Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Martinez de la Rosa.
sich gut steht! Martinez wandte sich verzweifelnd von
den politischen Kombinationen ab, und dichtete seinen
Morayma. Die Sehnsucht des Verbannten trug seine
Phantasie in die poetischen Erinnerungen Granadas,
aber so gefesselt waren seine Gedanken an die Schick¬
sale des Vaterlandes, daß sein Drama eher den Na¬
men einer Allegorie verdiente. Er läßt einen der letz¬
ten maurischen Könige nach Ermordung der Abencerra¬
gen den Thron besteigen. Die Erbitterung der Par¬
teien umgiebt ihn. Persönliches Interesse schürt die
Leidenschaft, hier Intrigue und Verläumdung, dort Ge¬
waltthätigkeiten und Tumulte. Der Castilianer steht
vor den Thoren. Der König ist schwach und weil er
zwischen beiden Parteien in der Mitte stehen will, wird
er Tyrann und undankbar gegen die, welchen er seine
Krone verdankt. Hier sind die Cortes, hier Ferdinand,
die Franzosen. Hier aber auch schon der Gefangene
von Ceuta mit seinen Grillen, die er mit den Mu¬
scheln am afrikanischen Strande aufliest; denn er sieht
in Allem, was der Hebel seines Dramas ist, persön¬
liche Leidenschaft, fürchtet die rohe Gewalt, auch da,
wo sie zum Siege seiner Partei unerläßlich ist, und
haßt den Tumult der Masse. Wir sehen ihn befan¬
gen nach Madrid, in die Cortes von 1820 zurückkeh¬

Martinez de la Roſa.
ſich gut ſteht! Martinez wandte ſich verzweifelnd von
den politiſchen Kombinationen ab, und dichtete ſeinen
Morayma. Die Sehnſucht des Verbannten trug ſeine
Phantaſie in die poetiſchen Erinnerungen Granadas,
aber ſo gefeſſelt waren ſeine Gedanken an die Schick¬
ſale des Vaterlandes, daß ſein Drama eher den Na¬
men einer Allegorie verdiente. Er laͤßt einen der letz¬
ten mauriſchen Koͤnige nach Ermordung der Abencerra¬
gen den Thron beſteigen. Die Erbitterung der Par¬
teien umgiebt ihn. Perſoͤnliches Intereſſe ſchuͤrt die
Leidenſchaft, hier Intrigue und Verlaͤumdung, dort Ge¬
waltthaͤtigkeiten und Tumulte. Der Caſtilianer ſteht
vor den Thoren. Der Koͤnig iſt ſchwach und weil er
zwiſchen beiden Parteien in der Mitte ſtehen will, wird
er Tyrann und undankbar gegen die, welchen er ſeine
Krone verdankt. Hier ſind die Cortes, hier Ferdinand,
die Franzoſen. Hier aber auch ſchon der Gefangene
von Ceuta mit ſeinen Grillen, die er mit den Mu¬
ſcheln am afrikaniſchen Strande auflieſt; denn er ſieht
in Allem, was der Hebel ſeines Dramas iſt, perſoͤn¬
liche Leidenſchaft, fuͤrchtet die rohe Gewalt, auch da,
wo ſie zum Siege ſeiner Partei unerlaͤßlich iſt, und
haßt den Tumult der Maſſe. Wir ſehen ihn befan¬
gen nach Madrid, in die Cortes von 1820 zuruͤckkeh¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0054" n="36"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Martinez de la Ro&#x017F;a</hi>.<lb/></fw>&#x017F;ich gut &#x017F;teht! Martinez wandte &#x017F;ich verzweifelnd von<lb/>
den politi&#x017F;chen Kombinationen ab, und dichtete &#x017F;einen<lb/>
Morayma. Die Sehn&#x017F;ucht des Verbannten trug &#x017F;eine<lb/>
Phanta&#x017F;ie in die poeti&#x017F;chen Erinnerungen Granadas,<lb/>
aber &#x017F;o gefe&#x017F;&#x017F;elt waren &#x017F;eine Gedanken an die Schick¬<lb/>
&#x017F;ale des Vaterlandes, daß &#x017F;ein Drama eher den Na¬<lb/>
men einer Allegorie verdiente. Er la&#x0364;ßt einen der letz¬<lb/>
ten mauri&#x017F;chen Ko&#x0364;nige nach Ermordung der Abencerra¬<lb/>
gen den Thron be&#x017F;teigen. Die Erbitterung der Par¬<lb/>
teien umgiebt ihn. Per&#x017F;o&#x0364;nliches Intere&#x017F;&#x017F;e &#x017F;chu&#x0364;rt die<lb/>
Leiden&#x017F;chaft, hier Intrigue und Verla&#x0364;umdung, dort Ge¬<lb/>
walttha&#x0364;tigkeiten und Tumulte. Der Ca&#x017F;tilianer &#x017F;teht<lb/>
vor den Thoren. Der Ko&#x0364;nig i&#x017F;t &#x017F;chwach und weil er<lb/>
zwi&#x017F;chen beiden Parteien in der Mitte &#x017F;tehen will, wird<lb/>
er Tyrann und undankbar gegen die, welchen er &#x017F;eine<lb/>
Krone verdankt. Hier &#x017F;ind die Cortes, hier Ferdinand,<lb/>
die Franzo&#x017F;en. Hier aber auch &#x017F;chon der Gefangene<lb/>
von Ceuta mit &#x017F;einen Grillen, die er mit den Mu¬<lb/>
&#x017F;cheln am afrikani&#x017F;chen Strande auflie&#x017F;t; denn er &#x017F;ieht<lb/>
in Allem, was der Hebel &#x017F;eines Dramas i&#x017F;t, per&#x017F;o&#x0364;<lb/>
liche Leiden&#x017F;chaft, fu&#x0364;rchtet die rohe Gewalt, auch da,<lb/>
wo &#x017F;ie zum Siege &#x017F;einer Partei unerla&#x0364;ßlich i&#x017F;t, und<lb/>
haßt den Tumult der Ma&#x017F;&#x017F;e. Wir &#x017F;ehen ihn befan¬<lb/>
gen nach Madrid, in die Cortes von 1820 zuru&#x0364;ckkeh¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0054] Martinez de la Roſa. ſich gut ſteht! Martinez wandte ſich verzweifelnd von den politiſchen Kombinationen ab, und dichtete ſeinen Morayma. Die Sehnſucht des Verbannten trug ſeine Phantaſie in die poetiſchen Erinnerungen Granadas, aber ſo gefeſſelt waren ſeine Gedanken an die Schick¬ ſale des Vaterlandes, daß ſein Drama eher den Na¬ men einer Allegorie verdiente. Er laͤßt einen der letz¬ ten mauriſchen Koͤnige nach Ermordung der Abencerra¬ gen den Thron beſteigen. Die Erbitterung der Par¬ teien umgiebt ihn. Perſoͤnliches Intereſſe ſchuͤrt die Leidenſchaft, hier Intrigue und Verlaͤumdung, dort Ge¬ waltthaͤtigkeiten und Tumulte. Der Caſtilianer ſteht vor den Thoren. Der Koͤnig iſt ſchwach und weil er zwiſchen beiden Parteien in der Mitte ſtehen will, wird er Tyrann und undankbar gegen die, welchen er ſeine Krone verdankt. Hier ſind die Cortes, hier Ferdinand, die Franzoſen. Hier aber auch ſchon der Gefangene von Ceuta mit ſeinen Grillen, die er mit den Mu¬ ſcheln am afrikaniſchen Strande auflieſt; denn er ſieht in Allem, was der Hebel ſeines Dramas iſt, perſoͤn¬ liche Leidenſchaft, fuͤrchtet die rohe Gewalt, auch da, wo ſie zum Siege ſeiner Partei unerlaͤßlich iſt, und haßt den Tumult der Maſſe. Wir ſehen ihn befan¬ gen nach Madrid, in die Cortes von 1820 zuruͤckkeh¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/54
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/54>, abgerufen am 21.11.2024.