Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Das Alles kam stückweise heraus und die gemarterte, wie mit einem Hammer vor den Kopf geschlagene Frau hörte da von hinter ihr Lebendem und Sichereignendem, und fing an, allmälig Alles aus eignen, ihr ehemals harmlos gebliebenen Erinnerungen, die wieder in ihr aufstiegen, zu ergänzen. Merkus erzählte von dem eigenthümlichen Verkehr des Vaters und der Tochter, von den Casino-Abenden. Die Vermählung mit dem Bruder Marthas, den diese doch oft verwünscht hatte, ließ die Gräfin trotz ihrer Jahre aufspringen von dem Sessel wie ein Reh. Sie hörte nicht mehr, was Merkus sprach. Mir ist nicht wohl! deutete sie auf ihr greises Haupt und winkte dem Pfarrer, er sollte gehen. Ihr graute vor der Nacht, in der man sie so hatte hingehen lassen.

Der Mann Gottes empfahl sich.

Als die Gräfin allein war, hätte sie vor Schmerz den grauen Rest ihrer Haare, ja die Tapeten von den Wänden reißen mögen. Denn die verletzte Frauenwürde, das getäuschte Vertrauen, die Jahre lang mit den Casino-Abenden durchgeführte Täuschung - von einem Manne, dem sie ihre Familie geopfert hatte, sah sie ohne alles Billigkeits- oder Gerechtigkeitsgefühl vor sich. Aus einem Zimmer lief sie in's andre, warf sich von einem Sopha auf's andre. Sie suchte Luft, beunruhigte ihre Kammermädchen, die sie rief und wieder von sich wies, weil sie

Das Alles kam stückweise heraus und die gemarterte, wie mit einem Hammer vor den Kopf geschlagene Frau hörte da von hinter ihr Lebendem und Sichereignendem, und fing an, allmälig Alles aus eignen, ihr ehemals harmlos gebliebenen Erinnerungen, die wieder in ihr aufstiegen, zu ergänzen. Merkus erzählte von dem eigenthümlichen Verkehr des Vaters und der Tochter, von den Casino-Abenden. Die Vermählung mit dem Bruder Marthas, den diese doch oft verwünscht hatte, ließ die Gräfin trotz ihrer Jahre aufspringen von dem Sessel wie ein Reh. Sie hörte nicht mehr, was Merkus sprach. Mir ist nicht wohl! deutete sie auf ihr greises Haupt und winkte dem Pfarrer, er sollte gehen. Ihr graute vor der Nacht, in der man sie so hatte hingehen lassen.

Der Mann Gottes empfahl sich.

Als die Gräfin allein war, hätte sie vor Schmerz den grauen Rest ihrer Haare, ja die Tapeten von den Wänden reißen mögen. Denn die verletzte Frauenwürde, das getäuschte Vertrauen, die Jahre lang mit den Casino-Abenden durchgeführte Täuschung – von einem Manne, dem sie ihre Familie geopfert hatte, sah sie ohne alles Billigkeits- oder Gerechtigkeitsgefühl vor sich. Aus einem Zimmer lief sie in’s andre, warf sich von einem Sopha auf’s andre. Sie suchte Luft, beunruhigte ihre Kammermädchen, die sie rief und wieder von sich wies, weil sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0108" n="102"/>
        <p> Das Alles kam stückweise heraus und die gemarterte, wie mit einem Hammer vor den Kopf geschlagene Frau hörte da von hinter ihr Lebendem und Sichereignendem, und fing an, allmälig Alles aus eignen, ihr ehemals harmlos gebliebenen Erinnerungen, die wieder in ihr aufstiegen, zu ergänzen. Merkus erzählte von dem eigenthümlichen Verkehr des Vaters und der Tochter, von den Casino-Abenden. Die Vermählung mit dem Bruder Marthas, den diese doch oft verwünscht hatte, ließ die Gräfin trotz ihrer Jahre aufspringen von dem Sessel wie ein Reh. Sie hörte nicht mehr, was Merkus sprach. Mir ist nicht wohl! deutete sie auf ihr greises Haupt und winkte dem Pfarrer, er sollte gehen. Ihr graute vor der Nacht, in der man sie so hatte hingehen lassen.</p>
        <p>Der Mann Gottes empfahl sich.</p>
        <p>Als die Gräfin allein war, hätte sie vor Schmerz den grauen Rest ihrer Haare, ja die Tapeten von den Wänden reißen mögen. Denn die verletzte Frauenwürde, das getäuschte Vertrauen, die Jahre lang mit den Casino-Abenden durchgeführte Täuschung &#x2013; von einem Manne, dem sie ihre Familie geopfert hatte, sah sie ohne alles Billigkeits- oder Gerechtigkeitsgefühl vor sich. Aus einem Zimmer lief sie in&#x2019;s andre, warf sich von einem Sopha auf&#x2019;s andre. Sie suchte Luft, beunruhigte ihre Kammermädchen, die sie rief und wieder von sich wies, weil sie
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0108] Das Alles kam stückweise heraus und die gemarterte, wie mit einem Hammer vor den Kopf geschlagene Frau hörte da von hinter ihr Lebendem und Sichereignendem, und fing an, allmälig Alles aus eignen, ihr ehemals harmlos gebliebenen Erinnerungen, die wieder in ihr aufstiegen, zu ergänzen. Merkus erzählte von dem eigenthümlichen Verkehr des Vaters und der Tochter, von den Casino-Abenden. Die Vermählung mit dem Bruder Marthas, den diese doch oft verwünscht hatte, ließ die Gräfin trotz ihrer Jahre aufspringen von dem Sessel wie ein Reh. Sie hörte nicht mehr, was Merkus sprach. Mir ist nicht wohl! deutete sie auf ihr greises Haupt und winkte dem Pfarrer, er sollte gehen. Ihr graute vor der Nacht, in der man sie so hatte hingehen lassen. Der Mann Gottes empfahl sich. Als die Gräfin allein war, hätte sie vor Schmerz den grauen Rest ihrer Haare, ja die Tapeten von den Wänden reißen mögen. Denn die verletzte Frauenwürde, das getäuschte Vertrauen, die Jahre lang mit den Casino-Abenden durchgeführte Täuschung – von einem Manne, dem sie ihre Familie geopfert hatte, sah sie ohne alles Billigkeits- oder Gerechtigkeitsgefühl vor sich. Aus einem Zimmer lief sie in’s andre, warf sich von einem Sopha auf’s andre. Sie suchte Luft, beunruhigte ihre Kammermädchen, die sie rief und wieder von sich wies, weil sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-02-19T11:57:26Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-02-19T11:57:26Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-3<a>) (2014-02-19T11:57:26Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/108
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/108>, abgerufen am 21.11.2024.