nicht zu tief, hackt nicht zu tief, ich stecke ja drunter.' Vor dem Lärmen der Hackmesser hörte das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerling seine Noth, aber die Noth macht Beine, und da sprang er so behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anrührte, und er mit heiler Haut davon kam. Aber entspringen konnte er auch nicht: es war keine andre Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunter stopfen lassen. Da war das Quartier etwas enge, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchern aufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlich im Winter wurde er herunter geholt, weil die Wurst einem Gast sollte vorgesetzt werden. Als nun die Frau Wirthin die Wurst in Scheiben schnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit ihm nicht etwa der Hals

Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall, und sprach ‘morgen soll die Kuh da geschlachtet werden.’ Da ward dem Daumerling angst, daß er mit heller Stimme rief ‘laßt mich erst heraus, ich sitze ja drin.’ Der Herr hörte ihn wohl, wußte aber nicht, wo die Stimme herkam, und sprach ‘wo bist du?’ ‘Jn der schwarzen,’ antwortete er, aber der Herr verstand nicht was das heißen sollte, und gieng fort.

Am andern Morgen wurde die Kuh geschlachtet; glücklicherweise traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumerling kein Hieb, aber er gerieth unter das Wurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat, und seine Arbeit anfieng, schrie er aus Leibeskräften ‘hackt nicht zu tief, hackt nicht zu tief, ich stecke ja drunter.’ Vor dem Lärmen der Hackmesser hörte das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerling seine Noth, aber die Noth macht Beine, und da sprang er so behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anrührte, und er mit heiler Haut davon kam. Aber entspringen konnte er auch nicht: es war keine andre Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunter stopfen lassen. Da war das Quartier etwas enge, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchern aufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlich im Winter wurde er herunter geholt, weil die Wurst einem Gast sollte vorgesetzt werden. Als nun die Frau Wirthin die Wurst in Scheiben schnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit ihm nicht etwa der Hals

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0317" n="268"/>
        <p> Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall, und sprach &#x2018;morgen soll die Kuh da geschlachtet werden.&#x2019; Da ward dem Daumerling angst, daß er mit heller Stimme rief &#x2018;laßt mich erst heraus, ich sitze ja drin.&#x2019; Der Herr hörte ihn wohl, wußte aber nicht, wo die Stimme herkam, und sprach &#x2018;wo bist du?&#x2019; &#x2018;Jn der schwarzen,&#x2019; antwortete er, aber der Herr verstand nicht was das heißen sollte, und gieng fort.</p><lb/>
        <p>Am andern Morgen wurde die Kuh geschlachtet; glücklicherweise traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumerling kein Hieb, aber er gerieth unter das Wurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat, und seine Arbeit anfieng, schrie er aus Leibeskräften &#x2018;hackt nicht zu tief, hackt nicht zu tief, ich stecke ja drunter.&#x2019; Vor dem Lärmen der Hackmesser hörte das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerling seine Noth, aber die Noth macht Beine, und da sprang er so behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anrührte, und er mit heiler Haut davon kam. Aber entspringen konnte er auch nicht: es war keine andre Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunter stopfen lassen. Da war das Quartier etwas enge, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchern aufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlich im Winter wurde er herunter geholt, weil die Wurst einem Gast sollte vorgesetzt werden. Als nun die Frau Wirthin die Wurst in Scheiben schnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit ihm nicht etwa der Hals
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0317] Doch bei dem Geräusch des Melkens wurde er nicht verstanden. Hernach trat der Hausherr in den Stall, und sprach ‘morgen soll die Kuh da geschlachtet werden.’ Da ward dem Daumerling angst, daß er mit heller Stimme rief ‘laßt mich erst heraus, ich sitze ja drin.’ Der Herr hörte ihn wohl, wußte aber nicht, wo die Stimme herkam, und sprach ‘wo bist du?’ ‘Jn der schwarzen,’ antwortete er, aber der Herr verstand nicht was das heißen sollte, und gieng fort. Am andern Morgen wurde die Kuh geschlachtet; glücklicherweise traf bei dem Zerhacken und Zerlegen den Daumerling kein Hieb, aber er gerieth unter das Wurstfleisch. Wie nun der Metzger herbeitrat, und seine Arbeit anfieng, schrie er aus Leibeskräften ‘hackt nicht zu tief, hackt nicht zu tief, ich stecke ja drunter.’ Vor dem Lärmen der Hackmesser hörte das kein Mensch. Nun hatte der arme Daumerling seine Noth, aber die Noth macht Beine, und da sprang er so behend zwischen den Hackmessern durch, daß ihn keins anrührte, und er mit heiler Haut davon kam. Aber entspringen konnte er auch nicht: es war keine andre Auskunft, er mußte sich mit den Speckbrocken in eine Blutwurst hinunter stopfen lassen. Da war das Quartier etwas enge, und dazu ward er noch in den Schornstein zum Räuchern aufgehängt, wo ihm Zeit und Weile gewaltig lang wurde. Endlich im Winter wurde er herunter geholt, weil die Wurst einem Gast sollte vorgesetzt werden. Als nun die Frau Wirthin die Wurst in Scheiben schnitt, nahm er sich in acht, daß er den Kopf nicht zu weit vorstreckte, damit ihm nicht etwa der Hals

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-07-24T14:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/317
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1840, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1840/317>, abgerufen am 22.11.2024.