Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

dauert als academie des jeux floraux noch gegenwärtig, ohne
Zweifel, so wie sie angefangen, in wahrer Unpoesie fort.

Unsern Meistergesang wird niemand mit dieser Anstalt in
Verbindung setzen, welche selbst mit den ältesten Troubadours
zusammenhängt, und auf einige andere auswärtige Institute
ihrerseits gewirkt hat.

Im 15ten und 16ten Jahrhundert bildeten sich in Italien
eine Menge poetischer Gesellschaften unter schrecklichen Namen 169),
deren Treiben man nicht erst weiter zu kennen braucht, um zu
urtheilen, daß sie ohne allen inneren Geist aus einer verkehr-
ten Anmaßung entsprungen waren. An ihrem schlechten An-
fang muß man ihnen schon die kurze Dauer ansehen (unähnlich
dem gleichzeitigen Meistersang, der das Aufglimmen einer al-
ten Flamme war), und sie wurden nicht einmal mit der Gründ-
lichkeit getrieben, die bei der fruchtbringenden Gesellschaft und
dem Blumenorden (sicher mehr als jener auswärtig entlehnt) in
Deutschland doch einige Lebensspuren hinterlassen zu haben scheint.

II. Franzosen.

Eine Betrachtung der altfranzösischen Poesie in Beziehung
auf unsern Meistergesang kann weit kürzer seyn, theils weil
der Abstand um vieles gewisser, theils manches von den Pro-
venzalen geradezu übergegangen war 170). Auch hier finden
wir Trouveurs, obwohl keine oder wenig tensons und sirven-
tes
und der chansons überhaupt sind wenig gegenüber der
ungeheueren Zahl von Reimen in erzählenden Gedichten. Auch
können einige Dichterinnen aufgezählt werden.


169) Tiraboschi VII. P. 1. 112.
170) In dem Vestreben der französischen Literatoren, die nördliche
Poesie über die südliche wo möglich zu erheben, liegt außer dem
gar ungerechten, etwas ungründliches. Das Ausschließen der
Provenzalen allein erregt Zweifel gegen den guten Erfolg der
neuesten Preisaufgabe des Pariser Instituts.

dauert als academie des jeux floraux noch gegenwaͤrtig, ohne
Zweifel, ſo wie ſie angefangen, in wahrer Unpoeſie fort.

Unſern Meiſtergeſang wird niemand mit dieſer Anſtalt in
Verbindung ſetzen, welche ſelbſt mit den aͤlteſten Troubadours
zuſammenhaͤngt, und auf einige andere auswaͤrtige Inſtitute
ihrerſeits gewirkt hat.

Im 15ten und 16ten Jahrhundert bildeten ſich in Italien
eine Menge poetiſcher Geſellſchaften unter ſchrecklichen Namen 169),
deren Treiben man nicht erſt weiter zu kennen braucht, um zu
urtheilen, daß ſie ohne allen inneren Geiſt aus einer verkehr-
ten Anmaßung entſprungen waren. An ihrem ſchlechten An-
fang muß man ihnen ſchon die kurze Dauer anſehen (unaͤhnlich
dem gleichzeitigen Meiſterſang, der das Aufglimmen einer al-
ten Flamme war), und ſie wurden nicht einmal mit der Gruͤnd-
lichkeit getrieben, die bei der fruchtbringenden Geſellſchaft und
dem Blumenorden (ſicher mehr als jener auswaͤrtig entlehnt) in
Deutſchland doch einige Lebensſpuren hinterlaſſen zu haben ſcheint.

II. Franzoſen.

Eine Betrachtung der altfranzoͤſiſchen Poeſie in Beziehung
auf unſern Meiſtergeſang kann weit kuͤrzer ſeyn, theils weil
der Abſtand um vieles gewiſſer, theils manches von den Pro-
venzalen geradezu uͤbergegangen war 170). Auch hier finden
wir Trouveurs, obwohl keine oder wenig tensons und sirven-
tes
und der chansons uͤberhaupt ſind wenig gegenuͤber der
ungeheueren Zahl von Reimen in erzaͤhlenden Gedichten. Auch
koͤnnen einige Dichterinnen aufgezaͤhlt werden.


169) Tiraboschi VII. P. 1. 112.
170) In dem Veſtreben der franzoͤſiſchen Literatoren, die noͤrdliche
Poeſie uͤber die ſuͤdliche wo moͤglich zu erheben, liegt außer dem
gar ungerechten, etwas ungruͤndliches. Das Ausſchließen der
Provenzalen allein erregt Zweifel gegen den guten Erfolg der
neueſten Preisaufgabe des Pariſer Inſtituts.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0163" n="153"/>
dauert als <hi rendition="#aq">academie des jeux floraux</hi> noch gegenwa&#x0364;rtig, ohne<lb/>
Zweifel, &#x017F;o wie &#x017F;ie angefangen, in wahrer Unpoe&#x017F;ie fort.</p><lb/>
            <p>Un&#x017F;ern Mei&#x017F;terge&#x017F;ang wird niemand mit die&#x017F;er An&#x017F;talt in<lb/>
Verbindung &#x017F;etzen, welche &#x017F;elb&#x017F;t mit den a&#x0364;lte&#x017F;ten Troubadours<lb/>
zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngt, und auf einige andere auswa&#x0364;rtige In&#x017F;titute<lb/>
ihrer&#x017F;eits gewirkt hat.</p><lb/>
            <p>Im 15ten und 16ten Jahrhundert bildeten &#x017F;ich in Italien<lb/>
eine Menge poeti&#x017F;cher Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften unter &#x017F;chrecklichen Namen <note place="foot" n="169)"><hi rendition="#aq">Tiraboschi VII. P.</hi> 1. 112.</note>,<lb/>
deren Treiben man nicht er&#x017F;t weiter zu kennen braucht, um zu<lb/>
urtheilen, daß &#x017F;ie ohne allen inneren Gei&#x017F;t aus einer verkehr-<lb/>
ten Anmaßung ent&#x017F;prungen waren. An ihrem &#x017F;chlechten An-<lb/>
fang muß man ihnen &#x017F;chon die kurze Dauer an&#x017F;ehen (una&#x0364;hnlich<lb/>
dem gleichzeitigen Mei&#x017F;ter&#x017F;ang, der das Aufglimmen einer al-<lb/>
ten Flamme war), und &#x017F;ie wurden nicht einmal mit der Gru&#x0364;nd-<lb/>
lichkeit getrieben, die bei der fruchtbringenden Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft und<lb/>
dem Blumenorden (&#x017F;icher mehr als jener auswa&#x0364;rtig entlehnt) in<lb/>
Deut&#x017F;chland doch einige Lebens&#x017F;puren hinterla&#x017F;&#x017F;en zu haben &#x017F;cheint.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head><hi rendition="#aq">II.</hi><hi rendition="#g"><hi rendition="#fr">Franzo&#x017F;en</hi></hi>.</head><lb/>
            <p>Eine Betrachtung der altfranzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Poe&#x017F;ie in Beziehung<lb/>
auf un&#x017F;ern Mei&#x017F;terge&#x017F;ang kann weit ku&#x0364;rzer &#x017F;eyn, theils weil<lb/>
der Ab&#x017F;tand um vieles gewi&#x017F;&#x017F;er, theils manches von den Pro-<lb/>
venzalen geradezu u&#x0364;bergegangen war <note place="foot" n="170)">In dem Ve&#x017F;treben der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Literatoren, die no&#x0364;rdliche<lb/>
Poe&#x017F;ie u&#x0364;ber die &#x017F;u&#x0364;dliche wo mo&#x0364;glich zu erheben, liegt außer dem<lb/>
gar ungerechten, etwas ungru&#x0364;ndliches. Das Aus&#x017F;chließen der<lb/>
Provenzalen allein erregt Zweifel gegen den guten Erfolg der<lb/>
neue&#x017F;ten Preisaufgabe des Pari&#x017F;er In&#x017F;tituts.</note>. Auch hier finden<lb/>
wir Trouveurs, obwohl keine oder wenig <hi rendition="#aq">tensons</hi> und <hi rendition="#aq">sirven-<lb/>
tes</hi> und der <hi rendition="#aq">chansons</hi> u&#x0364;berhaupt &#x017F;ind wenig gegenu&#x0364;ber der<lb/>
ungeheueren Zahl von Reimen in erza&#x0364;hlenden Gedichten. Auch<lb/>
ko&#x0364;nnen einige Dichterinnen aufgeza&#x0364;hlt werden.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0163] dauert als academie des jeux floraux noch gegenwaͤrtig, ohne Zweifel, ſo wie ſie angefangen, in wahrer Unpoeſie fort. Unſern Meiſtergeſang wird niemand mit dieſer Anſtalt in Verbindung ſetzen, welche ſelbſt mit den aͤlteſten Troubadours zuſammenhaͤngt, und auf einige andere auswaͤrtige Inſtitute ihrerſeits gewirkt hat. Im 15ten und 16ten Jahrhundert bildeten ſich in Italien eine Menge poetiſcher Geſellſchaften unter ſchrecklichen Namen 169), deren Treiben man nicht erſt weiter zu kennen braucht, um zu urtheilen, daß ſie ohne allen inneren Geiſt aus einer verkehr- ten Anmaßung entſprungen waren. An ihrem ſchlechten An- fang muß man ihnen ſchon die kurze Dauer anſehen (unaͤhnlich dem gleichzeitigen Meiſterſang, der das Aufglimmen einer al- ten Flamme war), und ſie wurden nicht einmal mit der Gruͤnd- lichkeit getrieben, die bei der fruchtbringenden Geſellſchaft und dem Blumenorden (ſicher mehr als jener auswaͤrtig entlehnt) in Deutſchland doch einige Lebensſpuren hinterlaſſen zu haben ſcheint. II. Franzoſen. Eine Betrachtung der altfranzoͤſiſchen Poeſie in Beziehung auf unſern Meiſtergeſang kann weit kuͤrzer ſeyn, theils weil der Abſtand um vieles gewiſſer, theils manches von den Pro- venzalen geradezu uͤbergegangen war 170). Auch hier finden wir Trouveurs, obwohl keine oder wenig tensons und sirven- tes und der chansons uͤberhaupt ſind wenig gegenuͤber der ungeheueren Zahl von Reimen in erzaͤhlenden Gedichten. Auch koͤnnen einige Dichterinnen aufgezaͤhlt werden. 169) Tiraboschi VII. P. 1. 112. 170) In dem Veſtreben der franzoͤſiſchen Literatoren, die noͤrdliche Poeſie uͤber die ſuͤdliche wo moͤglich zu erheben, liegt außer dem gar ungerechten, etwas ungruͤndliches. Das Ausſchließen der Provenzalen allein erregt Zweifel gegen den guten Erfolg der neueſten Preisaufgabe des Pariſer Inſtituts.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/163
Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/163>, abgerufen am 21.11.2024.