dich immer, hast du vergessen, wie viel Königs- söhne schon umsonst da gewesen sind; dem Solda- ten hätt' ich nicht einmal brauchen einen Schlaf- trunk zu geben, er wär' doch nicht aufgewacht." Wie sie alle fertig waren, kamen sie erst zu dem Soldaten, aber der rührte und regte sich nicht, und wie sie nun glaubten, ganz sicher zu seyn, so ging die älteste an ihr Bett und klopfte daran; alsbald sank es in die Erde und öffnete sich eine Fallthür. Da sah der Soldat, wie sie hinunter stiegen, eine nach der andern, die älteste voran, also daß keine Zeit für ihn zu verlieren war, er sich aufrichtete, sein Mäntelchen umhing, und hinter der jüngsten mit hinab stieg. Mitten auf der Treppe trat er ihr ein wenig aufs Kleid; da erschrack sie und rief: "es ist nicht richtig, es hält mich was am Kleid." "Stell dich nicht so ein- fältig, sagte die älteste, du bist an einem Haken hängen geblieben." Da gingen sie vollends hin- ab, und wie sie unten waren, standen sie in einem wunderprächtigen Baumgang, da waren alle Blät- ter von Silber, und schimmerten und glänzten. Der Soldat dachte, du willst dir ein Wahrzeichen mitnehmen, und brach einen Zweig davon ab, da kam ein gewaltiger Knall aus dem Baume. Die jüngste rief wieder: "es ist nicht richtig, habt ihr den Knall gehört, das ist noch nie hier gesche- hen." Die älteste aber sprach: "das sind Freu- denschüsse, weil wir unsere Prinzen bald erlöst
dich immer, haſt du vergeſſen, wie viel Koͤnigs- ſoͤhne ſchon umſonſt da geweſen ſind; dem Solda- ten haͤtt’ ich nicht einmal brauchen einen Schlaf- trunk zu geben, er waͤr’ doch nicht aufgewacht.“ Wie ſie alle fertig waren, kamen ſie erſt zu dem Soldaten, aber der ruͤhrte und regte ſich nicht, und wie ſie nun glaubten, ganz ſicher zu ſeyn, ſo ging die aͤlteſte an ihr Bett und klopfte daran; alsbald ſank es in die Erde und oͤffnete ſich eine Fallthuͤr. Da ſah der Soldat, wie ſie hinunter ſtiegen, eine nach der andern, die aͤlteſte voran, alſo daß keine Zeit fuͤr ihn zu verlieren war, er ſich aufrichtete, ſein Maͤntelchen umhing, und hinter der juͤngſten mit hinab ſtieg. Mitten auf der Treppe trat er ihr ein wenig aufs Kleid; da erſchrack ſie und rief: „es iſt nicht richtig, es haͤlt mich was am Kleid.“ „Stell dich nicht ſo ein- faͤltig, ſagte die aͤlteſte, du biſt an einem Haken haͤngen geblieben.“ Da gingen ſie vollends hin- ab, und wie ſie unten waren, ſtanden ſie in einem wunderpraͤchtigen Baumgang, da waren alle Blaͤt- ter von Silber, und ſchimmerten und glaͤnzten. Der Soldat dachte, du willſt dir ein Wahrzeichen mitnehmen, und brach einen Zweig davon ab, da kam ein gewaltiger Knall aus dem Baume. Die juͤngſte rief wieder: „es iſt nicht richtig, habt ihr den Knall gehoͤrt, das iſt noch nie hier geſche- hen.“ Die aͤlteſte aber ſprach: „das ſind Freu- denſchuͤſſe, weil wir unſere Prinzen bald erloͤſt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0263"n="242"/>
dich immer, haſt du vergeſſen, wie viel Koͤnigs-<lb/>ſoͤhne ſchon umſonſt da geweſen ſind; dem Solda-<lb/>
ten haͤtt’ ich nicht einmal brauchen einen Schlaf-<lb/>
trunk zu geben, er waͤr’ doch nicht aufgewacht.“<lb/>
Wie ſie alle fertig waren, kamen ſie erſt zu dem<lb/>
Soldaten, aber der ruͤhrte und regte ſich nicht,<lb/>
und wie ſie nun glaubten, ganz ſicher zu ſeyn, ſo<lb/>
ging die aͤlteſte an ihr Bett und klopfte daran;<lb/>
alsbald ſank es in die Erde und oͤffnete ſich eine<lb/>
Fallthuͤr. Da ſah der Soldat, wie ſie hinunter<lb/>ſtiegen, eine nach der andern, die aͤlteſte voran,<lb/>
alſo daß keine Zeit fuͤr ihn zu verlieren war, er<lb/>ſich aufrichtete, ſein Maͤntelchen umhing, und<lb/>
hinter der juͤngſten mit hinab ſtieg. Mitten auf<lb/>
der Treppe trat er ihr ein wenig aufs Kleid; da<lb/>
erſchrack ſie und rief: „es iſt nicht richtig, es haͤlt<lb/>
mich was am Kleid.“„Stell dich nicht ſo ein-<lb/>
faͤltig, ſagte die aͤlteſte, du biſt an einem Haken<lb/>
haͤngen geblieben.“ Da gingen ſie vollends hin-<lb/>
ab, und wie ſie unten waren, ſtanden ſie in einem<lb/>
wunderpraͤchtigen Baumgang, da waren alle Blaͤt-<lb/>
ter von Silber, und ſchimmerten und glaͤnzten.<lb/>
Der Soldat dachte, du willſt dir ein Wahrzeichen<lb/>
mitnehmen, und brach einen Zweig davon ab,<lb/>
da kam ein gewaltiger Knall aus dem Baume.<lb/>
Die juͤngſte rief wieder: „es iſt nicht richtig, habt<lb/>
ihr den Knall gehoͤrt, das iſt noch nie hier geſche-<lb/>
hen.“ Die aͤlteſte aber ſprach: „das ſind Freu-<lb/>
denſchuͤſſe, weil wir unſere Prinzen bald erloͤſt<lb/></p></div></body></text></TEI>
[242/0263]
dich immer, haſt du vergeſſen, wie viel Koͤnigs-
ſoͤhne ſchon umſonſt da geweſen ſind; dem Solda-
ten haͤtt’ ich nicht einmal brauchen einen Schlaf-
trunk zu geben, er waͤr’ doch nicht aufgewacht.“
Wie ſie alle fertig waren, kamen ſie erſt zu dem
Soldaten, aber der ruͤhrte und regte ſich nicht,
und wie ſie nun glaubten, ganz ſicher zu ſeyn, ſo
ging die aͤlteſte an ihr Bett und klopfte daran;
alsbald ſank es in die Erde und oͤffnete ſich eine
Fallthuͤr. Da ſah der Soldat, wie ſie hinunter
ſtiegen, eine nach der andern, die aͤlteſte voran,
alſo daß keine Zeit fuͤr ihn zu verlieren war, er
ſich aufrichtete, ſein Maͤntelchen umhing, und
hinter der juͤngſten mit hinab ſtieg. Mitten auf
der Treppe trat er ihr ein wenig aufs Kleid; da
erſchrack ſie und rief: „es iſt nicht richtig, es haͤlt
mich was am Kleid.“ „Stell dich nicht ſo ein-
faͤltig, ſagte die aͤlteſte, du biſt an einem Haken
haͤngen geblieben.“ Da gingen ſie vollends hin-
ab, und wie ſie unten waren, ſtanden ſie in einem
wunderpraͤchtigen Baumgang, da waren alle Blaͤt-
ter von Silber, und ſchimmerten und glaͤnzten.
Der Soldat dachte, du willſt dir ein Wahrzeichen
mitnehmen, und brach einen Zweig davon ab,
da kam ein gewaltiger Knall aus dem Baume.
Die juͤngſte rief wieder: „es iſt nicht richtig, habt
ihr den Knall gehoͤrt, das iſt noch nie hier geſche-
hen.“ Die aͤlteſte aber ſprach: „das ſind Freu-
denſchuͤſſe, weil wir unſere Prinzen bald erloͤſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/263>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.