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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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aussetzt 176), und zugleich einen Preis (hieß juweel) für den
besten Beantworter, so schickt sie an benachbarte Cammern
aus, damit sie concurriren. Die Versammlung selbst ist sehr
auf äußerlichen Prunk berechnet, daher Processionen, sogar
eigene Narren, den Zuschauern zur Lust. Nicht ganz deutlich
ist mir, ob bei jeder Zusammenkunft Toneelspiele von den Rhe-
torikern gegeben wurden, und ob sie etwa auch ohne vorgelegte
Frage die letzteren geben konnten. Gewiß aber, daß dieses
Schauspielen die hauptsächlichste Beschäftigung der ganzen Ge-
sellschaft war, am meisten einwirkte und sich auch zulängst er-
halten hat, wie sich schon volksmäßig Spiel und Sang verbinden.

4) Was ihre Reimkunst betrifft, so hat darüber Matthys
de Castelein
177) in der Mitte des 16ten Jahrh. ein eigenes
Werk geschrieben, das ich nicht eingesehen habe; so viel er-
hellt, sie singen in gewissen, gegebenen Formen, welche Bal-
laden, Rondeel, Retrograden (vor- und rückwärts Sinn ge-
bend) Referein etc. hießen, und wovon die ersteren zwar ge-
sungen, die Referein 178) aber bloß gesprochen wurden. Lä-
cherlich sind ihre Kniegedichte, die binnen angesetzter Zeit auf
dem Knie, ohne Tisch und Stuhl fertig werden mußten. In
den Toneelspielen scheint oft eine ganz unkünstliche Form beob-
achtet worden zu seyn.

5) Alles das bestätigt, was schon der Name zeigt, daß sie
Nachahmung und Uebertragung französischer Sitte 179) sind,

176) Z. B. was einen Sterbenden am meisten tröste? Cf. Kops 244 ff.
177) Const van Rhetoryke, versch. gedruckt u. a. 1616. Die Bal-
laden können 7 -- 9 regelen (Zeilen) haben.
178) Das Wort erinnert an das ähnliche: Referenzen. in
einem Meisterlied des 15ten Jahrh. (n. lit. Anz. 1807. Col. 773.)
s. oben Note 97. Im 17ten Jahrh. wurden in Deutschland auch
Wiederkehren gedichtet, von der schlesischen Schule aber.
179) Merkwürdig ist in der Hinsicht ein altniederländisches Gedicht
des Claes Willems, betitelt: Minnenloop, worin gleichwie im

ausſetzt 176), und zugleich einen Preis (hieß juweel) fuͤr den
beſten Beantworter, ſo ſchickt ſie an benachbarte Cammern
aus, damit ſie concurriren. Die Verſammlung ſelbſt iſt ſehr
auf aͤußerlichen Prunk berechnet, daher Proceſſionen, ſogar
eigene Narren, den Zuſchauern zur Luſt. Nicht ganz deutlich
iſt mir, ob bei jeder Zuſammenkunft Toneelſpiele von den Rhe-
torikern gegeben wurden, und ob ſie etwa auch ohne vorgelegte
Frage die letzteren geben konnten. Gewiß aber, daß dieſes
Schauſpielen die hauptſaͤchlichſte Beſchaͤftigung der ganzen Ge-
ſellſchaft war, am meiſten einwirkte und ſich auch zulaͤngſt er-
halten hat, wie ſich ſchon volksmaͤßig Spiel und Sang verbinden.

4) Was ihre Reimkunſt betrifft, ſo hat daruͤber Matthys
de Castelein
177) in der Mitte des 16ten Jahrh. ein eigenes
Werk geſchrieben, das ich nicht eingeſehen habe; ſo viel er-
hellt, ſie ſingen in gewiſſen, gegebenen Formen, welche Bal-
laden, Rondeel, Retrograden (vor- und ruͤckwaͤrts Sinn ge-
bend) Referein ꝛc. hießen, und wovon die erſteren zwar ge-
ſungen, die Referein 178) aber bloß geſprochen wurden. Laͤ-
cherlich ſind ihre Kniegedichte, die binnen angeſetzter Zeit auf
dem Knie, ohne Tiſch und Stuhl fertig werden mußten. In
den Toneelſpielen ſcheint oft eine ganz unkuͤnſtliche Form beob-
achtet worden zu ſeyn.

5) Alles das beſtaͤtigt, was ſchon der Name zeigt, daß ſie
Nachahmung und Uebertragung franzoͤſiſcher Sitte 179) ſind,

176) Z. B. was einen Sterbenden am meiſten troͤſte? Cf. Kops 244 ff.
177) Const van Rhetoryke, verſch. gedruckt u. a. 1616. Die Bal-
laden koͤnnen 7 — 9 regelen (Zeilen) haben.
178) Das Wort erinnert an das aͤhnliche: Referenzen. in
einem Meiſterlied des 15ten Jahrh. (n. lit. Anz. 1807. Col. 773.)
ſ. oben Note 97. Im 17ten Jahrh. wurden in Deutſchland auch
Wiederkehren gedichtet, von der ſchleſiſchen Schule aber.
179) Merkwuͤrdig iſt in der Hinſicht ein altniederlaͤndiſches Gedicht
des Claes Willems, betitelt: Minnenloop, worin gleichwie im
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[158/0168] ausſetzt 176), und zugleich einen Preis (hieß juweel) fuͤr den beſten Beantworter, ſo ſchickt ſie an benachbarte Cammern aus, damit ſie concurriren. Die Verſammlung ſelbſt iſt ſehr auf aͤußerlichen Prunk berechnet, daher Proceſſionen, ſogar eigene Narren, den Zuſchauern zur Luſt. Nicht ganz deutlich iſt mir, ob bei jeder Zuſammenkunft Toneelſpiele von den Rhe- torikern gegeben wurden, und ob ſie etwa auch ohne vorgelegte Frage die letzteren geben konnten. Gewiß aber, daß dieſes Schauſpielen die hauptſaͤchlichſte Beſchaͤftigung der ganzen Ge- ſellſchaft war, am meiſten einwirkte und ſich auch zulaͤngſt er- halten hat, wie ſich ſchon volksmaͤßig Spiel und Sang verbinden. 4) Was ihre Reimkunſt betrifft, ſo hat daruͤber Matthys de Castelein 177) in der Mitte des 16ten Jahrh. ein eigenes Werk geſchrieben, das ich nicht eingeſehen habe; ſo viel er- hellt, ſie ſingen in gewiſſen, gegebenen Formen, welche Bal- laden, Rondeel, Retrograden (vor- und ruͤckwaͤrts Sinn ge- bend) Referein ꝛc. hießen, und wovon die erſteren zwar ge- ſungen, die Referein 178) aber bloß geſprochen wurden. Laͤ- cherlich ſind ihre Kniegedichte, die binnen angeſetzter Zeit auf dem Knie, ohne Tiſch und Stuhl fertig werden mußten. In den Toneelſpielen ſcheint oft eine ganz unkuͤnſtliche Form beob- achtet worden zu ſeyn. 5) Alles das beſtaͤtigt, was ſchon der Name zeigt, daß ſie Nachahmung und Uebertragung franzoͤſiſcher Sitte 179) ſind, 176) Z. B. was einen Sterbenden am meiſten troͤſte? Cf. Kops 244 ff. 177) Const van Rhetoryke, verſch. gedruckt u. a. 1616. Die Bal- laden koͤnnen 7 — 9 regelen (Zeilen) haben. 178) Das Wort erinnert an das aͤhnliche: Referenzen. in einem Meiſterlied des 15ten Jahrh. (n. lit. Anz. 1807. Col. 773.) ſ. oben Note 97. Im 17ten Jahrh. wurden in Deutſchland auch Wiederkehren gedichtet, von der ſchleſiſchen Schule aber. 179) Merkwuͤrdig iſt in der Hinſicht ein altniederlaͤndiſches Gedicht des Claes Willems, betitelt: Minnenloop, worin gleichwie im

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/168>, abgerufen am 21.11.2024.