Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.von keinem körperlichen Unwohlbefinden etwas wissen wollte. Sie wankte in die ehemaligen Zimmer ihres Wilhelm. Sie sah sich des Grafen Bilder an, die Graf Udo, der jüngst hier gewohnt hatte, alle im alten Stande gelassen hatte. Erst wollte sie die stummen Zeugen ihres alten Vertrauens zertrümmern, Alles umstürzen. Sie fürchtete das Aufsehen, die Beobachtung; zuletzt half ihr, da sie's zu frösteln anfing und der Herbst da war, zwar mit schöner erwärmender Mittagssonne, aber auch mit voller Morgen- und Abendkühle, das sanfte, weiche Bett, wo sich die alte Dame unter Kissen verbarg und ihre Erbitterung, zuletzt ihr Weinen still für sich ausströmen ließ. Die Bibel und Thomas a Kempis lagen immer auf ihrem Nachttisch. Aber der Ausdruck der Entrüstung hielt an. Sie sah Alles vor sich, erkannte die schöne, junge Frau, die Feldmesserin Marloff, die tägliche Besucherin des Schlosses und Parks; sie hatte den plötzlichen Tod der Kindbetterin damals so theilnahmsvoll miterlebt, Blumen auf ihren Sarg streuen lassen, dem Kinde alle Sorgfalt gewidmet, bis der Feldmesser in andere Gegenden zog und sie selbst in die Stadt. Und dies Kind - es war von Ihm - und es lebt! Es erhielt die große Summe und lebt an einem schwindelnden Abgrunde! O Gott - o Gott! sprach sie. Udo, Ada von keinem körperlichen Unwohlbefinden etwas wissen wollte. Sie wankte in die ehemaligen Zimmer ihres Wilhelm. Sie sah sich des Grafen Bilder an, die Graf Udo, der jüngst hier gewohnt hatte, alle im alten Stande gelassen hatte. Erst wollte sie die stummen Zeugen ihres alten Vertrauens zertrümmern, Alles umstürzen. Sie fürchtete das Aufsehen, die Beobachtung; zuletzt half ihr, da sie’s zu frösteln anfing und der Herbst da war, zwar mit schöner erwärmender Mittagssonne, aber auch mit voller Morgen- und Abendkühle, das sanfte, weiche Bett, wo sich die alte Dame unter Kissen verbarg und ihre Erbitterung, zuletzt ihr Weinen still für sich ausströmen ließ. Die Bibel und Thomas a Kempis lagen immer auf ihrem Nachttisch. Aber der Ausdruck der Entrüstung hielt an. Sie sah Alles vor sich, erkannte die schöne, junge Frau, die Feldmesserin Marloff, die tägliche Besucherin des Schlosses und Parks; sie hatte den plötzlichen Tod der Kindbetterin damals so theilnahmsvoll miterlebt, Blumen auf ihren Sarg streuen lassen, dem Kinde alle Sorgfalt gewidmet, bis der Feldmesser in andere Gegenden zog und sie selbst in die Stadt. Und dies Kind – es war von Ihm – und es lebt! Es erhielt die große Summe und lebt an einem schwindelnden Abgrunde! O Gott – o Gott! sprach sie. Udo, Ada <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0109" n="103"/> von keinem körperlichen Unwohlbefinden etwas wissen wollte. Sie wankte in die ehemaligen Zimmer ihres Wilhelm. Sie sah sich des Grafen Bilder an, die Graf Udo, der jüngst hier gewohnt hatte, alle im alten Stande gelassen hatte. Erst wollte sie die stummen Zeugen ihres alten Vertrauens zertrümmern, Alles umstürzen. Sie fürchtete das Aufsehen, die Beobachtung; zuletzt half ihr, da sie’s zu frösteln anfing und der Herbst da war, zwar mit schöner erwärmender Mittagssonne, aber auch mit voller Morgen- und Abendkühle, das sanfte, weiche Bett, wo sich die alte Dame unter Kissen verbarg und ihre Erbitterung, zuletzt ihr Weinen still für sich ausströmen ließ.</p> <p>Die Bibel und Thomas a Kempis lagen immer auf ihrem Nachttisch. Aber der Ausdruck der Entrüstung hielt an. Sie sah Alles vor sich, erkannte die schöne, junge Frau, die Feldmesserin Marloff, die tägliche Besucherin des Schlosses und Parks; sie hatte den plötzlichen Tod der Kindbetterin damals so theilnahmsvoll miterlebt, Blumen auf ihren Sarg streuen lassen, dem Kinde alle Sorgfalt gewidmet, bis der Feldmesser in andere Gegenden zog und sie selbst in die Stadt. Und dies Kind – es war von Ihm – und es lebt! Es erhielt die große Summe und lebt an einem schwindelnden Abgrunde! O Gott – o Gott! sprach sie. Udo, Ada </p> </div> </body> </text> </TEI> [103/0109]
von keinem körperlichen Unwohlbefinden etwas wissen wollte. Sie wankte in die ehemaligen Zimmer ihres Wilhelm. Sie sah sich des Grafen Bilder an, die Graf Udo, der jüngst hier gewohnt hatte, alle im alten Stande gelassen hatte. Erst wollte sie die stummen Zeugen ihres alten Vertrauens zertrümmern, Alles umstürzen. Sie fürchtete das Aufsehen, die Beobachtung; zuletzt half ihr, da sie’s zu frösteln anfing und der Herbst da war, zwar mit schöner erwärmender Mittagssonne, aber auch mit voller Morgen- und Abendkühle, das sanfte, weiche Bett, wo sich die alte Dame unter Kissen verbarg und ihre Erbitterung, zuletzt ihr Weinen still für sich ausströmen ließ.
Die Bibel und Thomas a Kempis lagen immer auf ihrem Nachttisch. Aber der Ausdruck der Entrüstung hielt an. Sie sah Alles vor sich, erkannte die schöne, junge Frau, die Feldmesserin Marloff, die tägliche Besucherin des Schlosses und Parks; sie hatte den plötzlichen Tod der Kindbetterin damals so theilnahmsvoll miterlebt, Blumen auf ihren Sarg streuen lassen, dem Kinde alle Sorgfalt gewidmet, bis der Feldmesser in andere Gegenden zog und sie selbst in die Stadt. Und dies Kind – es war von Ihm – und es lebt! Es erhielt die große Summe und lebt an einem schwindelnden Abgrunde! O Gott – o Gott! sprach sie. Udo, Ada
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/109 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/109>, abgerufen am 16.02.2025. |