Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Talleyrand. lahmen Fuße nachschleppte, ein zweiter Esau, der anseinen jüngern Bruder die Erstgeburt für die Linsenge¬ richte des bischöflichen Konvikts verkauft hatte, nahm er ein Betragen an, das aus Ehrgeiz, encyklopädischer Philosophie und Ausschweifungen zusammengesetzt war. Er unterließ nicht, dem Hofe aufzuwarten, und ent¬ wickelte dort viel Tugend. Dieser Jüngling von Bi¬ schof verstand es schon vortrefflich, die Maske vorzu¬ nehmen; er war galant, blumenreich, etwas salbungs¬ voll, und zog es in den meisten Fällen vor, zu schwei¬ gen. Man nannte dis erst Bescheidenheit, aber Tal¬ leyrand besann sich auf jenes feine Lächeln, das ihn auch später im auswärtigen Amte von London noch nicht verlassen hat. Von diesem Augenblicke an hielt man ihn für geistreich, sein Schweigen wurde eine Au¬ torität, man wettete, daß wenn er den Mund nur öff¬ nen wollte, unfehlbar etwas Gescheidtes zu Tage kom¬ men würde. Talleyrand genoß diesen Triumph des Stillschweigens, empfahl sich, und eilte auf Mirabeau zu, der ihm schon lange winkte. Sie legten ihre Arme ineinander, zogen die hohen Personen durch, schwärm¬ ten durch das Palais-royal, und verbrachten die Nacht am Spieltische in der Rue Quincampoir. Talleyrand und Mirabeau waren die besten Freunde. Dieser Talleyrand. lahmen Fuße nachſchleppte, ein zweiter Eſau, der anſeinen juͤngern Bruder die Erſtgeburt fuͤr die Linſenge¬ richte des biſchoͤflichen Konvikts verkauft hatte, nahm er ein Betragen an, das aus Ehrgeiz, encyklopaͤdiſcher Philoſophie und Ausſchweifungen zuſammengeſetzt war. Er unterließ nicht, dem Hofe aufzuwarten, und ent¬ wickelte dort viel Tugend. Dieſer Juͤngling von Bi¬ ſchof verſtand es ſchon vortrefflich, die Maske vorzu¬ nehmen; er war galant, blumenreich, etwas ſalbungs¬ voll, und zog es in den meiſten Faͤllen vor, zu ſchwei¬ gen. Man nannte dis erſt Beſcheidenheit, aber Tal¬ leyrand beſann ſich auf jenes feine Laͤcheln, das ihn auch ſpaͤter im auswaͤrtigen Amte von London noch nicht verlaſſen hat. Von dieſem Augenblicke an hielt man ihn fuͤr geiſtreich, ſein Schweigen wurde eine Au¬ toritaͤt, man wettete, daß wenn er den Mund nur oͤff¬ nen wollte, unfehlbar etwas Geſcheidtes zu Tage kom¬ men wuͤrde. Talleyrand genoß dieſen Triumph des Stillſchweigens, empfahl ſich, und eilte auf Mirabeau zu, der ihm ſchon lange winkte. Sie legten ihre Arme ineinander, zogen die hohen Perſonen durch, ſchwaͤrm¬ ten durch das Palais-royal, und verbrachten die Nacht am Spieltiſche in der Rue Quincampoir. Talleyrand und Mirabeau waren die beſten Freunde. Dieſer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0023" n="5"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Talleyrand</hi>.<lb/></fw> lahmen Fuße nachſchleppte, ein zweiter Eſau, der an<lb/> ſeinen juͤngern Bruder die Erſtgeburt fuͤr die Linſenge¬<lb/> richte des biſchoͤflichen Konvikts verkauft hatte, nahm<lb/> er ein Betragen an, das aus Ehrgeiz, encyklopaͤdiſcher<lb/> Philoſophie und Ausſchweifungen zuſammengeſetzt war.<lb/> Er unterließ nicht, dem Hofe aufzuwarten, und ent¬<lb/> wickelte dort viel Tugend. Dieſer Juͤngling von Bi¬<lb/> ſchof verſtand es ſchon vortrefflich, die Maske vorzu¬<lb/> nehmen; er war galant, blumenreich, etwas ſalbungs¬<lb/> voll, und zog es in den meiſten Faͤllen vor, zu ſchwei¬<lb/> gen. Man nannte dis erſt Beſcheidenheit, aber Tal¬<lb/> leyrand beſann ſich auf jenes feine Laͤcheln, das ihn<lb/> auch ſpaͤter im auswaͤrtigen Amte von London noch<lb/> nicht verlaſſen hat. Von dieſem Augenblicke an hielt<lb/> man ihn fuͤr geiſtreich, ſein Schweigen wurde eine Au¬<lb/> toritaͤt, man wettete, daß wenn er den Mund nur oͤff¬<lb/> nen wollte, unfehlbar etwas Geſcheidtes zu Tage kom¬<lb/> men wuͤrde. Talleyrand genoß dieſen Triumph des<lb/> Stillſchweigens, empfahl ſich, und eilte auf Mirabeau<lb/> zu, der ihm ſchon lange winkte. Sie legten ihre Arme<lb/> ineinander, zogen die hohen Perſonen durch, ſchwaͤrm¬<lb/> ten durch das Palais-royal, und verbrachten die Nacht<lb/> am Spieltiſche in der Rue Quincampoir. Talleyrand<lb/> und Mirabeau waren die beſten Freunde. Dieſer<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [5/0023]
Talleyrand.
lahmen Fuße nachſchleppte, ein zweiter Eſau, der an
ſeinen juͤngern Bruder die Erſtgeburt fuͤr die Linſenge¬
richte des biſchoͤflichen Konvikts verkauft hatte, nahm
er ein Betragen an, das aus Ehrgeiz, encyklopaͤdiſcher
Philoſophie und Ausſchweifungen zuſammengeſetzt war.
Er unterließ nicht, dem Hofe aufzuwarten, und ent¬
wickelte dort viel Tugend. Dieſer Juͤngling von Bi¬
ſchof verſtand es ſchon vortrefflich, die Maske vorzu¬
nehmen; er war galant, blumenreich, etwas ſalbungs¬
voll, und zog es in den meiſten Faͤllen vor, zu ſchwei¬
gen. Man nannte dis erſt Beſcheidenheit, aber Tal¬
leyrand beſann ſich auf jenes feine Laͤcheln, das ihn
auch ſpaͤter im auswaͤrtigen Amte von London noch
nicht verlaſſen hat. Von dieſem Augenblicke an hielt
man ihn fuͤr geiſtreich, ſein Schweigen wurde eine Au¬
toritaͤt, man wettete, daß wenn er den Mund nur oͤff¬
nen wollte, unfehlbar etwas Geſcheidtes zu Tage kom¬
men wuͤrde. Talleyrand genoß dieſen Triumph des
Stillſchweigens, empfahl ſich, und eilte auf Mirabeau
zu, der ihm ſchon lange winkte. Sie legten ihre Arme
ineinander, zogen die hohen Perſonen durch, ſchwaͤrm¬
ten durch das Palais-royal, und verbrachten die Nacht
am Spieltiſche in der Rue Quincampoir. Talleyrand
und Mirabeau waren die beſten Freunde. Dieſer
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