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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V. De prudentia
ist nichts anders, als wenn die justiz nicht administriret wird, denn da
kommt man wieder in statum naturalem. Wie Stephanus Bathori auf
den Pohlnischen Thron gestiegen, so hat der Groß-Cantzler zu ihm gesagt:
er sollte die justiz administriren, so würde er regardiret werden, und allen
respect haben, würde er aber dieses nicht thun, so würde er nicht so viel
gelten, als er; So offt man lieset von Königen, welche ums Leben ge-
bracht worden, wird man finden, daß es ex denegata justitia geschehen.
Wenn man nach der moral es betrachtet, so haben die Leute freylich nicht
recht, aber sie thun nicht darnach. Wie Philippus Macedo von Pau-
sania massacri
ret worden, so ist es eben propter denegatam justitiam ge-
schehen. Kein Historicus ist, der nicht Philippum deßwegen blamirt, ob
sie gleich nicht sagen, daß Pausanias recht gethan habe. Septimius Se-
verus
ist gewiß in vielen Stücken ein gescheuter Kayser gewesen, dieser
hat sich alle Richter lassen praesentiren, und bey jeden lassen eine raison
sagen, warum sie ihn erwählet. Etliche hat er selbst gekannt. Da hat
er überlegt, ob sie dazu tüchtig. Man wird sehen, daß in Venedig
und andern Republiquen die justiz wohl administriret wird, weil da die
Magistratus ambulatorii sind. Daß man aber in Teutschland von der
alten Gewohnheit abgegangen, ist diese Ursache: Unsere processe wäh-
reten lange, und wenn da die Richter hätten sollen abgehen, so hätten
die neuen erst müssen wieder so viele volumina durchlesen, und sich da-
von instruiren, da ist denn eine corruptio aus der andern kommen. Es
ist auch nichts abgeschmackters von der gantzen Welt, als wenn man die
justiz verpachtet, da einer muß sehen, daß er das Geld wieder heraus be-
kömmt. Das menschliche Hertz aber ist so beschaffen, daß es keinen
Schaden haben will. Grosse Herren sollten diejenigen, welche die justiz
pachten wollen, einstecken, und straffen. Denn weil die justiz das Haupt-
werck, weßwegen man sich unter ein imperium begeben, so muß solche
am besten in acht genommen werden; Gesetzt aber, es muß einer sechs
hundert Thaler Pacht geben, so sucht er solche wieder heraus zu bringen,
und wenn keine processe sind, so macht er welche. Wir haben einen
casum gehabt, da zwey mit einander Streitigkeiten gehabt, der Richter
ließ sie aber gleich citiren, und sagte: Sie möchten ihre Sache rechtlich
ausmachen. Wir haben den Richter eine Straffe zu erkannt, und ge-
setzt, daß er gar verdiente, abgesetzt zu werden. Der Richter hat vor
dem nichts als Sportuln gehabt: Denn er muste denen Sabinis Essen
und Trincken und Reise-Kosten geben. Es ist nicht gnug, daß einer pe-
ritus,
sondern er muß auch animum haben, er muß ein ehrlicher Mann
seyn, deßwegen haben die Teutschen keine schlechte Leute genommen, son-

dern

Cap. V. De prudentia
iſt nichts anders, als wenn die juſtiz nicht adminiſtriret wird, denn da
kommt man wieder in ſtatum naturalem. Wie Stephanus Bathori auf
den Pohlniſchen Thron geſtiegen, ſo hat der Groß-Cantzler zu ihm geſagt:
er ſollte die juſtiz adminiſtriren, ſo wuͤrde er regardiret werden, und allen
reſpect haben, wuͤrde er aber dieſes nicht thun, ſo wuͤrde er nicht ſo viel
gelten, als er; So offt man lieſet von Koͤnigen, welche ums Leben ge-
bracht worden, wird man finden, daß es ex denegata juſtitia geſchehen.
Wenn man nach der moral es betrachtet, ſo haben die Leute freylich nicht
recht, aber ſie thun nicht darnach. Wie Philippus Macedo von Pau-
ſania maſſacri
ret worden, ſo iſt es eben propter denegatam juſtitiam ge-
ſchehen. Kein Hiſtoricus iſt, der nicht Philippum deßwegen blamirt, ob
ſie gleich nicht ſagen, daß Pauſanias recht gethan habe. Septimius Se-
verus
iſt gewiß in vielen Stuͤcken ein geſcheuter Kayſer geweſen, dieſer
hat ſich alle Richter laſſen præſentiren, und bey jeden laſſen eine raiſon
ſagen, warum ſie ihn erwaͤhlet. Etliche hat er ſelbſt gekannt. Da hat
er uͤberlegt, ob ſie dazu tuͤchtig. Man wird ſehen, daß in Venedig
und andern Republiquen die juſtiz wohl adminiſtriret wird, weil da die
Magiſtratus ambulatorii ſind. Daß man aber in Teutſchland von der
alten Gewohnheit abgegangen, iſt dieſe Urſache: Unſere proceſſe waͤh-
reten lange, und wenn da die Richter haͤtten ſollen abgehen, ſo haͤtten
die neuen erſt muͤſſen wieder ſo viele volumina durchleſen, und ſich da-
von inſtruiren, da iſt denn eine corruptio aus der andern kommen. Es
iſt auch nichts abgeſchmackters von der gantzen Welt, als wenn man die
juſtiz verpachtet, da einer muß ſehen, daß er das Geld wieder heraus be-
koͤmmt. Das menſchliche Hertz aber iſt ſo beſchaffen, daß es keinen
Schaden haben will. Groſſe Herren ſollten diejenigen, welche die juſtiz
pachten wollen, einſtecken, und ſtraffen. Denn weil die juſtiz das Haupt-
werck, weßwegen man ſich unter ein imperium begeben, ſo muß ſolche
am beſten in acht genommen werden; Geſetzt aber, es muß einer ſechs
hundert Thaler Pacht geben, ſo ſucht er ſolche wieder heraus zu bringen,
und wenn keine proceſſe ſind, ſo macht er welche. Wir haben einen
caſum gehabt, da zwey mit einander Streitigkeiten gehabt, der Richter
ließ ſie aber gleich citiren, und ſagte: Sie moͤchten ihre Sache rechtlich
ausmachen. Wir haben den Richter eine Straffe zu erkannt, und ge-
ſetzt, daß er gar verdiente, abgeſetzt zu werden. Der Richter hat vor
dem nichts als Sportuln gehabt: Denn er muſte denen Sabinis Eſſen
und Trincken und Reiſe-Koſten geben. Es iſt nicht gnug, daß einer pe-
ritus,
ſondern er muß auch animum haben, er muß ein ehrlicher Mann
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dern
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[196/0216] Cap. V. De prudentia iſt nichts anders, als wenn die juſtiz nicht adminiſtriret wird, denn da kommt man wieder in ſtatum naturalem. Wie Stephanus Bathori auf den Pohlniſchen Thron geſtiegen, ſo hat der Groß-Cantzler zu ihm geſagt: er ſollte die juſtiz adminiſtriren, ſo wuͤrde er regardiret werden, und allen reſpect haben, wuͤrde er aber dieſes nicht thun, ſo wuͤrde er nicht ſo viel gelten, als er; So offt man lieſet von Koͤnigen, welche ums Leben ge- bracht worden, wird man finden, daß es ex denegata juſtitia geſchehen. Wenn man nach der moral es betrachtet, ſo haben die Leute freylich nicht recht, aber ſie thun nicht darnach. Wie Philippus Macedo von Pau- ſania maſſacriret worden, ſo iſt es eben propter denegatam juſtitiam ge- ſchehen. Kein Hiſtoricus iſt, der nicht Philippum deßwegen blamirt, ob ſie gleich nicht ſagen, daß Pauſanias recht gethan habe. Septimius Se- verus iſt gewiß in vielen Stuͤcken ein geſcheuter Kayſer geweſen, dieſer hat ſich alle Richter laſſen præſentiren, und bey jeden laſſen eine raiſon ſagen, warum ſie ihn erwaͤhlet. Etliche hat er ſelbſt gekannt. Da hat er uͤberlegt, ob ſie dazu tuͤchtig. Man wird ſehen, daß in Venedig und andern Republiquen die juſtiz wohl adminiſtriret wird, weil da die Magiſtratus ambulatorii ſind. Daß man aber in Teutſchland von der alten Gewohnheit abgegangen, iſt dieſe Urſache: Unſere proceſſe waͤh- reten lange, und wenn da die Richter haͤtten ſollen abgehen, ſo haͤtten die neuen erſt muͤſſen wieder ſo viele volumina durchleſen, und ſich da- von inſtruiren, da iſt denn eine corruptio aus der andern kommen. Es iſt auch nichts abgeſchmackters von der gantzen Welt, als wenn man die juſtiz verpachtet, da einer muß ſehen, daß er das Geld wieder heraus be- koͤmmt. Das menſchliche Hertz aber iſt ſo beſchaffen, daß es keinen Schaden haben will. Groſſe Herren ſollten diejenigen, welche die juſtiz pachten wollen, einſtecken, und ſtraffen. Denn weil die juſtiz das Haupt- werck, weßwegen man ſich unter ein imperium begeben, ſo muß ſolche am beſten in acht genommen werden; Geſetzt aber, es muß einer ſechs hundert Thaler Pacht geben, ſo ſucht er ſolche wieder heraus zu bringen, und wenn keine proceſſe ſind, ſo macht er welche. Wir haben einen caſum gehabt, da zwey mit einander Streitigkeiten gehabt, der Richter ließ ſie aber gleich citiren, und ſagte: Sie moͤchten ihre Sache rechtlich ausmachen. Wir haben den Richter eine Straffe zu erkannt, und ge- ſetzt, daß er gar verdiente, abgeſetzt zu werden. Der Richter hat vor dem nichts als Sportuln gehabt: Denn er muſte denen Sabinis Eſſen und Trincken und Reiſe-Koſten geben. Es iſt nicht gnug, daß einer pe- ritus, ſondern er muß auch animum haben, er muß ein ehrlicher Mann ſeyn, deßwegen haben die Teutſchen keine ſchlechte Leute genommen, ſon- dern

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/216>, abgerufen am 25.11.2024.