Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.Von den geselschaftlichen Verbindungen und besonders bey der abermaligen Wiederherstellung derkaiserlichen Würde in Otto dem Großen, begann der alte Stolz wieder aufzuleben. Die Ehrentitel des vor- maligen römischen Reichs, für dessen Fortsetzung man das teutsche ansahe, wurden von neuem hervorgesucht und die Kaiser daher für Beherscher aller Völker und Erdstriche ausgegeben d]. Aus diesem Grunde gebrauch- ten sie auf ihren Insiegeln, den sogenanten goldenen Bul- len, die Aufschrift: Roma caput mundi, regit orbis fre- na rotundi und die Weltkugel oder den Reichsapfel zum Insigne e]. Dieses Vorgeben erhielt durch die Stelle des Evangelisten Lucas 22, 1. wo er sagt, daß vom Kaiser Augustus alle Welt [versteht sich die der römi- schen Herschaft unterworfene] geschätzet worden, ein gewis- ses religiöses Gewicht; so, daß man beinah eine Glau- bens-Sache daraus machte, und den für einen Ketzer hielt, der es wagte daran zu zweifeln f]. An der Erneuerung dieses übertriebenen Hochmuths abge-
Von den geſelſchaftlichen Verbindungen und beſonders bey der abermaligen Wiederherſtellung derkaiſerlichen Wuͤrde in Otto dem Großen, begann der alte Stolz wieder aufzuleben. Die Ehrentitel des vor- maligen roͤmiſchen Reichs, fuͤr deſſen Fortſetzung man das teutſche anſahe, wurden von neuem hervorgeſucht und die Kaiſer daher fuͤr Beherſcher aller Voͤlker und Erdſtriche ausgegeben d]. Aus dieſem Grunde gebrauch- ten ſie auf ihren Inſiegeln, den ſogenanten goldenen Bul- len, die Aufſchrift: Roma caput mundi, regit orbis fre- na rotundi und die Weltkugel oder den Reichsapfel zum Inſigne e]. Dieſes Vorgeben erhielt durch die Stelle des Evangeliſten Lucas 22, 1. wo er ſagt, daß vom Kaiſer Auguſtus alle Welt [verſteht ſich die der roͤmi- ſchen Herſchaft unterworfene] geſchaͤtzet worden, ein gewiſ- ſes religioͤſes Gewicht; ſo, daß man beinah eine Glau- bens-Sache daraus machte, und den fuͤr einen Ketzer hielt, der es wagte daran zu zweifeln f]. An der Erneuerung dieſes uͤbertriebenen Hochmuths abge-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0202" n="176"/><fw place="top" type="header">Von den geſelſchaftlichen Verbindungen</fw><lb/> und beſonders bey der abermaligen Wiederherſtellung der<lb/> kaiſerlichen Wuͤrde in Otto dem Großen, begann der<lb/> alte Stolz wieder aufzuleben. Die Ehrentitel des vor-<lb/> maligen roͤmiſchen Reichs, fuͤr deſſen Fortſetzung man<lb/> das teutſche anſahe, wurden von neuem hervorgeſucht<lb/> und die Kaiſer daher fuͤr Beherſcher aller Voͤlker und<lb/> Erdſtriche ausgegeben <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">d</hi></hi>]. Aus dieſem Grunde gebrauch-<lb/> ten ſie auf ihren Inſiegeln, den ſogenanten goldenen Bul-<lb/> len, die Aufſchrift: <hi rendition="#aq">Roma caput mundi, regit orbis fre-<lb/> na rotundi</hi> und die Weltkugel oder den Reichsapfel zum<lb/> Inſigne <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">e</hi></hi>]. Dieſes Vorgeben erhielt durch die Stelle<lb/> des Evangeliſten Lucas 22, 1. wo er ſagt, daß vom<lb/> Kaiſer Auguſtus <hi rendition="#fr">alle Welt</hi> [verſteht ſich die der roͤmi-<lb/> ſchen Herſchaft unterworfene] geſchaͤtzet worden, ein gewiſ-<lb/> ſes religioͤſes Gewicht; ſo, daß man beinah eine Glau-<lb/> bens-Sache daraus machte, und den fuͤr einen Ketzer<lb/> hielt, der es wagte daran zu zweifeln <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">f</hi></hi>].</p><lb/> <p>An der Erneuerung dieſes uͤbertriebenen Hochmuths<lb/> hatten die Paͤpſte wohl den meiſten Antheil. Sie bedurf-<lb/> ten zu ihrer Erhebung des kaiſerlichen Anſehens in mehr<lb/> als einer Ruͤckſicht <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">g</hi></hi>]. Haͤtten ſie die Herſchaft der Welt<lb/> ſich allein zuſchreiben wollen, ſo wuͤrden ſie von den<lb/> Kaiſern, vermoͤge des Wahns ihrer vorigen Hoheit, zu<lb/> viel Widerſpruch zu fuͤrchten gehabt haben. Sie brach-<lb/> ten daher, obgedachtermaaßen, eine doppelte ſichtbare<lb/> Oberherſchaft der Welt auf die Bahn, und raͤumten dem<lb/> Kaiſer ebendieſelben Vorzuͤge uͤber andere Koͤnige und<lb/> Fuͤrſten ein, welche die Paͤpſte uͤber die Patriarchen,<lb/> Biſchoͤfe ꝛc. behaupteten; iedoch unbeſchadet der Gerecht-<lb/> ſame der Kirche und des den Paͤpſten gebuͤhrenden Vor-<lb/> ranges. Zur Entſchaͤdigung aber trugen dieſe den Kai-<lb/> ſern den Schutz uͤber die chriſtliche Kirche und den paͤpſt-<lb/> lichen Stuhl <hi rendition="#aq"><hi rendition="#sup">h</hi></hi>] auf; wodurch die vermeintliche Ober-<lb/> herſchaft des Kaiſers vorgeblich einen deſto groͤßern Glanz<lb/> erlangen ſolte, im Grunde aber blos eigner Vortheil<lb/> <fw place="bottom" type="catch">abge-</fw><lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0202]
Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
und beſonders bey der abermaligen Wiederherſtellung der
kaiſerlichen Wuͤrde in Otto dem Großen, begann der
alte Stolz wieder aufzuleben. Die Ehrentitel des vor-
maligen roͤmiſchen Reichs, fuͤr deſſen Fortſetzung man
das teutſche anſahe, wurden von neuem hervorgeſucht
und die Kaiſer daher fuͤr Beherſcher aller Voͤlker und
Erdſtriche ausgegeben d]. Aus dieſem Grunde gebrauch-
ten ſie auf ihren Inſiegeln, den ſogenanten goldenen Bul-
len, die Aufſchrift: Roma caput mundi, regit orbis fre-
na rotundi und die Weltkugel oder den Reichsapfel zum
Inſigne e]. Dieſes Vorgeben erhielt durch die Stelle
des Evangeliſten Lucas 22, 1. wo er ſagt, daß vom
Kaiſer Auguſtus alle Welt [verſteht ſich die der roͤmi-
ſchen Herſchaft unterworfene] geſchaͤtzet worden, ein gewiſ-
ſes religioͤſes Gewicht; ſo, daß man beinah eine Glau-
bens-Sache daraus machte, und den fuͤr einen Ketzer
hielt, der es wagte daran zu zweifeln f].
An der Erneuerung dieſes uͤbertriebenen Hochmuths
hatten die Paͤpſte wohl den meiſten Antheil. Sie bedurf-
ten zu ihrer Erhebung des kaiſerlichen Anſehens in mehr
als einer Ruͤckſicht g]. Haͤtten ſie die Herſchaft der Welt
ſich allein zuſchreiben wollen, ſo wuͤrden ſie von den
Kaiſern, vermoͤge des Wahns ihrer vorigen Hoheit, zu
viel Widerſpruch zu fuͤrchten gehabt haben. Sie brach-
ten daher, obgedachtermaaßen, eine doppelte ſichtbare
Oberherſchaft der Welt auf die Bahn, und raͤumten dem
Kaiſer ebendieſelben Vorzuͤge uͤber andere Koͤnige und
Fuͤrſten ein, welche die Paͤpſte uͤber die Patriarchen,
Biſchoͤfe ꝛc. behaupteten; iedoch unbeſchadet der Gerecht-
ſame der Kirche und des den Paͤpſten gebuͤhrenden Vor-
ranges. Zur Entſchaͤdigung aber trugen dieſe den Kai-
ſern den Schutz uͤber die chriſtliche Kirche und den paͤpſt-
lichen Stuhl h] auf; wodurch die vermeintliche Ober-
herſchaft des Kaiſers vorgeblich einen deſto groͤßern Glanz
erlangen ſolte, im Grunde aber blos eigner Vortheil
abge-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |