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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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De prudentia aulica.
corum observiret, wenn er gesagt: Er dürffe nichts aus dem Rath spre-
chen. Sonst kan mich keiner verdencken, daß ich ihm was aufbinde,
wer heist ihn fragen? Wenn verbothen, von der Sache zu sprechen,
und es verlangts einer zu wissen, so kan ich ihm nur sagen, daß ich es
nicht dürffte thun. Wenn ich hier einem was aufbinde, so ists keine
Lügen, sondern ein falsiloquium; das ist eine Lügen, wenn ich meinem
Nächsten Schaden thue. Man wird nicht leicht einen finden, der es
künstlicher gemacht, als der Cardinal Mazarini, und wenn man es ei-
gentlich betrachtet, so hat er recht gethan; Mazarini hatte einen Todt-
Feind an dem Printz Conde, welcher ihn an allen Orthen railliret, der-
gestalt, daß Mazarin nicht hätte bestehen können, wenn er ihn nicht ge-
stürtzet. Mazarini hat immer dissimulirt, aber doch bey der ersten Gele-
genheit ihn suchen zu arretiren, das muste mit einer Vorsichtigkeit ange-
fangen werden. Des Mazarini Leute fielen einmahl des Printzen von
Conde seine Kutsche an, und dachten, der Printz wäre drinnen, er aber
war nicht da. Wie er es hörete, beklagte er sich beym Mazarini, und woll-
te haben, er sollte inquiriren; der Mazarin sagte: Er wäre in moment be-
schäfftiget, eine scharffe inquisition wider diese Beleidigung vorzunehmen.
Der Secretaire schrieb die ordre, indessen machte er den Printzen grosse ca-
ress
en, begleitete ihn bis zu der Thüre, und sagte: Er würde gleich in das an-
dere Zimmer kommen, und die Ehre haben, seine Hoheit weiter zu sprechen;
Kaum war er in das Zimmer kommen, so wurde er arretiret, und hatte der
Secretaire die ordre geschrieben, den Printzen in arrest zu nehmen. Dieses
halte ich vor die gröste piece, so in dem Leben des Mazarini stehet: Wie der
Printz von Conde sich hernach mit dem Mazarini müssen aussöhnen, so hat
er doch immer gesagt, er könnte nicht vergessen, daß ihn Mazarini so beluchset.
Ludovicus XI. hat gesagt: Nescit regnare, qui nescit simulare. dissimulare.
Henricus III.
in Franckreich, welcher sonst ein miserabler Fürst gewesen,
hat den Hertzog von Guise, den er massacriren lassen, noch den Tag vor-
her tractirt: Ja wie er in das Zimmer getreten, worinnen er massacriret
worden, hat er ihn doch noch freundlich begegnet.

§. 23. Derjenige, der bey Hofe einige progressen machen will, muß das de-Von der
Wohlanstän-
digkeit.

corum in acht nehmen. Decorum heist nicht allein sich in habitu wol auffüh-
ren, sondern auch in factis, gestibus, sermone, davon oben gedacht worden.
Gracian sagt: Ein homme de Cour müsse haben keine defauts; Er kan wohl
defauts haben, aber sie dürffen nicht so in die Augen fallen. Gesetzt, es
kommt einer herein, und macht einen närrischen reverence, die Federn
hangen ihm noch in Haaren herum, den lachet jedermann aus. Es ist
gantz gewiß, wenn einer am Hof gehet, der kan eher entbehren Tugend,

als
Q q q 2

De prudentia aulica.
corum obſerviret, wenn er geſagt: Er duͤrffe nichts aus dem Rath ſpre-
chen. Sonſt kan mich keiner verdencken, daß ich ihm was aufbinde,
wer heiſt ihn fragen? Wenn verbothen, von der Sache zu ſprechen,
und es verlangts einer zu wiſſen, ſo kan ich ihm nur ſagen, daß ich es
nicht duͤrffte thun. Wenn ich hier einem was aufbinde, ſo iſts keine
Luͤgen, ſondern ein falſiloquium; das iſt eine Luͤgen, wenn ich meinem
Naͤchſten Schaden thue. Man wird nicht leicht einen finden, der es
kuͤnſtlicher gemacht, als der Cardinal Mazarini, und wenn man es ei-
gentlich betrachtet, ſo hat er recht gethan; Mazarini hatte einen Todt-
Feind an dem Printz Condé, welcher ihn an allen Orthen railliret, der-
geſtalt, daß Mazarin nicht haͤtte beſtehen koͤnnen, wenn er ihn nicht ge-
ſtuͤrtzet. Mazarini hat immer diſſimulirt, aber doch bey der erſten Gele-
genheit ihn ſuchen zu arretiren, das muſte mit einer Vorſichtigkeit ange-
fangen werden. Des Mazarini Leute fielen einmahl des Printzen von
Condé ſeine Kutſche an, und dachten, der Printz waͤre drinnen, er aber
war nicht da. Wie er es hoͤrete, beklagte er ſich beym Mazarini, und woll-
te haben, er ſollte inquiriren; der Mazarin ſagte: Er waͤre in moment be-
ſchaͤfftiget, eine ſcharffe inquiſition wider dieſe Beleidigung vorzunehmen.
Der Secretaire ſchrieb die ordre, indeſſen machte er den Printzen groſſe ca-
reſſ
en, begleitete ihn bis zu der Thuͤre, und ſagte: Er wuͤrde gleich in das an-
dere Zimmer kommen, und die Ehre haben, ſeine Hoheit weiter zu ſprechen;
Kaum war er in das Zimmer kommen, ſo wurde er arretiret, und hatte der
Secretaire die ordre geſchrieben, den Printzen in arreſt zu nehmen. Dieſes
halte ich vor die groͤſte piece, ſo in dem Leben des Mazarini ſtehet: Wie der
Printz von Condé ſich hernach mit dem Mazarini muͤſſen ausſoͤhnen, ſo hat
er doch immer geſagt, er koͤnnte nicht vergeſſen, daß ihn Mazarini ſo beluchſet.
Ludovicus XI. hat geſagt: Neſcit regnare, qui neſcit ſimulare. diſſimulare.
Henricus III.
in Franckreich, welcher ſonſt ein miſerabler Fuͤrſt geweſen,
hat den Hertzog von Guiſe, den er maſſacriren laſſen, noch den Tag vor-
her tractirt: Ja wie er in das Zimmer getreten, worinnen er maſſacriret
worden, hat er ihn doch noch freundlich begegnet.

§. 23. Derjenige, der bey Hofe einige progreſſen machen will, muß das de-Von der
Wohlanſtaͤn-
digkeit.

corum in acht nehmen. Decorum heiſt nicht allein ſich in habitu wol auffuͤh-
ren, ſondern auch in factis, geſtibus, ſermone, davon oben gedacht worden.
Gracian ſagt: Ein homme de Cour muͤſſe haben keine defauts; Er kan wohl
defauts haben, aber ſie duͤrffen nicht ſo in die Augen fallen. Geſetzt, es
kommt einer herein, und macht einen naͤrriſchen reverence, die Federn
hangen ihm noch in Haaren herum, den lachet jedermann aus. Es iſt
gantz gewiß, wenn einer am Hof gehet, der kan eher entbehren Tugend,

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[491/0511] De prudentia aulica. corum obſerviret, wenn er geſagt: Er duͤrffe nichts aus dem Rath ſpre- chen. Sonſt kan mich keiner verdencken, daß ich ihm was aufbinde, wer heiſt ihn fragen? Wenn verbothen, von der Sache zu ſprechen, und es verlangts einer zu wiſſen, ſo kan ich ihm nur ſagen, daß ich es nicht duͤrffte thun. Wenn ich hier einem was aufbinde, ſo iſts keine Luͤgen, ſondern ein falſiloquium; das iſt eine Luͤgen, wenn ich meinem Naͤchſten Schaden thue. Man wird nicht leicht einen finden, der es kuͤnſtlicher gemacht, als der Cardinal Mazarini, und wenn man es ei- gentlich betrachtet, ſo hat er recht gethan; Mazarini hatte einen Todt- Feind an dem Printz Condé, welcher ihn an allen Orthen railliret, der- geſtalt, daß Mazarin nicht haͤtte beſtehen koͤnnen, wenn er ihn nicht ge- ſtuͤrtzet. Mazarini hat immer diſſimulirt, aber doch bey der erſten Gele- genheit ihn ſuchen zu arretiren, das muſte mit einer Vorſichtigkeit ange- fangen werden. Des Mazarini Leute fielen einmahl des Printzen von Condé ſeine Kutſche an, und dachten, der Printz waͤre drinnen, er aber war nicht da. Wie er es hoͤrete, beklagte er ſich beym Mazarini, und woll- te haben, er ſollte inquiriren; der Mazarin ſagte: Er waͤre in moment be- ſchaͤfftiget, eine ſcharffe inquiſition wider dieſe Beleidigung vorzunehmen. Der Secretaire ſchrieb die ordre, indeſſen machte er den Printzen groſſe ca- reſſen, begleitete ihn bis zu der Thuͤre, und ſagte: Er wuͤrde gleich in das an- dere Zimmer kommen, und die Ehre haben, ſeine Hoheit weiter zu ſprechen; Kaum war er in das Zimmer kommen, ſo wurde er arretiret, und hatte der Secretaire die ordre geſchrieben, den Printzen in arreſt zu nehmen. Dieſes halte ich vor die groͤſte piece, ſo in dem Leben des Mazarini ſtehet: Wie der Printz von Condé ſich hernach mit dem Mazarini muͤſſen ausſoͤhnen, ſo hat er doch immer geſagt, er koͤnnte nicht vergeſſen, daß ihn Mazarini ſo beluchſet. Ludovicus XI. hat geſagt: Neſcit regnare, qui neſcit ſimulare. diſſimulare. Henricus III. in Franckreich, welcher ſonſt ein miſerabler Fuͤrſt geweſen, hat den Hertzog von Guiſe, den er maſſacriren laſſen, noch den Tag vor- her tractirt: Ja wie er in das Zimmer getreten, worinnen er maſſacriret worden, hat er ihn doch noch freundlich begegnet. §. 23. Derjenige, der bey Hofe einige progreſſen machen will, muß das de- corum in acht nehmen. Decorum heiſt nicht allein ſich in habitu wol auffuͤh- ren, ſondern auch in factis, geſtibus, ſermone, davon oben gedacht worden. Gracian ſagt: Ein homme de Cour muͤſſe haben keine defauts; Er kan wohl defauts haben, aber ſie duͤrffen nicht ſo in die Augen fallen. Geſetzt, es kommt einer herein, und macht einen naͤrriſchen reverence, die Federn hangen ihm noch in Haaren herum, den lachet jedermann aus. Es iſt gantz gewiß, wenn einer am Hof gehet, der kan eher entbehren Tugend, als Von der Wohlanſtaͤn- digkeit. Q q q 2

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/511>, abgerufen am 25.11.2024.