Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.Sie graben eine sieben Klafter tiefe und lange Grube, in welche Gesser kriecht. Dann wird sie mit einer weißen Steinplatte bedeckt, über welche eine gemalte Decke gelegt wird: auf diese kommt eine dünne Erdschicht, weiter Heu und grüne Kräuter: endlich wird ein mit Wasser gefüllter Kessel darüber gestellt und um dieses Wasser gepflückte Federn von allerlei Vögeln gestreut. Abends, als die Sonne roth wird, kommt der Riese auf seinem kupfergrünen, mit einem Elenthier beladenen Maulthier heim. Das Maulthier, als es sich nähert, schnaubt mit der Nase, nimmt das Gebiß zwischen die Zähne, kaut daran, macht Sätze und Sprünge, und wühlt die Erde auf; auch die beiden Grauschimmel des Riesen laufen unruhig hin und her. Der Riese vermuthet einen Betrug der Frau: 'ist etwa ein Feind gekommen?' ruft er, 'meine Nase empfindet einen Geruch wie von Mistkäfern (in den deutschen Märchen 'ich wittere Menschenfleisch'). Die Frau beruhigt ihn, er aber verlangt seine wahrsagenden Fäden und sagt ihr dabei wie sie sich benehmen müsse, damit die Deutung daraus nicht unzuverlässig werde: unter andern soll sie sorgen daß die Fäden nicht unterhalb eines Hundeskopfe kommen. Sie thut gerade was er verbietet und überreicht ihm dann die rothen Fäden, die er auf seinem Maulthier sitzend untersucht. 'Weh,' ruft er, 'Gesser ist gekommen! wie es scheint liegt er unter meinem Herde begraben, mit einer Steinplatte bedeckt und mit schwarzer Erde überstreut.' Die Frau antwortet 'was schwätzest du da? habe ich Gesser begraben? blauer Himmel da oben, werde mein Vater und rede! Erdfläche hier unten, werde ein Mensch und rede! horcht und vernehmt was zwischen uns beiden gesprochen wird.' Da ruft eine Verwandlung Gessers als Mensch oben vom Himmel 'du bist den Gesser geringschätzend hergekommen, jetzt trage dein Schicksal.' Sodann ruft er selbst aus der Tiefe 'des Riesen Gezänk ist unerträglich.' Als der Riese das hört, spricht er 'das ist doch Sie graben eine sieben Klafter tiefe und lange Grube, in welche Gesser kriecht. Dann wird sie mit einer weißen Steinplatte bedeckt, über welche eine gemalte Decke gelegt wird: auf diese kommt eine dünne Erdschicht, weiter Heu und grüne Kräuter: endlich wird ein mit Wasser gefüllter Kessel darüber gestellt und um dieses Wasser gepflückte Federn von allerlei Vögeln gestreut. Abends, als die Sonne roth wird, kommt der Riese auf seinem kupfergrünen, mit einem Elenthier beladenen Maulthier heim. Das Maulthier, als es sich nähert, schnaubt mit der Nase, nimmt das Gebiß zwischen die Zähne, kaut daran, macht Sätze und Sprünge, und wühlt die Erde auf; auch die beiden Grauschimmel des Riesen laufen unruhig hin und her. Der Riese vermuthet einen Betrug der Frau: ‘ist etwa ein Feind gekommen?’ ruft er, ‘meine Nase empfindet einen Geruch wie von Mistkäfern (in den deutschen Märchen ‘ich wittere Menschenfleisch’). Die Frau beruhigt ihn, er aber verlangt seine wahrsagenden Fäden und sagt ihr dabei wie sie sich benehmen müsse, damit die Deutung daraus nicht unzuverlässig werde: unter andern soll sie sorgen daß die Fäden nicht unterhalb eines Hundeskopfe kommen. Sie thut gerade was er verbietet und überreicht ihm dann die rothen Fäden, die er auf seinem Maulthier sitzend untersucht. ‘Weh,’ ruft er, ‘Gesser ist gekommen! wie es scheint liegt er unter meinem Herde begraben, mit einer Steinplatte bedeckt und mit schwarzer Erde überstreut.’ Die Frau antwortet ‘was schwätzest du da? habe ich Gesser begraben? blauer Himmel da oben, werde mein Vater und rede! Erdfläche hier unten, werde ein Mensch und rede! horcht und vernehmt was zwischen uns beiden gesprochen wird.’ Da ruft eine Verwandlung Gessers als Mensch oben vom Himmel ‘du bist den Gesser geringschätzend hergekommen, jetzt trage dein Schicksal.’ Sodann ruft er selbst aus der Tiefe ‘des Riesen Gezänk ist unerträglich.’ Als der Riese das hört, spricht er ‘das ist doch <TEI> <text> <front> <div type="preface"> <p><pb facs="#f0049" n="XLIII"/> Sie graben eine sieben Klafter tiefe und lange Grube, in welche Gesser kriecht. Dann wird sie mit einer weißen Steinplatte bedeckt, über welche eine gemalte Decke gelegt wird: auf diese kommt eine dünne Erdschicht, weiter Heu und grüne Kräuter: endlich wird ein mit Wasser gefüllter Kessel darüber gestellt und um dieses Wasser gepflückte Federn von allerlei Vögeln gestreut. Abends, als die Sonne roth wird, kommt der Riese auf seinem kupfergrünen, mit einem Elenthier beladenen Maulthier heim. Das Maulthier, als es sich nähert, schnaubt mit der Nase, nimmt das Gebiß zwischen die Zähne, kaut daran, macht Sätze und Sprünge, und wühlt die Erde auf; auch die beiden Grauschimmel des Riesen laufen unruhig hin und her. Der Riese vermuthet einen Betrug der Frau: ‘ist etwa ein Feind gekommen?’ ruft er, ‘meine Nase empfindet einen Geruch wie von Mistkäfern (in den deutschen Märchen ‘ich wittere Menschenfleisch’). Die Frau beruhigt ihn, er aber verlangt seine wahrsagenden Fäden und sagt ihr dabei wie sie sich benehmen müsse, damit die Deutung daraus nicht unzuverlässig werde: unter andern soll sie sorgen daß die Fäden nicht unterhalb eines Hundeskopfe kommen. Sie thut gerade was er verbietet und überreicht ihm dann die rothen Fäden, die er auf seinem Maulthier sitzend untersucht. ‘Weh,’ ruft er, ‘Gesser ist gekommen! wie es scheint liegt er unter meinem Herde begraben, mit einer Steinplatte bedeckt und mit schwarzer Erde überstreut.’ Die Frau antwortet ‘was schwätzest du da? habe ich Gesser begraben? blauer Himmel da oben, werde mein Vater und rede! Erdfläche hier unten, werde ein Mensch und rede! horcht und vernehmt was zwischen uns beiden gesprochen wird.’ Da ruft eine Verwandlung Gessers als Mensch oben vom Himmel ‘du bist den Gesser geringschätzend hergekommen, jetzt trage dein Schicksal.’ Sodann ruft er selbst aus der Tiefe ‘des Riesen Gezänk ist unerträglich.’ Als der Riese das hört, spricht er ‘das ist doch </p> </div> </front> </text> </TEI> [XLIII/0049]
Sie graben eine sieben Klafter tiefe und lange Grube, in welche Gesser kriecht. Dann wird sie mit einer weißen Steinplatte bedeckt, über welche eine gemalte Decke gelegt wird: auf diese kommt eine dünne Erdschicht, weiter Heu und grüne Kräuter: endlich wird ein mit Wasser gefüllter Kessel darüber gestellt und um dieses Wasser gepflückte Federn von allerlei Vögeln gestreut. Abends, als die Sonne roth wird, kommt der Riese auf seinem kupfergrünen, mit einem Elenthier beladenen Maulthier heim. Das Maulthier, als es sich nähert, schnaubt mit der Nase, nimmt das Gebiß zwischen die Zähne, kaut daran, macht Sätze und Sprünge, und wühlt die Erde auf; auch die beiden Grauschimmel des Riesen laufen unruhig hin und her. Der Riese vermuthet einen Betrug der Frau: ‘ist etwa ein Feind gekommen?’ ruft er, ‘meine Nase empfindet einen Geruch wie von Mistkäfern (in den deutschen Märchen ‘ich wittere Menschenfleisch’). Die Frau beruhigt ihn, er aber verlangt seine wahrsagenden Fäden und sagt ihr dabei wie sie sich benehmen müsse, damit die Deutung daraus nicht unzuverlässig werde: unter andern soll sie sorgen daß die Fäden nicht unterhalb eines Hundeskopfe kommen. Sie thut gerade was er verbietet und überreicht ihm dann die rothen Fäden, die er auf seinem Maulthier sitzend untersucht. ‘Weh,’ ruft er, ‘Gesser ist gekommen! wie es scheint liegt er unter meinem Herde begraben, mit einer Steinplatte bedeckt und mit schwarzer Erde überstreut.’ Die Frau antwortet ‘was schwätzest du da? habe ich Gesser begraben? blauer Himmel da oben, werde mein Vater und rede! Erdfläche hier unten, werde ein Mensch und rede! horcht und vernehmt was zwischen uns beiden gesprochen wird.’ Da ruft eine Verwandlung Gessers als Mensch oben vom Himmel ‘du bist den Gesser geringschätzend hergekommen, jetzt trage dein Schicksal.’ Sodann ruft er selbst aus der Tiefe ‘des Riesen Gezänk ist unerträglich.’ Als der Riese das hört, spricht er ‘das ist doch
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