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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V. De prudentia
wesen, würde er nicht so reussiret haben; Hergegen Melanchthon war
furchtsam, und zog sich gleich zurücke, so bald er die Gefahr sahe: denn
er war providentissimus, und des Luthers rechte Hand, dem er consilia
gegeben, die Luther nachgehends ausgeführet. Bayle hat gewiesen, daß
Melanchthon ein grosser Mann gewesen, und zur selben Zeit seines glei-
chen nicht gehabt. Er wird auch communis Germaniae praeceptor ge-
nennet, und hat gemacht, ut renascerentur litterae. Ein Cholerico-San-
guineus
hat mehr constantiam. Melancholico-Cholerici und Choleri-
co-Melancholici
haben viel vor sich: denn es prostituiret nichts mehr,
als voluptas. Aus der voluptate kommen viele Sachen her, als Hu-
rerey, Sauffen etc. was besoffen ist, prostituiret sich, und alles dieses
macht einen odiös. Kein Mensch hält einen solchen vor tapfer, wenn er
gleich sich mit allen herum schlagen will. Ein Melancholicus aber ma-
chet in amour, in ebrietate, in Klätschereyen keine excesse. Daher ist in
gewisser Masse Sixto V. nicht zu verdencken, daß er homines parumper
austeros
gesuchet. Bey Hof muß alles heimlich zugehen, da braucht
man solche Leute. Bey Cholerico-Melancholicis ist Feuer, courage,
agilite,
Geschwindigkeit, die können grosse Thaten thun; aber dieses ist
ihr Fehler, wenn sie touchiret werden, pardonniren sie keinen Menschen,
sondern suchen die aclatanteste Rache, machen Tumult etc. Diese Leute
machen ihre fortune bey Hofe, sonderlich, wenn sie jemanden haben, der
sie produciret; denn bey Hofe kommt viel darauf an, daß einer sagt:
Hier sey einer, den man brauchen könne. Einen Wollüstigen kan man
da nicht brauchen, der schläfft zu lange, frißt und säufft, und nimmt sei-
ne Sachen nicht in acht. Ist ein Professor wollüstig, so kommt er erst
aus dem Bette, wenn er lesen soll, und hengen ihm die Federn noch in
den Haaren herum. Also kan keiner sagen, daß das Ding nicht appli-
cable,
vielmehr kan man durch diese doctrin alle Leute kennen lernen.
Mancher Mensch kriegt den Lob-Spruch mit in sein Grab, daß er tu-
gendhafft gelebet, da er doch, wenn man es recht betrachtet, nur ein
natürlicher Mensch gewesen, der sich gewust in acht zu nehmen, und den
Zorn nicht hat sehen lassen. Wenn also ein Herr will, e. g. einen
Cammer-Rath haben, so kan er nicht einen Wollüstigen nehmen, son-
dern einen hominem sobrium & attentum ad rem. Ich kenne einen ge-
wissen Souverain, der reisete nach Italien, und hatte einen Hof-Meister
bey sich, welcher muste das Geld ausgeben, diesen fragte einer: wenn er
Rechnung ablegte? Er antwortete: Sein Herr verlangte keine Rechnung,
weil er treu wäre. Das ist was schönes, daraus kan man einen Herrn
erkennen, was an ihm zu thun sey, wenn er keine Rechnung von seinen Be-
dienten fordert.

§. 12. 13.

Cap. V. De prudentia
weſen, wuͤrde er nicht ſo reusſiret haben; Hergegen Melanchthon war
furchtſam, und zog ſich gleich zuruͤcke, ſo bald er die Gefahr ſahe: denn
er war providentiſſimus, und des Luthers rechte Hand, dem er conſilia
gegeben, die Luther nachgehends ausgefuͤhret. Bayle hat gewieſen, daß
Melanchthon ein groſſer Mann geweſen, und zur ſelben Zeit ſeines glei-
chen nicht gehabt. Er wird auch communis Germaniæ præceptor ge-
nennet, und hat gemacht, ut renaſcerentur litteræ. Ein Cholerico-San-
guineus
hat mehr conſtantiam. Melancholico-Cholerici und Choleri-
co-Melancholici
haben viel vor ſich: denn es proſtituiret nichts mehr,
als voluptas. Aus der voluptate kommen viele Sachen her, als Hu-
rerey, Sauffen ꝛc. was beſoffen iſt, proſtituiret ſich, und alles dieſes
macht einen odiös. Kein Menſch haͤlt einen ſolchen vor tapfer, wenn er
gleich ſich mit allen herum ſchlagen will. Ein Melancholicus aber ma-
chet in amour, in ebrietate, in Klaͤtſchereyen keine exceſſe. Daher iſt in
gewiſſer Maſſe Sixto V. nicht zu verdencken, daß er homines parumper
auſteros
geſuchet. Bey Hof muß alles heimlich zugehen, da braucht
man ſolche Leute. Bey Cholerico-Melancholicis iſt Feuer, courage,
agilite,
Geſchwindigkeit, die koͤnnen groſſe Thaten thun; aber dieſes iſt
ihr Fehler, wenn ſie touchiret werden, pardonniren ſie keinen Menſchen,
ſondern ſuchen die aclatanteſte Rache, machen Tumult ꝛc. Dieſe Leute
machen ihre fortune bey Hofe, ſonderlich, wenn ſie jemanden haben, der
ſie produciret; denn bey Hofe kommt viel darauf an, daß einer ſagt:
Hier ſey einer, den man brauchen koͤnne. Einen Wolluͤſtigen kan man
da nicht brauchen, der ſchlaͤfft zu lange, frißt und ſaͤufft, und nimmt ſei-
ne Sachen nicht in acht. Iſt ein Profeſſor wolluͤſtig, ſo kommt er erſt
aus dem Bette, wenn er leſen ſoll, und hengen ihm die Federn noch in
den Haaren herum. Alſo kan keiner ſagen, daß das Ding nicht appli-
cable,
vielmehr kan man durch dieſe doctrin alle Leute kennen lernen.
Mancher Menſch kriegt den Lob-Spruch mit in ſein Grab, daß er tu-
gendhafft gelebet, da er doch, wenn man es recht betrachtet, nur ein
natuͤrlicher Menſch geweſen, der ſich gewuſt in acht zu nehmen, und den
Zorn nicht hat ſehen laſſen. Wenn alſo ein Herr will, e. g. einen
Cammer-Rath haben, ſo kan er nicht einen Wolluͤſtigen nehmen, ſon-
dern einen hominem ſobrium & attentum ad rem. Ich kenne einen ge-
wiſſen Souverain, der reiſete nach Italien, und hatte einen Hof-Meiſter
bey ſich, welcher muſte das Geld ausgeben, dieſen fragte einer: wenn er
Rechnung ablegte? Er antwortete: Sein Herr verlangte keine Rechnung,
weil er treu waͤre. Das iſt was ſchoͤnes, daraus kan man einen Herrn
erkennen, was an ihm zu thun ſey, wenn er keine Rechnung von ſeinen Be-
dienten fordert.

§. 12. 13.
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[238/0258] Cap. V. De prudentia weſen, wuͤrde er nicht ſo reusſiret haben; Hergegen Melanchthon war furchtſam, und zog ſich gleich zuruͤcke, ſo bald er die Gefahr ſahe: denn er war providentiſſimus, und des Luthers rechte Hand, dem er conſilia gegeben, die Luther nachgehends ausgefuͤhret. Bayle hat gewieſen, daß Melanchthon ein groſſer Mann geweſen, und zur ſelben Zeit ſeines glei- chen nicht gehabt. Er wird auch communis Germaniæ præceptor ge- nennet, und hat gemacht, ut renaſcerentur litteræ. Ein Cholerico-San- guineus hat mehr conſtantiam. Melancholico-Cholerici und Choleri- co-Melancholici haben viel vor ſich: denn es proſtituiret nichts mehr, als voluptas. Aus der voluptate kommen viele Sachen her, als Hu- rerey, Sauffen ꝛc. was beſoffen iſt, proſtituiret ſich, und alles dieſes macht einen odiös. Kein Menſch haͤlt einen ſolchen vor tapfer, wenn er gleich ſich mit allen herum ſchlagen will. Ein Melancholicus aber ma- chet in amour, in ebrietate, in Klaͤtſchereyen keine exceſſe. Daher iſt in gewiſſer Maſſe Sixto V. nicht zu verdencken, daß er homines parumper auſteros geſuchet. Bey Hof muß alles heimlich zugehen, da braucht man ſolche Leute. Bey Cholerico-Melancholicis iſt Feuer, courage, agilite, Geſchwindigkeit, die koͤnnen groſſe Thaten thun; aber dieſes iſt ihr Fehler, wenn ſie touchiret werden, pardonniren ſie keinen Menſchen, ſondern ſuchen die aclatanteſte Rache, machen Tumult ꝛc. Dieſe Leute machen ihre fortune bey Hofe, ſonderlich, wenn ſie jemanden haben, der ſie produciret; denn bey Hofe kommt viel darauf an, daß einer ſagt: Hier ſey einer, den man brauchen koͤnne. Einen Wolluͤſtigen kan man da nicht brauchen, der ſchlaͤfft zu lange, frißt und ſaͤufft, und nimmt ſei- ne Sachen nicht in acht. Iſt ein Profeſſor wolluͤſtig, ſo kommt er erſt aus dem Bette, wenn er leſen ſoll, und hengen ihm die Federn noch in den Haaren herum. Alſo kan keiner ſagen, daß das Ding nicht appli- cable, vielmehr kan man durch dieſe doctrin alle Leute kennen lernen. Mancher Menſch kriegt den Lob-Spruch mit in ſein Grab, daß er tu- gendhafft gelebet, da er doch, wenn man es recht betrachtet, nur ein natuͤrlicher Menſch geweſen, der ſich gewuſt in acht zu nehmen, und den Zorn nicht hat ſehen laſſen. Wenn alſo ein Herr will, e. g. einen Cammer-Rath haben, ſo kan er nicht einen Wolluͤſtigen nehmen, ſon- dern einen hominem ſobrium & attentum ad rem. Ich kenne einen ge- wiſſen Souverain, der reiſete nach Italien, und hatte einen Hof-Meiſter bey ſich, welcher muſte das Geld ausgeben, dieſen fragte einer: wenn er Rechnung ablegte? Er antwortete: Sein Herr verlangte keine Rechnung, weil er treu waͤre. Das iſt was ſchoͤnes, daraus kan man einen Herrn erkennen, was an ihm zu thun ſey, wenn er keine Rechnung von ſeinen Be- dienten fordert. §. 12. 13.

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/258>, abgerufen am 24.11.2024.