Religionen haben gesucht, sich ein gewisses Ansehn und einen erhabnern Rang zu verschaffen, und kein catholi- scher Fürst hält es für eine Erniedrigung, seinem geistli- chen Vater diese Ehre zu erzeigen.
Der römische Kaiser gesteht dem Papste, der Regel nach, den Rang ebenfals zu a]. Joseph II. erwieß auch dem 1782 in Wien ihn besuchenden Papst alle Ehrenbe- zeigungen, die ein souverainer Fürst dem andern bey Besuchen zu erzeigen pflegt; als aber der Papst bey der großen Feierlichkeit am ersten Ostertage verlangte, daß sein Thron in der Kirche eine Stufe höher als der kaiser- liche zubereitet werden müsse, weil er das Oberhaupt der Kirche sey, enthielt der Kaiser sich der ganzen Feier- lichkeit und ließ seinen Thron wieder wegnehmen b].
Die protestantischen Mächte, welche bey Gelegenheit der Lutherischen Reformation vom päpstlichen Stuhle sich losgerissen haben, als Grosbritannien, Dänemark, Schweden, Sachsen, Brandenburg, Braunschweig und die vereinigten Niederlande erkennen den Pabst nicht nur nicht mehr für das Haupt der Christenheit, sondern behandeln ihn auch blos als einen Bischof der Kirche und des Kirchenstaats wegen als einen angesehenen Fürsten in Italien. Sie gestehn ihm daher weder den Rang über dem Kaiser noch über sich selbst zu, indem die Köni- ge, als gekrönte Häupter, dem Kaiser unmittelbar nach- gehn, die Kurfürsten sich diesen anschließen und alsdann die vereinigten Niederlande folgen wollen.
Die russischen und türkischen Kaiser haben eben so wenig Ursach dem Papst im Range zu weichen. In Ansehung der übrigen protestantischen Fürsten befindet sich derselbe iedoch meist im Besitz des Vorrangs.
a] Mosers Staatsrecht 3. Th. S. 86. Grundsätze des europ. V. R. in Friedenszeiten S. 28.
b] Politisches Journal, April 1782. S. 383.
*]
Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
Religionen haben geſucht, ſich ein gewiſſes Anſehn und einen erhabnern Rang zu verſchaffen, und kein catholi- ſcher Fuͤrſt haͤlt es fuͤr eine Erniedrigung, ſeinem geiſtli- chen Vater dieſe Ehre zu erzeigen.
Der roͤmiſche Kaiſer geſteht dem Papſte, der Regel nach, den Rang ebenfals zu a]. Joſeph II. erwieß auch dem 1782 in Wien ihn beſuchenden Papſt alle Ehrenbe- zeigungen, die ein ſouverainer Fuͤrſt dem andern bey Beſuchen zu erzeigen pflegt; als aber der Papſt bey der großen Feierlichkeit am erſten Oſtertage verlangte, daß ſein Thron in der Kirche eine Stufe hoͤher als der kaiſer- liche zubereitet werden muͤſſe, weil er das Oberhaupt der Kirche ſey, enthielt der Kaiſer ſich der ganzen Feier- lichkeit und ließ ſeinen Thron wieder wegnehmen b].
Die proteſtantiſchen Maͤchte, welche bey Gelegenheit der Lutheriſchen Reformation vom paͤpſtlichen Stuhle ſich losgeriſſen haben, als Grosbritannien, Daͤnemark, Schweden, Sachſen, Brandenburg, Braunſchweig und die vereinigten Niederlande erkennen den Pabſt nicht nur nicht mehr fuͤr das Haupt der Chriſtenheit, ſondern behandeln ihn auch blos als einen Biſchof der Kirche und des Kirchenſtaats wegen als einen angeſehenen Fuͤrſten in Italien. Sie geſtehn ihm daher weder den Rang uͤber dem Kaiſer noch uͤber ſich ſelbſt zu, indem die Koͤni- ge, als gekroͤnte Haͤupter, dem Kaiſer unmittelbar nach- gehn, die Kurfuͤrſten ſich dieſen anſchließen und alsdann die vereinigten Niederlande folgen wollen.
Die ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Kaiſer haben eben ſo wenig Urſach dem Papſt im Range zu weichen. In Anſehung der uͤbrigen proteſtantiſchen Fuͤrſten befindet ſich derſelbe iedoch meiſt im Beſitz des Vorrangs.
a] Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 86. Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedenszeiten S. 28.
b] Politiſches Journal, April 1782. S. 383.
*]
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0250"n="222[224]"/><fwplace="top"type="header">Von der urſpruͤnglichen Gleichheit</fw><lb/>
Religionen haben geſucht, ſich ein gewiſſes Anſehn und<lb/>
einen erhabnern Rang zu verſchaffen, und kein catholi-<lb/>ſcher Fuͤrſt haͤlt es fuͤr eine Erniedrigung, ſeinem geiſtli-<lb/>
chen Vater dieſe Ehre zu erzeigen.</p><lb/><p>Der roͤmiſche Kaiſer geſteht dem Papſte, der Regel<lb/>
nach, den Rang ebenfals zu <hirendition="#aq"><hirendition="#sup">a</hi></hi>]. Joſeph <hirendition="#aq">II.</hi> erwieß auch<lb/>
dem 1782 in Wien ihn beſuchenden Papſt alle Ehrenbe-<lb/>
zeigungen, die ein ſouverainer Fuͤrſt dem andern bey<lb/>
Beſuchen zu erzeigen pflegt; als aber der Papſt bey der<lb/>
großen Feierlichkeit am erſten Oſtertage verlangte, daß<lb/>ſein Thron in der Kirche eine Stufe hoͤher als der kaiſer-<lb/>
liche zubereitet werden muͤſſe, weil er das Oberhaupt<lb/>
der Kirche ſey, enthielt der Kaiſer ſich der ganzen Feier-<lb/>
lichkeit und ließ ſeinen Thron wieder wegnehmen <hirendition="#aq"><hirendition="#sup">b</hi></hi>].</p><lb/><p>Die proteſtantiſchen Maͤchte, welche bey Gelegenheit<lb/>
der Lutheriſchen Reformation vom paͤpſtlichen Stuhle<lb/>ſich losgeriſſen haben, als Grosbritannien, Daͤnemark,<lb/>
Schweden, Sachſen, Brandenburg, Braunſchweig und<lb/>
die vereinigten Niederlande erkennen den Pabſt nicht<lb/>
nur nicht mehr fuͤr das Haupt der Chriſtenheit, ſondern<lb/>
behandeln ihn auch blos als einen Biſchof der Kirche und<lb/>
des Kirchenſtaats wegen als einen angeſehenen Fuͤrſten<lb/>
in Italien. Sie geſtehn ihm daher weder den Rang<lb/>
uͤber dem Kaiſer noch uͤber ſich ſelbſt zu, indem die Koͤni-<lb/>
ge, als gekroͤnte Haͤupter, dem Kaiſer unmittelbar nach-<lb/>
gehn, die Kurfuͤrſten ſich dieſen anſchließen und alsdann<lb/>
die vereinigten Niederlande folgen wollen.</p><lb/><p>Die ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Kaiſer haben eben ſo<lb/>
wenig Urſach dem Papſt im Range zu weichen. In<lb/>
Anſehung der uͤbrigen proteſtantiſchen Fuͤrſten befindet<lb/>ſich derſelbe iedoch meiſt im Beſitz des Vorrangs.</p><lb/><noteplace="end"n="a]">Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 86. Grundſaͤtze des europ.<lb/>
V. R. in Friedenszeiten S. 28.</note><lb/><noteplace="end"n="b]">Politiſches Journal, April 1782. S. 383.</note><lb/><fwplace="bottom"type="catch">*]</fw><lb/></div></div></div></body></text></TEI>
[222[224]/0250]
Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
Religionen haben geſucht, ſich ein gewiſſes Anſehn und
einen erhabnern Rang zu verſchaffen, und kein catholi-
ſcher Fuͤrſt haͤlt es fuͤr eine Erniedrigung, ſeinem geiſtli-
chen Vater dieſe Ehre zu erzeigen.
Der roͤmiſche Kaiſer geſteht dem Papſte, der Regel
nach, den Rang ebenfals zu a]. Joſeph II. erwieß auch
dem 1782 in Wien ihn beſuchenden Papſt alle Ehrenbe-
zeigungen, die ein ſouverainer Fuͤrſt dem andern bey
Beſuchen zu erzeigen pflegt; als aber der Papſt bey der
großen Feierlichkeit am erſten Oſtertage verlangte, daß
ſein Thron in der Kirche eine Stufe hoͤher als der kaiſer-
liche zubereitet werden muͤſſe, weil er das Oberhaupt
der Kirche ſey, enthielt der Kaiſer ſich der ganzen Feier-
lichkeit und ließ ſeinen Thron wieder wegnehmen b].
Die proteſtantiſchen Maͤchte, welche bey Gelegenheit
der Lutheriſchen Reformation vom paͤpſtlichen Stuhle
ſich losgeriſſen haben, als Grosbritannien, Daͤnemark,
Schweden, Sachſen, Brandenburg, Braunſchweig und
die vereinigten Niederlande erkennen den Pabſt nicht
nur nicht mehr fuͤr das Haupt der Chriſtenheit, ſondern
behandeln ihn auch blos als einen Biſchof der Kirche und
des Kirchenſtaats wegen als einen angeſehenen Fuͤrſten
in Italien. Sie geſtehn ihm daher weder den Rang
uͤber dem Kaiſer noch uͤber ſich ſelbſt zu, indem die Koͤni-
ge, als gekroͤnte Haͤupter, dem Kaiſer unmittelbar nach-
gehn, die Kurfuͤrſten ſich dieſen anſchließen und alsdann
die vereinigten Niederlande folgen wollen.
Die ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Kaiſer haben eben ſo
wenig Urſach dem Papſt im Range zu weichen. In
Anſehung der uͤbrigen proteſtantiſchen Fuͤrſten befindet
ſich derſelbe iedoch meiſt im Beſitz des Vorrangs.
a] Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 86. Grundſaͤtze des europ.
V. R. in Friedenszeiten S. 28.
b] Politiſches Journal, April 1782. S. 383.
*]
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 222[224]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/250>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.