Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.wissen schon Alles! Das ist gewiß die Schuld, die sie trennt! Ihre Ehre ist verletzt! Ja gewiß, gewiß, auch die meinige! Wie dankte die in ihrem Denken ganz verirrte Matrone dem Zufall, daß sie jetzt allein auf Hochlinden war, Niemand die tiefe Demüthigung sah, die sie empfinden zu müssen glaubte, die wechselnden Ausbrüche ihrer Stimmungen, die Langsamkeit ihrer allmäligen Sammlung. Denn Sammeln mußte sie sich doch! Eine gewisse Haltung vor der Außenwelt bewahren! Das stand bei ihr fest: Keine Unterhandlung mit dem Thatbestande! Ihr Stolz sagte ihr: Du zeigst Dich von Nichts berührt! Du verstehst Nichts, wenn man in Andeutungen davon spricht! Vergeben kannst Du dem argen Manne nicht! Ich habe um ihn wie eine Löwin gekämpft! Und er betrog mich um die stillen Abende, die ich ihm im Kreise der Geselligkeit gönnte! Ein Fieberfrost durchschüttelte sie, gedachte sie ihrer jahrelangen abendlichen Einsamkeit. Ich war ihm langweilig! Das sagte sie und nicht etwa um deshalb beschämt. Um Mitternacht schlug sie die Bibel auf. Zufällig den Corintherbrief. Sie kannte die Stelle, die sie suchte: "Die Liebe begehrt nicht das Ihrige!" Ja, sagte sie seufzend, wer es so weit gebracht hätte! Dann fuhr sie zu lesen fort: "Sie läßt sich nicht erbittern!" "Sie wissen schon Alles! Das ist gewiß die Schuld, die sie trennt! Ihre Ehre ist verletzt! Ja gewiß, gewiß, auch die meinige! Wie dankte die in ihrem Denken ganz verirrte Matrone dem Zufall, daß sie jetzt allein auf Hochlinden war, Niemand die tiefe Demüthigung sah, die sie empfinden zu müssen glaubte, die wechselnden Ausbrüche ihrer Stimmungen, die Langsamkeit ihrer allmäligen Sammlung. Denn Sammeln mußte sie sich doch! Eine gewisse Haltung vor der Außenwelt bewahren! Das stand bei ihr fest: Keine Unterhandlung mit dem Thatbestande! Ihr Stolz sagte ihr: Du zeigst Dich von Nichts berührt! Du verstehst Nichts, wenn man in Andeutungen davon spricht! Vergeben kannst Du dem argen Manne nicht! Ich habe um ihn wie eine Löwin gekämpft! Und er betrog mich um die stillen Abende, die ich ihm im Kreise der Geselligkeit gönnte! Ein Fieberfrost durchschüttelte sie, gedachte sie ihrer jahrelangen abendlichen Einsamkeit. Ich war ihm langweilig! Das sagte sie und nicht etwa um deshalb beschämt. Um Mitternacht schlug sie die Bibel auf. Zufällig den Corintherbrief. Sie kannte die Stelle, die sie suchte: „Die Liebe begehrt nicht das Ihrige!“ Ja, sagte sie seufzend, wer es so weit gebracht hätte! Dann fuhr sie zu lesen fort: „Sie läßt sich nicht erbittern!“ „Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0110" n="104"/> wissen schon Alles! Das ist gewiß die Schuld, die sie trennt! Ihre Ehre ist verletzt! Ja gewiß, gewiß, auch die meinige!</p> <p>Wie dankte die in ihrem Denken ganz verirrte Matrone dem Zufall, daß sie jetzt allein auf Hochlinden war, Niemand die tiefe Demüthigung sah, die sie empfinden zu müssen glaubte, die wechselnden Ausbrüche ihrer Stimmungen, die Langsamkeit ihrer allmäligen Sammlung. Denn Sammeln mußte sie sich doch! Eine gewisse Haltung vor der Außenwelt bewahren! Das stand bei ihr fest: Keine Unterhandlung mit dem Thatbestande! Ihr Stolz sagte ihr: Du zeigst Dich von Nichts berührt! Du verstehst Nichts, wenn man in Andeutungen davon spricht! Vergeben kannst Du dem argen Manne nicht! Ich habe um ihn wie eine Löwin gekämpft! Und er betrog mich um die stillen Abende, die ich ihm im Kreise der Geselligkeit gönnte! Ein Fieberfrost durchschüttelte sie, gedachte sie ihrer jahrelangen abendlichen Einsamkeit. Ich war ihm langweilig! Das sagte sie und nicht etwa um deshalb beschämt.</p> <p>Um Mitternacht schlug sie die Bibel auf. Zufällig den Corintherbrief. Sie kannte die Stelle, die sie suchte: „Die Liebe begehrt nicht das Ihrige!“ Ja, sagte sie seufzend, wer es so weit gebracht hätte! Dann fuhr sie zu lesen fort: „Sie läßt sich nicht erbittern!“ „Sie </p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0110]
wissen schon Alles! Das ist gewiß die Schuld, die sie trennt! Ihre Ehre ist verletzt! Ja gewiß, gewiß, auch die meinige!
Wie dankte die in ihrem Denken ganz verirrte Matrone dem Zufall, daß sie jetzt allein auf Hochlinden war, Niemand die tiefe Demüthigung sah, die sie empfinden zu müssen glaubte, die wechselnden Ausbrüche ihrer Stimmungen, die Langsamkeit ihrer allmäligen Sammlung. Denn Sammeln mußte sie sich doch! Eine gewisse Haltung vor der Außenwelt bewahren! Das stand bei ihr fest: Keine Unterhandlung mit dem Thatbestande! Ihr Stolz sagte ihr: Du zeigst Dich von Nichts berührt! Du verstehst Nichts, wenn man in Andeutungen davon spricht! Vergeben kannst Du dem argen Manne nicht! Ich habe um ihn wie eine Löwin gekämpft! Und er betrog mich um die stillen Abende, die ich ihm im Kreise der Geselligkeit gönnte! Ein Fieberfrost durchschüttelte sie, gedachte sie ihrer jahrelangen abendlichen Einsamkeit. Ich war ihm langweilig! Das sagte sie und nicht etwa um deshalb beschämt.
Um Mitternacht schlug sie die Bibel auf. Zufällig den Corintherbrief. Sie kannte die Stelle, die sie suchte: „Die Liebe begehrt nicht das Ihrige!“ Ja, sagte sie seufzend, wer es so weit gebracht hätte! Dann fuhr sie zu lesen fort: „Sie läßt sich nicht erbittern!“ „Sie
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