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Gryphius, Andreas: Großmüttiger Rechts-Gelehrter/ Oder Sterbender Æmilius Paulus Papinianus. Breslau, 1659.

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Sterbender
Auff Mutter! trockne denn diß thränende Gesicht.
70.Mißgönne mir und dir die herrlichst Ehre nicht.
Hostilius. Mein Sohn! wehn wolten nicht die hoch-erlauch-
ten Sinnen/
Der unerschreckte Mutt der grosse Geist gewinnen?
Welch Vater solte nicht ob einem solchen Sohn
Sich freuen vilmahl mehr denn über Stab und Cron?
75.Doch leide: Daß Jch noch mein schmachtend Hertz außgisse/
Das über deiner Noth die heisse Schmertzen risse
Durchfoltert und zuzwickt. Man nennt diß Leiden schön;
Wahr ists daß Socrates mit Ruhm muß untergehn.
Callistenes verfil zu deß Pelloeers Schande
80.Und jmmer neuen Schmach. Athen beseufftzt die Bande
Deß tapffern Phoeions, die/ die ihm Gifft gemischt;
Hat die geschwinde Rach in höchstem Grimm erwischt.
Der grosse Seneca hat als er auffgeriben/
Deß Fürsten grause That mit seinem Blutt beschriben.
85.Deß freyen Paetus Lob kan nimmermehr verblühn/
Und Burrhus Redlikeit wird keine Nacht bezihn.
Schön ists/ mit einem Wort/ den Geist vors Recht hingeben/
Doch schöner Recht und Reich erretten durch sein Leben.
Wer vor die Tugend fällt: thut wol. Der noch vilmehr
90.Der vor die Tugend steht. Wenn AEolus zu sehr
Sich gegen Segel setzt/ und die getrotzte Wellen
Mit Schlägen/ Schaum und Sand das müde Schiff zuschällen:
Gibt man den Winden nach/ und rudert wie man kan/
Nimmt keine Strich' in acht/ fährt rück-auch seitwerts an/
95.Biß sich der Sturm geschwächt; denn eilt man einzubringen
Was vor auß Noth versäumt. So muß die Fahrt gelingen!
So bringt man Schiff und Gutt an das gewüntschte Land/
Wer hir sich widersetzt und durch das freche Band
Der tollen Klippen rennt: muß sammt dem Mast versincken.
100.Es ist/ ich geb es nach/ schwer/ grimmer Fürsten wincken
Stets zu Gebote stehn/ doch kan ein grosser Geist
Durch Sanfftmut/ offt/ die Macht die alles trotzt und reist/
Entwehren
Sterbender
Auff Mutter! trockne denn diß thraͤnende Geſicht.
70.Mißgoͤnne mir und dir die herꝛlichſt Ehre nicht.
Hoſtilius. Mein Sohn! wehn wolten nicht die hoch-erlauch-
ten Sinnen/
Der unerſchreckte Mutt der groſſe Geiſt gewinnen?
Welch Vater ſolte nicht ob einem ſolchen Sohn
Sich freuen vilmahl mehr denn uͤber Stab und Cron?
75.Doch leide: Daß Jch noch mein ſchmachtend Hertz außgiſſe/
Das uͤber deiner Noth die heiſſe Schmertzen riſſe
Durchfoltert und zuzwickt. Man nennt diß Leiden ſchoͤn;
Wahr iſts daß Socrates mit Ruhm muß untergehn.
Calliſtenes verfil zu deß Pellœers Schande
80.Und jmmer neuen Schmach. Athen beſeufftzt die Bande
Deß tapffern Phoeions, die/ die ihm Gifft gemiſcht;
Hat die geſchwinde Rach in hoͤchſtem Grim̃ erwiſcht.
Der groſſe Seneca hat als er auffgeriben/
Deß Fuͤrſten grauſe That mit ſeinem Blutt beſchriben.
85.Deß freyen Pætus Lob kan nimmermehr verbluͤhn/
Und Burrhus Redlikeit wird keine Nacht bezihn.
Schoͤn iſts/ mit einem Wort/ den Geiſt vors Recht hingeben/
Doch ſchoͤner Recht und Reich erretten durch ſein Leben.
Wer vor die Tugend faͤllt: thut wol. Der noch vilmehr
90.Der vor die Tugend ſteht. Wenn Æolus zu ſehr
Sich gegen Segel ſetzt/ und die getrotzte Wellen
Mit Schlaͤgen/ Schaum und Sand das muͤde Schiff zuſchaͤllen:
Gibt man den Winden nach/ und rudert wie man kan/
Nim̃t keine Strich’ in acht/ faͤhrt ruͤck-auch ſeitwerts an/
95.Biß ſich der Sturm geſchwaͤcht; denn eilt man einzubringen
Was vor auß Noth verſaͤumt. So muß die Fahrt gelingen!
So bringt man Schiff und Gutt an das gewuͤntſchte Land/
Wer hir ſich widerſetzt und durch das freche Band
Der tollen Klippen rennt: muß ſam̃t dem Maſt verſincken.
100.Es iſt/ ich geb es nach/ ſchwer/ grimmer Fuͤrſten wincken
Stets zu Gebote ſtehn/ doch kan ein groſſer Geiſt
Durch Sanfftmut/ offt/ die Macht die alles trotzt und reiſt/
Entwehren
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[0108] Sterbender Auff Mutter! trockne denn diß thraͤnende Geſicht. Mißgoͤnne mir und dir die herꝛlichſt Ehre nicht. Hoſtilius. Mein Sohn! wehn wolten nicht die hoch-erlauch- ten Sinnen/ Der unerſchreckte Mutt der groſſe Geiſt gewinnen? Welch Vater ſolte nicht ob einem ſolchen Sohn Sich freuen vilmahl mehr denn uͤber Stab und Cron? Doch leide: Daß Jch noch mein ſchmachtend Hertz außgiſſe/ Das uͤber deiner Noth die heiſſe Schmertzen riſſe Durchfoltert und zuzwickt. Man nennt diß Leiden ſchoͤn; Wahr iſts daß Socrates mit Ruhm muß untergehn. Calliſtenes verfil zu deß Pellœers Schande Und jmmer neuen Schmach. Athen beſeufftzt die Bande Deß tapffern Phoeions, die/ die ihm Gifft gemiſcht; Hat die geſchwinde Rach in hoͤchſtem Grim̃ erwiſcht. Der groſſe Seneca hat als er auffgeriben/ Deß Fuͤrſten grauſe That mit ſeinem Blutt beſchriben. Deß freyen Pætus Lob kan nimmermehr verbluͤhn/ Und Burrhus Redlikeit wird keine Nacht bezihn. Schoͤn iſts/ mit einem Wort/ den Geiſt vors Recht hingeben/ Doch ſchoͤner Recht und Reich erretten durch ſein Leben. Wer vor die Tugend faͤllt: thut wol. Der noch vilmehr Der vor die Tugend ſteht. Wenn Æolus zu ſehr Sich gegen Segel ſetzt/ und die getrotzte Wellen Mit Schlaͤgen/ Schaum und Sand das muͤde Schiff zuſchaͤllen: Gibt man den Winden nach/ und rudert wie man kan/ Nim̃t keine Strich’ in acht/ faͤhrt ruͤck-auch ſeitwerts an/ Biß ſich der Sturm geſchwaͤcht; denn eilt man einzubringen Was vor auß Noth verſaͤumt. So muß die Fahrt gelingen! So bringt man Schiff und Gutt an das gewuͤntſchte Land/ Wer hir ſich widerſetzt und durch das freche Band Der tollen Klippen rennt: muß ſam̃t dem Maſt verſincken. Es iſt/ ich geb es nach/ ſchwer/ grimmer Fuͤrſten wincken Stets zu Gebote ſtehn/ doch kan ein groſſer Geiſt Durch Sanfftmut/ offt/ die Macht die alles trotzt und reiſt/ Entwehren

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Zitationshilfe: Gryphius, Andreas: Großmüttiger Rechts-Gelehrter/ Oder Sterbender Æmilius Paulus Papinianus. Breslau, 1659, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gryphius_rechtsgelehrter_1659/108>, abgerufen am 18.05.2024.