Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Lehrer gab sich alle Mühe, die aufstrebende Zweifelsucht des Knaben niederzuhalten; besonders aber suchte er ihn von einer bittern Beurtheilung des Verhältnisses der Juden zu den Christen abzubringen. Vergebens. Der Knabe grübelte fortwährend über die schimpfliche Zurücksetzung seiner Glaubensgenossen und bedrängte seinen Lehrer mit Fragen, auf welche sich nur eine seufzende Antwort geben ließ. Der Lehrer sagte ihm: Siehst du nicht, auch die Katholiken sind in Frankfurt zurückgesetzt und können nicht der gleichen Rechte mit den Protestanten sich rühmen? Börne fand dies noch um so auffallender, als ja der Kaiser selbst katholisch wäre. "Kaum, bemerkte er, haben sie Den kürzlich mit großem Gepränge gekrönt, und wollte er hier bleiben und in Frankfurt ansäßig werden, so könnte er ja nicht einmal Thorschreiber werden!"

Das erste Mal, wo er auf die Lage der Juden zu sprechen kam, war bei einem Spaziergange um die Thore Frankfurts. Es regnete stark und der Fahrweg war durch Koth fast unwegsam. Wir wollen hinüber gehen in den Fußweg, sagte Börne zu seinem Lehrer. Weißt du nicht, antwortete dieser, daß uns der Fußweg verboten ist? Die Antwort des Knaben, die hierauf erfolgte: Es siehts ja Niemand! nahm der

Der Lehrer gab sich alle Mühe, die aufstrebende Zweifelsucht des Knaben niederzuhalten; besonders aber suchte er ihn von einer bittern Beurtheilung des Verhältnisses der Juden zu den Christen abzubringen. Vergebens. Der Knabe grübelte fortwährend über die schimpfliche Zurücksetzung seiner Glaubensgenossen und bedrängte seinen Lehrer mit Fragen, auf welche sich nur eine seufzende Antwort geben ließ. Der Lehrer sagte ihm: Siehst du nicht, auch die Katholiken sind in Frankfurt zurückgesetzt und können nicht der gleichen Rechte mit den Protestanten sich rühmen? Börne fand dies noch um so auffallender, als ja der Kaiser selbst katholisch wäre. „Kaum, bemerkte er, haben sie Den kürzlich mit großem Gepränge gekrönt, und wollte er hier bleiben und in Frankfurt ansäßig werden, so könnte er ja nicht einmal Thorschreiber werden!"

Das erste Mal, wo er auf die Lage der Juden zu sprechen kam, war bei einem Spaziergange um die Thore Frankfurts. Es regnete stark und der Fahrweg war durch Koth fast unwegsam. Wir wollen hinüber gehen in den Fußweg, sagte Börne zu seinem Lehrer. Weißt du nicht, antwortete dieser, daß uns der Fußweg verboten ist? Die Antwort des Knaben, die hierauf erfolgte: Es siehts ja Niemand! nahm der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0084" n="42"/>
        <p> Der Lehrer gab sich alle Mühe, die aufstrebende Zweifelsucht des Knaben niederzuhalten; besonders aber suchte er ihn von einer bittern Beurtheilung des Verhältnisses der Juden zu den Christen abzubringen. Vergebens. Der Knabe grübelte fortwährend über die schimpfliche Zurücksetzung seiner Glaubensgenossen und bedrängte seinen Lehrer mit Fragen, auf welche sich nur eine seufzende Antwort geben ließ. Der Lehrer sagte ihm: Siehst du nicht, auch die Katholiken sind in Frankfurt zurückgesetzt und können nicht der gleichen Rechte mit den Protestanten sich rühmen? Börne fand dies noch um so auffallender, als ja der Kaiser selbst katholisch wäre. &#x201E;Kaum, bemerkte er, haben sie Den kürzlich mit großem Gepränge gekrönt, und wollte er hier bleiben und in Frankfurt ansäßig werden, so könnte er ja nicht einmal Thorschreiber werden!"</p>
        <p>Das erste Mal, wo er auf die Lage der Juden zu sprechen kam, war bei einem Spaziergange um die Thore Frankfurts. Es regnete stark und der Fahrweg war durch Koth fast unwegsam. Wir wollen hinüber gehen in den Fußweg, sagte Börne zu seinem Lehrer. Weißt du nicht, antwortete dieser, daß uns der Fußweg verboten ist? Die Antwort des Knaben, die hierauf erfolgte: Es siehts ja Niemand! nahm der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[42/0084] Der Lehrer gab sich alle Mühe, die aufstrebende Zweifelsucht des Knaben niederzuhalten; besonders aber suchte er ihn von einer bittern Beurtheilung des Verhältnisses der Juden zu den Christen abzubringen. Vergebens. Der Knabe grübelte fortwährend über die schimpfliche Zurücksetzung seiner Glaubensgenossen und bedrängte seinen Lehrer mit Fragen, auf welche sich nur eine seufzende Antwort geben ließ. Der Lehrer sagte ihm: Siehst du nicht, auch die Katholiken sind in Frankfurt zurückgesetzt und können nicht der gleichen Rechte mit den Protestanten sich rühmen? Börne fand dies noch um so auffallender, als ja der Kaiser selbst katholisch wäre. „Kaum, bemerkte er, haben sie Den kürzlich mit großem Gepränge gekrönt, und wollte er hier bleiben und in Frankfurt ansäßig werden, so könnte er ja nicht einmal Thorschreiber werden!" Das erste Mal, wo er auf die Lage der Juden zu sprechen kam, war bei einem Spaziergange um die Thore Frankfurts. Es regnete stark und der Fahrweg war durch Koth fast unwegsam. Wir wollen hinüber gehen in den Fußweg, sagte Börne zu seinem Lehrer. Weißt du nicht, antwortete dieser, daß uns der Fußweg verboten ist? Die Antwort des Knaben, die hierauf erfolgte: Es siehts ja Niemand! nahm der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-03T11:49:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-07-03T11:49:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/84
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/84>, abgerufen am 21.11.2024.