Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Ancillon. schnell die Reichthümer verschafften, die ein anderer Theilvon ihnen aus Frankreich mitgebracht hatte, und welche, durch Verheirathung und Wohlthätigkeit fast zu einem Gemeingut geworden, die Unterlage und Rechtfertigung einer Achtung wurden, die ihnen von allen Seiten entgegen kam. Aus dem Geburtslande des feinen An¬ stands hatten sie eine Convenienz herübergebracht, mit welcher sie sich unter einander auszeichneten, und welche doch niemals in die Frivolität der französischen Mode ausartete, da sie von dem eigensinnigen, etwas mürri¬ schen und aschgrauen Geiste des Calvinismus gemil¬ dert wurde. Der Begriff eines saubern und reinlichen Charakters, einer spiegelblanken Glätte des Gemüthes und einer von aller Excentricität entfernten, immer mä¬ ßigen Spannung der Seele ist niemals so vollendet ausgebildet gewesen, als ehemals in den Cirkeln der Berlinischen Hugenottenkolonie. Niemals hat man die Gegenseitigkeit conventioneller Pflichten so glücklich abgewogen, und in den Umgang zugleich so viel Frei¬ heit und Gesetz gebracht, wie damals. Noch heut un¬ terscheidet sich ein junger Mann aus der französischen Kolonie auffallend von jedem andern Berlinischen Jüng¬ ling. Dort Erziehung, hier Dilettantismus; dort ein gewählter, bestimmter, etwas altkluger Ausdruck, der Ancillon. ſchnell die Reichthuͤmer verſchafften, die ein anderer Theilvon ihnen aus Frankreich mitgebracht hatte, und welche, durch Verheirathung und Wohlthaͤtigkeit faſt zu einem Gemeingut geworden, die Unterlage und Rechtfertigung einer Achtung wurden, die ihnen von allen Seiten entgegen kam. Aus dem Geburtslande des feinen An¬ ſtands hatten ſie eine Convenienz heruͤbergebracht, mit welcher ſie ſich unter einander auszeichneten, und welche doch niemals in die Frivolitaͤt der franzoͤſiſchen Mode ausartete, da ſie von dem eigenſinnigen, etwas muͤrri¬ ſchen und aſchgrauen Geiſte des Calvinismus gemil¬ dert wurde. Der Begriff eines ſaubern und reinlichen Charakters, einer ſpiegelblanken Glaͤtte des Gemuͤthes und einer von aller Excentricitaͤt entfernten, immer maͤ¬ ßigen Spannung der Seele iſt niemals ſo vollendet ausgebildet geweſen, als ehemals in den Cirkeln der Berliniſchen Hugenottenkolonie. Niemals hat man die Gegenſeitigkeit conventioneller Pflichten ſo gluͤcklich abgewogen, und in den Umgang zugleich ſo viel Frei¬ heit und Geſetz gebracht, wie damals. Noch heut un¬ terſcheidet ſich ein junger Mann aus der franzoͤſiſchen Kolonie auffallend von jedem andern Berliniſchen Juͤng¬ ling. Dort Erziehung, hier Dilettantismus; dort ein gewaͤhlter, beſtimmter, etwas altkluger Ausdruck, der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0268" n="250"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Ancillon</hi>.<lb/></fw>ſchnell die Reichthuͤmer verſchafften, die ein anderer Theil<lb/> von ihnen aus Frankreich mitgebracht hatte, und welche,<lb/> durch Verheirathung und Wohlthaͤtigkeit faſt zu einem<lb/> Gemeingut geworden, die Unterlage und Rechtfertigung<lb/> einer Achtung wurden, die ihnen von allen Seiten<lb/> entgegen kam. Aus dem Geburtslande des feinen An¬<lb/> ſtands hatten ſie eine Convenienz heruͤbergebracht, mit<lb/> welcher ſie ſich unter einander auszeichneten, und welche<lb/> doch niemals in die Frivolitaͤt der franzoͤſiſchen Mode<lb/> ausartete, da ſie von dem eigenſinnigen, etwas muͤrri¬<lb/> ſchen und aſchgrauen Geiſte des Calvinismus gemil¬<lb/> dert wurde. Der Begriff eines ſaubern und reinlichen<lb/> Charakters, einer ſpiegelblanken Glaͤtte des Gemuͤthes<lb/> und einer von aller Excentricitaͤt entfernten, immer maͤ¬<lb/> ßigen Spannung der Seele iſt niemals ſo vollendet<lb/> ausgebildet geweſen, als ehemals in den Cirkeln der<lb/> Berliniſchen Hugenottenkolonie. Niemals hat man<lb/> die Gegenſeitigkeit conventioneller Pflichten ſo gluͤcklich<lb/> abgewogen, und in den Umgang zugleich ſo viel Frei¬<lb/> heit und Geſetz gebracht, wie damals. Noch heut un¬<lb/> terſcheidet ſich ein junger Mann aus der franzoͤſiſchen<lb/> Kolonie auffallend von jedem andern Berliniſchen Juͤng¬<lb/> ling. Dort Erziehung, hier Dilettantismus; dort ein<lb/> gewaͤhlter, beſtimmter, etwas altkluger Ausdruck, der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [250/0268]
Ancillon.
ſchnell die Reichthuͤmer verſchafften, die ein anderer Theil
von ihnen aus Frankreich mitgebracht hatte, und welche,
durch Verheirathung und Wohlthaͤtigkeit faſt zu einem
Gemeingut geworden, die Unterlage und Rechtfertigung
einer Achtung wurden, die ihnen von allen Seiten
entgegen kam. Aus dem Geburtslande des feinen An¬
ſtands hatten ſie eine Convenienz heruͤbergebracht, mit
welcher ſie ſich unter einander auszeichneten, und welche
doch niemals in die Frivolitaͤt der franzoͤſiſchen Mode
ausartete, da ſie von dem eigenſinnigen, etwas muͤrri¬
ſchen und aſchgrauen Geiſte des Calvinismus gemil¬
dert wurde. Der Begriff eines ſaubern und reinlichen
Charakters, einer ſpiegelblanken Glaͤtte des Gemuͤthes
und einer von aller Excentricitaͤt entfernten, immer maͤ¬
ßigen Spannung der Seele iſt niemals ſo vollendet
ausgebildet geweſen, als ehemals in den Cirkeln der
Berliniſchen Hugenottenkolonie. Niemals hat man
die Gegenſeitigkeit conventioneller Pflichten ſo gluͤcklich
abgewogen, und in den Umgang zugleich ſo viel Frei¬
heit und Geſetz gebracht, wie damals. Noch heut un¬
terſcheidet ſich ein junger Mann aus der franzoͤſiſchen
Kolonie auffallend von jedem andern Berliniſchen Juͤng¬
ling. Dort Erziehung, hier Dilettantismus; dort ein
gewaͤhlter, beſtimmter, etwas altkluger Ausdruck, der
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