Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Balkon vor dem Fenster, und die Nacht ist warm und sternhell. Die Conrectorin begann hier von Neuem zu lachen. Sie lachen schon wieder, Frau Conrectorin? Nun ja, ich kann mir's schon denken, sie hat Ihnen das Plauderstündchen auf dem Balkon gewährt. Allerdings, so war es, Frau Conrectorin. Und der Balkon war natürlich getrennt? Auch das war er, Frau Conrectorin; aber woher wissen Sie das Alles? O ich weiß ja gar nichts, bitte, erzählen Sie doch weiter -- ich male mir das nur so in meinen Gedanken aus. Vetter Isidor hielt eine Weile inne und betrachtete die Frau Base mit dem Blicke des Mißtrauens. Dann fuhr er kleinlaut fort: Allerdings, dort auf dem Balkon unter dem Glanz des erhabenen Firmaments verlebte ich noch eine glückliche Stunde, und ohne die Tücke der schönen Frau Julia . . . ja so, unterbrach er sich plötzlich, das gehört nicht hierher. Erst recht gehört es hierher, Vetter, rief die Conrectorin und erhob drohend ihren Finger. Vetterchen, Vetterchen, ich glaube, Sie sind ein ganz schlechter Mensch geworden. Aber wie können Sie glauben, Frau Conrectorin? Nur losgebeichtet, nur Farbe bekannt, Vetterchen; Balkon vor dem Fenster, und die Nacht ist warm und sternhell. Die Conrectorin begann hier von Neuem zu lachen. Sie lachen schon wieder, Frau Conrectorin? Nun ja, ich kann mir's schon denken, sie hat Ihnen das Plauderstündchen auf dem Balkon gewährt. Allerdings, so war es, Frau Conrectorin. Und der Balkon war natürlich getrennt? Auch das war er, Frau Conrectorin; aber woher wissen Sie das Alles? O ich weiß ja gar nichts, bitte, erzählen Sie doch weiter — ich male mir das nur so in meinen Gedanken aus. Vetter Isidor hielt eine Weile inne und betrachtete die Frau Base mit dem Blicke des Mißtrauens. Dann fuhr er kleinlaut fort: Allerdings, dort auf dem Balkon unter dem Glanz des erhabenen Firmaments verlebte ich noch eine glückliche Stunde, und ohne die Tücke der schönen Frau Julia . . . ja so, unterbrach er sich plötzlich, das gehört nicht hierher. Erst recht gehört es hierher, Vetter, rief die Conrectorin und erhob drohend ihren Finger. Vetterchen, Vetterchen, ich glaube, Sie sind ein ganz schlechter Mensch geworden. Aber wie können Sie glauben, Frau Conrectorin? Nur losgebeichtet, nur Farbe bekannt, Vetterchen; <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0123"/> Balkon vor dem Fenster, und die Nacht ist warm und sternhell.</p><lb/> <p>Die Conrectorin begann hier von Neuem zu lachen.</p><lb/> <p>Sie lachen schon wieder, Frau Conrectorin?</p><lb/> <p>Nun ja, ich kann mir's schon denken, sie hat Ihnen das Plauderstündchen auf dem Balkon gewährt.</p><lb/> <p>Allerdings, so war es, Frau Conrectorin.</p><lb/> <p>Und der Balkon war natürlich getrennt?</p><lb/> <p>Auch das war er, Frau Conrectorin; aber woher wissen Sie das Alles?</p><lb/> <p>O ich weiß ja gar nichts, bitte, erzählen Sie doch weiter — ich male mir das nur so in meinen Gedanken aus.</p><lb/> <p>Vetter Isidor hielt eine Weile inne und betrachtete die Frau Base mit dem Blicke des Mißtrauens. Dann fuhr er kleinlaut fort:</p><lb/> <p>Allerdings, dort auf dem Balkon unter dem Glanz des erhabenen Firmaments verlebte ich noch eine glückliche Stunde, und ohne die Tücke der schönen Frau Julia . . . ja so, unterbrach er sich plötzlich, das gehört nicht hierher.</p><lb/> <p>Erst recht gehört es hierher, Vetter, rief die Conrectorin und erhob drohend ihren Finger. Vetterchen, Vetterchen, ich glaube, Sie sind ein ganz schlechter Mensch geworden.</p><lb/> <p>Aber wie können Sie glauben, Frau Conrectorin?</p><lb/> <p>Nur losgebeichtet, nur Farbe bekannt, Vetterchen;<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0123]
Balkon vor dem Fenster, und die Nacht ist warm und sternhell.
Die Conrectorin begann hier von Neuem zu lachen.
Sie lachen schon wieder, Frau Conrectorin?
Nun ja, ich kann mir's schon denken, sie hat Ihnen das Plauderstündchen auf dem Balkon gewährt.
Allerdings, so war es, Frau Conrectorin.
Und der Balkon war natürlich getrennt?
Auch das war er, Frau Conrectorin; aber woher wissen Sie das Alles?
O ich weiß ja gar nichts, bitte, erzählen Sie doch weiter — ich male mir das nur so in meinen Gedanken aus.
Vetter Isidor hielt eine Weile inne und betrachtete die Frau Base mit dem Blicke des Mißtrauens. Dann fuhr er kleinlaut fort:
Allerdings, dort auf dem Balkon unter dem Glanz des erhabenen Firmaments verlebte ich noch eine glückliche Stunde, und ohne die Tücke der schönen Frau Julia . . . ja so, unterbrach er sich plötzlich, das gehört nicht hierher.
Erst recht gehört es hierher, Vetter, rief die Conrectorin und erhob drohend ihren Finger. Vetterchen, Vetterchen, ich glaube, Sie sind ein ganz schlechter Mensch geworden.
Aber wie können Sie glauben, Frau Conrectorin?
Nur losgebeichtet, nur Farbe bekannt, Vetterchen;
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(2017-03-15T10:31:15Z)
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Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
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