Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Enkelin ist nicht in meinem Hause. Hätte sie mir wirklich die Ehre ihres Besuches geschenkt, so wäre es auch kein Unglück, denn wir wissen etwas auf uns zu halten, Herr General, und Ihr Verbot macht uns weniger Unehre als Ihnen, besonders da uns Ihre sogenannten Gründe gar nicht unbekannt sind. Wenn Sie es wissen wollen, so sage ich es Ihnen ganz offen: ich bedauere Frau Julia und würde sie recht gern vor Ihnen verstecken, aber leider ist sie nicht in meinem Hause.

Mit starrem Blick maß der General einen Moment die Frau, welche ihm so entschieden entgegenzutreten wagte, dann platzte er heraus:

Aber bei mir ist sie auch nicht. Sie fehlt schon seit heute früh, seitdem sie in die Messe ging.

Der guten Frau fuhr es wie ein jäher Schreck in die Glieder; sie zitterte und empfand das Bedürfniß, sich auf einen Stuhl niederzulassen, wenn sie nicht zu Boden fallen wollte. Julia verschwunden! -- Ein Heer von schwarzen Gedanken stürmte auf sie ein.

Nun, wird's bald, Frau Nachbarin? begann wieder der Alte. Ich erwarte Erklärungen, Aufschlüsse, Nachweise; oder wollen Sie abwarten, bis man die Behörden in Kenntniß setzt? Sie sind eine Kupplerin, meine Liebe, Sie haben Zusammenkünfte begünstigt, Stelldicheins arrangirt und den ganzen Techtelmechtel von Neuem eingerührt. Wissen Sie, was darauf steht? Die Polizei wird es Ihnen sagen; Kreuz Bataillon, bisher hab' ich noch

Enkelin ist nicht in meinem Hause. Hätte sie mir wirklich die Ehre ihres Besuches geschenkt, so wäre es auch kein Unglück, denn wir wissen etwas auf uns zu halten, Herr General, und Ihr Verbot macht uns weniger Unehre als Ihnen, besonders da uns Ihre sogenannten Gründe gar nicht unbekannt sind. Wenn Sie es wissen wollen, so sage ich es Ihnen ganz offen: ich bedauere Frau Julia und würde sie recht gern vor Ihnen verstecken, aber leider ist sie nicht in meinem Hause.

Mit starrem Blick maß der General einen Moment die Frau, welche ihm so entschieden entgegenzutreten wagte, dann platzte er heraus:

Aber bei mir ist sie auch nicht. Sie fehlt schon seit heute früh, seitdem sie in die Messe ging.

Der guten Frau fuhr es wie ein jäher Schreck in die Glieder; sie zitterte und empfand das Bedürfniß, sich auf einen Stuhl niederzulassen, wenn sie nicht zu Boden fallen wollte. Julia verschwunden! — Ein Heer von schwarzen Gedanken stürmte auf sie ein.

Nun, wird's bald, Frau Nachbarin? begann wieder der Alte. Ich erwarte Erklärungen, Aufschlüsse, Nachweise; oder wollen Sie abwarten, bis man die Behörden in Kenntniß setzt? Sie sind eine Kupplerin, meine Liebe, Sie haben Zusammenkünfte begünstigt, Stelldicheins arrangirt und den ganzen Techtelmechtel von Neuem eingerührt. Wissen Sie, was darauf steht? Die Polizei wird es Ihnen sagen; Kreuz Bataillon, bisher hab' ich noch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="5">
        <p><pb facs="#f0108"/>
Enkelin ist nicht in meinem Hause. Hätte                sie mir wirklich die Ehre ihres Besuches geschenkt, so wäre es auch kein Unglück,                denn wir wissen etwas auf uns zu halten, Herr General, und Ihr Verbot macht uns                weniger Unehre als Ihnen, besonders da uns Ihre sogenannten Gründe gar nicht                unbekannt sind. Wenn Sie es wissen wollen, so sage ich es Ihnen ganz offen: ich                bedauere Frau Julia und würde sie recht gern vor Ihnen verstecken, aber leider ist                sie nicht in meinem Hause.</p><lb/>
        <p>Mit starrem Blick maß der General einen Moment die Frau, welche ihm so entschieden                entgegenzutreten wagte, dann platzte er heraus:</p><lb/>
        <p>Aber bei mir ist sie auch nicht. Sie fehlt schon seit heute früh, seitdem sie in die                Messe ging.</p><lb/>
        <p>Der guten Frau fuhr es wie ein jäher Schreck in die Glieder; sie zitterte und empfand                das Bedürfniß, sich auf einen Stuhl niederzulassen, wenn sie nicht zu Boden fallen                wollte. Julia verschwunden! &#x2014; Ein Heer von schwarzen Gedanken stürmte auf sie                ein.</p><lb/>
        <p>Nun, wird's bald, Frau Nachbarin? begann wieder der Alte. Ich erwarte Erklärungen,                Aufschlüsse, Nachweise; oder wollen Sie abwarten, bis man die Behörden in Kenntniß                setzt? Sie sind eine Kupplerin, meine Liebe, Sie haben Zusammenkünfte begünstigt,                Stelldicheins arrangirt und den ganzen Techtelmechtel von Neuem eingerührt. Wissen                Sie, was darauf steht? Die Polizei wird es Ihnen sagen; Kreuz Bataillon, bisher hab'                ich noch<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0108] Enkelin ist nicht in meinem Hause. Hätte sie mir wirklich die Ehre ihres Besuches geschenkt, so wäre es auch kein Unglück, denn wir wissen etwas auf uns zu halten, Herr General, und Ihr Verbot macht uns weniger Unehre als Ihnen, besonders da uns Ihre sogenannten Gründe gar nicht unbekannt sind. Wenn Sie es wissen wollen, so sage ich es Ihnen ganz offen: ich bedauere Frau Julia und würde sie recht gern vor Ihnen verstecken, aber leider ist sie nicht in meinem Hause. Mit starrem Blick maß der General einen Moment die Frau, welche ihm so entschieden entgegenzutreten wagte, dann platzte er heraus: Aber bei mir ist sie auch nicht. Sie fehlt schon seit heute früh, seitdem sie in die Messe ging. Der guten Frau fuhr es wie ein jäher Schreck in die Glieder; sie zitterte und empfand das Bedürfniß, sich auf einen Stuhl niederzulassen, wenn sie nicht zu Boden fallen wollte. Julia verschwunden! — Ein Heer von schwarzen Gedanken stürmte auf sie ein. Nun, wird's bald, Frau Nachbarin? begann wieder der Alte. Ich erwarte Erklärungen, Aufschlüsse, Nachweise; oder wollen Sie abwarten, bis man die Behörden in Kenntniß setzt? Sie sind eine Kupplerin, meine Liebe, Sie haben Zusammenkünfte begünstigt, Stelldicheins arrangirt und den ganzen Techtelmechtel von Neuem eingerührt. Wissen Sie, was darauf steht? Die Polizei wird es Ihnen sagen; Kreuz Bataillon, bisher hab' ich noch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T10:31:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/108
Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/108>, abgerufen am 27.11.2024.