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Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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O, was wollen Sie, Frau Conrectorin, wie häßlich sind Ihre Deutungen, ich sage Ihnen, ich durchschaue dieses himmlische Geschöpf -- sie will eben nicht, daß eine heilige, reine Neigung vor den Augen der Welt entweiht werde, sie will meine gütige Fee, mein Seraph, meine Isis sein im Schleier des Geheimnisses. Aus diesem Grunde allein bin ich auch vierzehn Tage ausgeblieben und nicht einmal zu Ihnen gekommen, Frau Conrectorin, um Frau Julien zu beweisen, daß ich sie nicht verfolge, daß es reiner Zufall war, der sie mich hier entdecken ließ.

Das muß man sagen, Sie sind ein discreter Mann, Vetterchen.

Auch ein vorsichtiger, Frau Conrectorin. Ich bin auch deßhalb weggeblieben, um mich selbst auf die Probe zu stellen, ob ich wirklich schon in Fesseln schmachtete -- das Resultat war das günstigste: ich habe überwunden, ich bin in keinen Fesseln!

Und zur Belohnung dafür kommen Sie wieder, Vetterchen? Sie sind wirklich köstlich, aber auf diese Manier kommen Sie keinen Schritt weiter.

Das wird sich zeigen, Frau Conrectorin; ich bin nicht so prüde, mich selbst zu verleugnen. Alles, was ich Ihnen sage, habe ich ihr auch geschrieben --

Sie haben geschrieben, Unglücksmensch? -- rief die Conrectorin wirklich erschrocken, -- dann ist Alles aus!

Vetter Isidor lächelte mit voller Ueberlegenheit des Geistes und sagte:

O, was wollen Sie, Frau Conrectorin, wie häßlich sind Ihre Deutungen, ich sage Ihnen, ich durchschaue dieses himmlische Geschöpf — sie will eben nicht, daß eine heilige, reine Neigung vor den Augen der Welt entweiht werde, sie will meine gütige Fee, mein Seraph, meine Isis sein im Schleier des Geheimnisses. Aus diesem Grunde allein bin ich auch vierzehn Tage ausgeblieben und nicht einmal zu Ihnen gekommen, Frau Conrectorin, um Frau Julien zu beweisen, daß ich sie nicht verfolge, daß es reiner Zufall war, der sie mich hier entdecken ließ.

Das muß man sagen, Sie sind ein discreter Mann, Vetterchen.

Auch ein vorsichtiger, Frau Conrectorin. Ich bin auch deßhalb weggeblieben, um mich selbst auf die Probe zu stellen, ob ich wirklich schon in Fesseln schmachtete — das Resultat war das günstigste: ich habe überwunden, ich bin in keinen Fesseln!

Und zur Belohnung dafür kommen Sie wieder, Vetterchen? Sie sind wirklich köstlich, aber auf diese Manier kommen Sie keinen Schritt weiter.

Das wird sich zeigen, Frau Conrectorin; ich bin nicht so prüde, mich selbst zu verleugnen. Alles, was ich Ihnen sage, habe ich ihr auch geschrieben —

Sie haben geschrieben, Unglücksmensch? — rief die Conrectorin wirklich erschrocken, — dann ist Alles aus!

Vetter Isidor lächelte mit voller Ueberlegenheit des Geistes und sagte:

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[0057] O, was wollen Sie, Frau Conrectorin, wie häßlich sind Ihre Deutungen, ich sage Ihnen, ich durchschaue dieses himmlische Geschöpf — sie will eben nicht, daß eine heilige, reine Neigung vor den Augen der Welt entweiht werde, sie will meine gütige Fee, mein Seraph, meine Isis sein im Schleier des Geheimnisses. Aus diesem Grunde allein bin ich auch vierzehn Tage ausgeblieben und nicht einmal zu Ihnen gekommen, Frau Conrectorin, um Frau Julien zu beweisen, daß ich sie nicht verfolge, daß es reiner Zufall war, der sie mich hier entdecken ließ. Das muß man sagen, Sie sind ein discreter Mann, Vetterchen. Auch ein vorsichtiger, Frau Conrectorin. Ich bin auch deßhalb weggeblieben, um mich selbst auf die Probe zu stellen, ob ich wirklich schon in Fesseln schmachtete — das Resultat war das günstigste: ich habe überwunden, ich bin in keinen Fesseln! Und zur Belohnung dafür kommen Sie wieder, Vetterchen? Sie sind wirklich köstlich, aber auf diese Manier kommen Sie keinen Schritt weiter. Das wird sich zeigen, Frau Conrectorin; ich bin nicht so prüde, mich selbst zu verleugnen. Alles, was ich Ihnen sage, habe ich ihr auch geschrieben — Sie haben geschrieben, Unglücksmensch? — rief die Conrectorin wirklich erschrocken, — dann ist Alles aus! Vetter Isidor lächelte mit voller Ueberlegenheit des Geistes und sagte:

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T10:31:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Grosse, Julius: Vetter Isidor. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 103–236. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grosse_isidor_1910/57>, abgerufen am 14.05.2024.