Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.ten niedergelegten Weltanschauung. Sie sind ein Unterpfand, daß man auch ohne die Weisheit der Hörsäle ein System haben kann. Sie beweisen, daß die beste Philosophie in der Schule des Lebens gelehrt wird. Börne war nicht eingeweiht in die Geheimnisse der Kathedersprache, und dennoch erschrak er vor einer Frage nach dem Höchsten nicht. Fanden die Gelehrteren Gott im Grunde alles Seins, so fand er ihn in der Geschichte; wußten jene das Räthsel des Lebens in eine Formel zu bannen, so sprang es ihm aus einer That entgegen. Börne war Naturalist in dem Sinne wie es Lessing war. Lessing wollte keine Wahrheit, er war zufrieden mit dem Streben darnach. Börne's Schriften sind ein Stahlbad, in das man, entnervt durch Abstraktion und Dachstubenweisheit, niedertaucht und zu neuer Lebensfrische sich stärkt. Irgend einer seiner politischen oder ästhetischen Grundsätze mag einer höhern Spekulation weichen müssen, aber die Unmittelbarkeit, mit der hier selbst das Irrthümliche frisch aus dem Herzen hervorquoll, hat etwas wunderbar Stärkendes und wird diese Kraft so lange bewahren, als unsre Literatur diese jeweilige Lüftung ihrer Atmosphäre, diesen Anblick einer in Gottes freier Natur gewonnenen, ten niedergelegten Weltanschauung. Sie sind ein Unterpfand, daß man auch ohne die Weisheit der Hörsäle ein System haben kann. Sie beweisen, daß die beste Philosophie in der Schule des Lebens gelehrt wird. Börne war nicht eingeweiht in die Geheimnisse der Kathedersprache, und dennoch erschrak er vor einer Frage nach dem Höchsten nicht. Fanden die Gelehrteren Gott im Grunde alles Seins, so fand er ihn in der Geschichte; wußten jene das Räthsel des Lebens in eine Formel zu bannen, so sprang es ihm aus einer That entgegen. Börne war Naturalist in dem Sinne wie es Lessing war. Lessing wollte keine Wahrheit, er war zufrieden mit dem Streben darnach. Börne’s Schriften sind ein Stahlbad, in das man, entnervt durch Abstraktion und Dachstubenweisheit, niedertaucht und zu neuer Lebensfrische sich stärkt. Irgend einer seiner politischen oder ästhetischen Grundsätze mag einer höhern Spekulation weichen müssen, aber die Unmittelbarkeit, mit der hier selbst das Irrthümliche frisch aus dem Herzen hervorquoll, hat etwas wunderbar Stärkendes und wird diese Kraft so lange bewahren, als unsre Literatur diese jeweilige Lüftung ihrer Atmosphäre, diesen Anblick einer in Gottes freier Natur gewonnenen, <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0345" n="303"/> ten niedergelegten Weltanschauung. Sie sind ein Unterpfand, daß man auch ohne die Weisheit der Hörsäle ein System haben kann. Sie beweisen, daß die beste Philosophie in der Schule des Lebens gelehrt wird. Börne war nicht eingeweiht in die Geheimnisse der Kathedersprache, und dennoch erschrak er vor einer Frage nach dem Höchsten nicht. Fanden die Gelehrteren Gott im Grunde alles Seins, so fand <hi rendition="#g">er</hi> ihn in der Geschichte; wußten jene das Räthsel des Lebens in eine Formel zu bannen, so sprang es ihm aus einer That entgegen. Börne war Naturalist in dem Sinne wie es Lessing war. Lessing wollte keine Wahrheit, er war zufrieden mit dem <hi rendition="#g">Streben</hi> darnach. Börne’s Schriften sind ein Stahlbad, in das man, entnervt durch Abstraktion und Dachstubenweisheit, niedertaucht und zu neuer Lebensfrische sich stärkt. Irgend einer seiner politischen oder ästhetischen Grundsätze mag einer höhern Spekulation weichen müssen, aber die Unmittelbarkeit, mit der hier selbst das Irrthümliche frisch aus dem Herzen hervorquoll, hat etwas wunderbar Stärkendes und wird diese Kraft so lange bewahren, als unsre Literatur diese jeweilige Lüftung ihrer Atmosphäre, diesen Anblick einer in Gottes freier Natur gewonnenen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [303/0345]
ten niedergelegten Weltanschauung. Sie sind ein Unterpfand, daß man auch ohne die Weisheit der Hörsäle ein System haben kann. Sie beweisen, daß die beste Philosophie in der Schule des Lebens gelehrt wird. Börne war nicht eingeweiht in die Geheimnisse der Kathedersprache, und dennoch erschrak er vor einer Frage nach dem Höchsten nicht. Fanden die Gelehrteren Gott im Grunde alles Seins, so fand er ihn in der Geschichte; wußten jene das Räthsel des Lebens in eine Formel zu bannen, so sprang es ihm aus einer That entgegen. Börne war Naturalist in dem Sinne wie es Lessing war. Lessing wollte keine Wahrheit, er war zufrieden mit dem Streben darnach. Börne’s Schriften sind ein Stahlbad, in das man, entnervt durch Abstraktion und Dachstubenweisheit, niedertaucht und zu neuer Lebensfrische sich stärkt. Irgend einer seiner politischen oder ästhetischen Grundsätze mag einer höhern Spekulation weichen müssen, aber die Unmittelbarkeit, mit der hier selbst das Irrthümliche frisch aus dem Herzen hervorquoll, hat etwas wunderbar Stärkendes und wird diese Kraft so lange bewahren, als unsre Literatur diese jeweilige Lüftung ihrer Atmosphäre, diesen Anblick einer in Gottes freier Natur gewonnenen,
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