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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.

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Chateaubriand.
mittelalterliche Enthusiasmus in Deutschland; er spricht
nirgends vom langen Haar, von der schiefen Stellung
des Halses und dem wässerigen Etwas in dem Auge;
er ist ein Narr mit Grazie, umgänglich und ohne Fa¬
natismus. Sein Christenthum ist mild, ohne Schre¬
cken; er predigt es ohne Feuer und Schwert; es ist
ein Anflug, der nur ihm geworden sein soll und den
ein Jeder haben kann, wenn er die Messe oder das
de profundis hört.

Chateaubriand kennt nur die Vergangenheit des
Christenthums; er philosophirt nicht über die Zukunft
dieses Glaubens. Indem er uns auf die Leiden der
Kirche hinweist, gewinnt er unsere Theilnahme für die
Dulderin; er beschwört uns bei den ungeheuern Blut¬
strömen, welche für das Leben Jesu und die Apostel¬
geschichte geflossen sind, wenigstens um die Kirche zu
weinen, und nicht leichtsinnig wegzuwerfen, was die
Ahnen so theuer erkauften. Das ist die schöne Seite,
während er sonst immer nur schildernd, interessirt
spricht, niemals auffordernd. Chateaubriand wollte kein
Apostel sein oder eine Schule stiften, sondern das Chri¬
stenthum sollte eine Merkwürdigkeit bleiben, welche un¬
ter Hunderten zufällig ihn kenntlich machte. Man

Chateaubriand.
mittelalterliche Enthuſiasmus in Deutſchland; er ſpricht
nirgends vom langen Haar, von der ſchiefen Stellung
des Halſes und dem waͤſſerigen Etwas in dem Auge;
er iſt ein Narr mit Grazie, umgaͤnglich und ohne Fa¬
natismus. Sein Chriſtenthum iſt mild, ohne Schre¬
cken; er predigt es ohne Feuer und Schwert; es iſt
ein Anflug, der nur ihm geworden ſein ſoll und den
ein Jeder haben kann, wenn er die Meſſe oder das
de profundis hoͤrt.

Chateaubriand kennt nur die Vergangenheit des
Chriſtenthums; er philoſophirt nicht uͤber die Zukunft
dieſes Glaubens. Indem er uns auf die Leiden der
Kirche hinweiſt, gewinnt er unſere Theilnahme fuͤr die
Dulderin; er beſchwoͤrt uns bei den ungeheuern Blut¬
ſtroͤmen, welche fuͤr das Leben Jeſu und die Apoſtel¬
geſchichte gefloſſen ſind, wenigſtens um die Kirche zu
weinen, und nicht leichtſinnig wegzuwerfen, was die
Ahnen ſo theuer erkauften. Das iſt die ſchoͤne Seite,
waͤhrend er ſonſt immer nur ſchildernd, intereſſirt
ſpricht, niemals auffordernd. Chateaubriand wollte kein
Apoſtel ſein oder eine Schule ſtiften, ſondern das Chri¬
ſtenthum ſollte eine Merkwuͤrdigkeit bleiben, welche un¬
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[72/0090] Chateaubriand. mittelalterliche Enthuſiasmus in Deutſchland; er ſpricht nirgends vom langen Haar, von der ſchiefen Stellung des Halſes und dem waͤſſerigen Etwas in dem Auge; er iſt ein Narr mit Grazie, umgaͤnglich und ohne Fa¬ natismus. Sein Chriſtenthum iſt mild, ohne Schre¬ cken; er predigt es ohne Feuer und Schwert; es iſt ein Anflug, der nur ihm geworden ſein ſoll und den ein Jeder haben kann, wenn er die Meſſe oder das de profundis hoͤrt. Chateaubriand kennt nur die Vergangenheit des Chriſtenthums; er philoſophirt nicht uͤber die Zukunft dieſes Glaubens. Indem er uns auf die Leiden der Kirche hinweiſt, gewinnt er unſere Theilnahme fuͤr die Dulderin; er beſchwoͤrt uns bei den ungeheuern Blut¬ ſtroͤmen, welche fuͤr das Leben Jeſu und die Apoſtel¬ geſchichte gefloſſen ſind, wenigſtens um die Kirche zu weinen, und nicht leichtſinnig wegzuwerfen, was die Ahnen ſo theuer erkauften. Das iſt die ſchoͤne Seite, waͤhrend er ſonſt immer nur ſchildernd, intereſſirt ſpricht, niemals auffordernd. Chateaubriand wollte kein Apoſtel ſein oder eine Schule ſtiften, ſondern das Chri¬ ſtenthum ſollte eine Merkwuͤrdigkeit bleiben, welche un¬ ter Hunderten zufaͤllig ihn kenntlich machte. Man

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/90>, abgerufen am 21.11.2024.