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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

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von denen des Kursaals an bis zu dem Zweitritt
der Kirchweih. Das erfreute die Herzen die¬
ser Menschen. Die Nachbarn sammelten sich:
sie lauschten, sie klopften an die Gartenthür,
sie kamen herein und tanzten auf dem grünen
Rasen. Der Schwiegervater hatte den gan¬
zen Abend die Nachtkappe zu lüften, und war
unbeschreiblich geehrt. Und wenn der Trom¬
peter mit seinen lustigen Stücken Feierabend
machte und sie alle aus dem Gärtchen mußten,
um in der Finsterniß die Beete nicht zu ver¬
derben, dann blieb er mit der Tochter noch al¬
lein und blies ihr Arien der Schwärmerei vor,
"Schöne Minka;" "Mich fliehen alle Freuden,"
mit sterbenden, gedämpften und wie durch Zug¬
wind gehauchten Tönen, bis Alles still wurde. Der
Tambour hörte diese Scenen täglich und ver¬
ging vor Wehmuth. Er war eine sanfte, ächt
deutsche Heimwehnatur, voller Empfindung und
Ehrgefühl. Jede Nacht badete er sich in Thrä¬

von denen des Kurſaals an bis zu dem Zweitritt
der Kirchweih. Das erfreute die Herzen die¬
ſer Menſchen. Die Nachbarn ſammelten ſich:
ſie lauſchten, ſie klopften an die Gartenthür,
ſie kamen herein und tanzten auf dem grünen
Raſen. Der Schwiegervater hatte den gan¬
zen Abend die Nachtkappe zu lüften, und war
unbeſchreiblich geehrt. Und wenn der Trom¬
peter mit ſeinen luſtigen Stücken Feierabend
machte und ſie alle aus dem Gärtchen mußten,
um in der Finſterniß die Beete nicht zu ver¬
derben, dann blieb er mit der Tochter noch al¬
lein und blies ihr Arien der Schwärmerei vor,
„Schöne Minka;“ „Mich fliehen alle Freuden,“
mit ſterbenden, gedämpften und wie durch Zug¬
wind gehauchten Tönen, bis Alles ſtill wurde. Der
Tambour hörte dieſe Scenen täglich und ver¬
ging vor Wehmuth. Er war eine ſanfte, ächt
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[62/0071] von denen des Kurſaals an bis zu dem Zweitritt der Kirchweih. Das erfreute die Herzen die¬ ſer Menſchen. Die Nachbarn ſammelten ſich: ſie lauſchten, ſie klopften an die Gartenthür, ſie kamen herein und tanzten auf dem grünen Raſen. Der Schwiegervater hatte den gan¬ zen Abend die Nachtkappe zu lüften, und war unbeſchreiblich geehrt. Und wenn der Trom¬ peter mit ſeinen luſtigen Stücken Feierabend machte und ſie alle aus dem Gärtchen mußten, um in der Finſterniß die Beete nicht zu ver¬ derben, dann blieb er mit der Tochter noch al¬ lein und blies ihr Arien der Schwärmerei vor, „Schöne Minka;“ „Mich fliehen alle Freuden,“ mit ſterbenden, gedämpften und wie durch Zug¬ wind gehauchten Tönen, bis Alles ſtill wurde. Der Tambour hörte dieſe Scenen täglich und ver¬ ging vor Wehmuth. Er war eine ſanfte, ächt deutſche Heimwehnatur, voller Empfindung und Ehrgefühl. Jede Nacht badete er ſich in Thrä¬

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/71>, abgerufen am 21.11.2024.