Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Grundsätzen einer aufgeklärten Bibellehre anheimfallen, viele würden sich zum Pietismus bekennen und vielleicht auch solche Vereinigungen würden sich bilden, wo philosophische Ueberzeugungen mit ascetischer Wärme vorgetragen würden, und es möglich seyn könnte, zahllose Männer, die seit Jahr und Tag nicht mehr die Kirchen besuchen, für einen die Sitten und die Gefühle mildernden Cultus zu gewinnen. Man fürchte sich doch nicht so kindisch vor dem, was von Menschenhand ausgeht; man glaube doch nicht, daß im Neuen keine Kraft, im Gegenwärtigen keine Zukunft liegen könne. So gut in alten Zeiten die Formen für göttliche Ueberzeugungen menschlich, für heilige Gedanken weltlich waren, so würde sich auch noch heute die bildende, organisirende und dabei immer künstlerische Kraft der Menschen in trefflichen Gebilden offenbaren können, wenn ihr nur Raum gestattet würde, sich zu bewähren. Der Menschengeist ist voll unversiegbarer Triebkraft, und wenn es zwar richtig ist, an Bäumen die Ueberwucherung auch des untern Stammes, wo es mächtig herauskeimen will, zu beschneiden; so ist das Christenthum doch einer uralten Linde zu vergleichen, in welche der Blitz schon zahllos oft herniederfuhr, Aeste spaltete, und die Krone knickte. Der Stamm ist riesenstark, kaum von vier Menschenarmen umspannbar; aber oben fehlt schon die Proportion in den Aesten, und wir sehen aus dem alten Baume junge neue Keime hervordringen, um die Krone mit Grundsätzen einer aufgeklärten Bibellehre anheimfallen, viele würden sich zum Pietismus bekennen und vielleicht auch solche Vereinigungen würden sich bilden, wo philosophische Ueberzeugungen mit ascetischer Wärme vorgetragen würden, und es möglich seyn könnte, zahllose Männer, die seit Jahr und Tag nicht mehr die Kirchen besuchen, für einen die Sitten und die Gefühle mildernden Cultus zu gewinnen. Man fürchte sich doch nicht so kindisch vor dem, was von Menschenhand ausgeht; man glaube doch nicht, daß im Neuen keine Kraft, im Gegenwärtigen keine Zukunft liegen könne. So gut in alten Zeiten die Formen für göttliche Ueberzeugungen menschlich, für heilige Gedanken weltlich waren, so würde sich auch noch heute die bildende, organisirende und dabei immer künstlerische Kraft der Menschen in trefflichen Gebilden offenbaren können, wenn ihr nur Raum gestattet würde, sich zu bewähren. Der Menschengeist ist voll unversiegbarer Triebkraft, und wenn es zwar richtig ist, an Bäumen die Ueberwucherung auch des untern Stammes, wo es mächtig herauskeimen will, zu beschneiden; so ist das Christenthum doch einer uralten Linde zu vergleichen, in welche der Blitz schon zahllos oft herniederfuhr, Aeste spaltete, und die Krone knickte. Der Stamm ist riesenstark, kaum von vier Menschenarmen umspannbar; aber oben fehlt schon die Proportion in den Aesten, und wir sehen aus dem alten Baume junge neue Keime hervordringen, um die Krone mit <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0193" n="191"/> Grundsätzen einer aufgeklärten Bibellehre anheimfallen, viele würden sich zum Pietismus bekennen und vielleicht auch solche Vereinigungen würden sich bilden, wo philosophische Ueberzeugungen mit ascetischer Wärme vorgetragen würden, und es möglich seyn könnte, zahllose Männer, die seit Jahr und Tag nicht mehr die Kirchen besuchen, für einen die Sitten und die Gefühle mildernden Cultus zu gewinnen. Man fürchte sich doch nicht so kindisch vor dem, was von Menschenhand ausgeht; man glaube doch nicht, daß im Neuen keine Kraft, im Gegenwärtigen keine Zukunft liegen könne. So gut in alten Zeiten die Formen für göttliche Ueberzeugungen menschlich, für heilige Gedanken weltlich waren, so würde sich auch noch heute die bildende, organisirende und dabei immer künstlerische Kraft der Menschen in trefflichen Gebilden offenbaren können, wenn ihr nur Raum gestattet würde, sich zu bewähren. Der Menschengeist ist voll unversiegbarer Triebkraft, und wenn es zwar richtig ist, an Bäumen die Ueberwucherung auch des untern Stammes, wo es mächtig herauskeimen will, zu beschneiden; so ist das Christenthum doch einer uralten Linde zu vergleichen, in welche der Blitz schon zahllos oft herniederfuhr, Aeste spaltete, und die Krone knickte. Der Stamm ist riesenstark, kaum von vier Menschenarmen umspannbar; aber oben fehlt schon die Proportion in den Aesten, und wir sehen aus dem alten Baume junge neue Keime hervordringen, um die Krone mit </p> </div> </body> </text> </TEI> [191/0193]
Grundsätzen einer aufgeklärten Bibellehre anheimfallen, viele würden sich zum Pietismus bekennen und vielleicht auch solche Vereinigungen würden sich bilden, wo philosophische Ueberzeugungen mit ascetischer Wärme vorgetragen würden, und es möglich seyn könnte, zahllose Männer, die seit Jahr und Tag nicht mehr die Kirchen besuchen, für einen die Sitten und die Gefühle mildernden Cultus zu gewinnen. Man fürchte sich doch nicht so kindisch vor dem, was von Menschenhand ausgeht; man glaube doch nicht, daß im Neuen keine Kraft, im Gegenwärtigen keine Zukunft liegen könne. So gut in alten Zeiten die Formen für göttliche Ueberzeugungen menschlich, für heilige Gedanken weltlich waren, so würde sich auch noch heute die bildende, organisirende und dabei immer künstlerische Kraft der Menschen in trefflichen Gebilden offenbaren können, wenn ihr nur Raum gestattet würde, sich zu bewähren. Der Menschengeist ist voll unversiegbarer Triebkraft, und wenn es zwar richtig ist, an Bäumen die Ueberwucherung auch des untern Stammes, wo es mächtig herauskeimen will, zu beschneiden; so ist das Christenthum doch einer uralten Linde zu vergleichen, in welche der Blitz schon zahllos oft herniederfuhr, Aeste spaltete, und die Krone knickte. Der Stamm ist riesenstark, kaum von vier Menschenarmen umspannbar; aber oben fehlt schon die Proportion in den Aesten, und wir sehen aus dem alten Baume junge neue Keime hervordringen, um die Krone mit
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