Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.der Zeit wieder abzurunden, und das Verhältniß des Ober- und des Unterbaus herzustellen. Man vergesse auch nicht, daß in dem Grade, als wir vielleicht an ureigner und origineller Schöpfungskraft und organisirender Fähigkeit verloren haben, wir auch in der Verehrung vor dem Alter kühler wurden und eine Eigenschaft erhielten, die die Alten nicht hatten, die kritische Vergleichung und den mißtrauisch-zweifelnden Verstand. Gerade, wenn man Ursache hat (und wer hätt' es nicht!), den einreißenden Jndifferentismus, die Negationssucht und den reflektiven Verstand zu beklagen; so sollte man am wenigsten annehmen, daß in der Wiederherstellung des Alten ein Hilfsmittel gegen dies Uebel läge, in einer künstlichen und affektirten Leidenschaft für das Bestrittene oder wohl gar in dem Zwange, sich dem Alten fügen zu müssen, weil man es zum Gesetz erhebt; sondern man lasse doch nur die Menschen recht wacker und frei in die Welt hinaus schaffen und erfinden, man räume allen Schutt weg, wo sie etwas constituiren wollen, man entfessele diesen Hang zur Neuerung, der ein Ziel nach Positivem zu haben scheint und sich negativ nur deßhalb äußert, weil es an der Freiheit, seinem Drange nachzugeben, überall gebricht. So würden wir, wenn nicht bloß die Wissenschaft und die Ueberzeugung in der Religion, sondern auch das Kirchenwesen freigegeben würde, zwar mancherlei seltsame Gestaltungen erleben, die das Alte verbessern oder gar ersetzen sollen, der Zeit wieder abzurunden, und das Verhältniß des Ober- und des Unterbaus herzustellen. Man vergesse auch nicht, daß in dem Grade, als wir vielleicht an ureigner und origineller Schöpfungskraft und organisirender Fähigkeit verloren haben, wir auch in der Verehrung vor dem Alter kühler wurden und eine Eigenschaft erhielten, die die Alten nicht hatten, die kritische Vergleichung und den mißtrauisch-zweifelnden Verstand. Gerade, wenn man Ursache hat (und wer hätt’ es nicht!), den einreißenden Jndifferentismus, die Negationssucht und den reflektiven Verstand zu beklagen; so sollte man am wenigsten annehmen, daß in der Wiederherstellung des Alten ein Hilfsmittel gegen dies Uebel läge, in einer künstlichen und affektirten Leidenschaft für das Bestrittene oder wohl gar in dem Zwange, sich dem Alten fügen zu müssen, weil man es zum Gesetz erhebt; sondern man lasse doch nur die Menschen recht wacker und frei in die Welt hinaus schaffen und erfinden, man räume allen Schutt weg, wo sie etwas constituiren wollen, man entfessele diesen Hang zur Neuerung, der ein Ziel nach Positivem zu haben scheint und sich negativ nur deßhalb äußert, weil es an der Freiheit, seinem Drange nachzugeben, überall gebricht. So würden wir, wenn nicht bloß die Wissenschaft und die Ueberzeugung in der Religion, sondern auch das Kirchenwesen freigegeben würde, zwar mancherlei seltsame Gestaltungen erleben, die das Alte verbessern oder gar ersetzen sollen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0194" n="192"/> der Zeit wieder abzurunden, und das Verhältniß des Ober- und des Unterbaus herzustellen. Man vergesse auch nicht, daß in dem Grade, als wir vielleicht an ureigner und origineller Schöpfungskraft und organisirender Fähigkeit verloren haben, wir auch in der Verehrung vor dem Alter kühler wurden und eine Eigenschaft erhielten, die die Alten nicht hatten, die kritische Vergleichung und den mißtrauisch-zweifelnden Verstand. Gerade, wenn man Ursache hat (und wer hätt’ es nicht!), den einreißenden Jndifferentismus, die Negationssucht und den reflektiven Verstand zu beklagen; so sollte man am wenigsten annehmen, daß in der Wiederherstellung des Alten ein Hilfsmittel gegen dies Uebel läge, in einer künstlichen und affektirten Leidenschaft für das Bestrittene oder wohl gar in dem Zwange, sich dem Alten fügen zu <hi rendition="#g">müssen</hi>, weil man es zum Gesetz erhebt; sondern man lasse doch nur die Menschen recht wacker und frei in die Welt hinaus schaffen und erfinden, man räume allen Schutt weg, wo sie etwas constituiren wollen, man entfessele diesen Hang zur Neuerung, der ein Ziel nach Positivem zu haben scheint und sich negativ nur deßhalb äußert, weil es an der Freiheit, seinem Drange nachzugeben, überall gebricht. So würden wir, wenn nicht bloß die Wissenschaft und die Ueberzeugung in der Religion, sondern auch das Kirchenwesen freigegeben würde, zwar mancherlei seltsame Gestaltungen erleben, die das Alte verbessern oder gar ersetzen sollen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [192/0194]
der Zeit wieder abzurunden, und das Verhältniß des Ober- und des Unterbaus herzustellen. Man vergesse auch nicht, daß in dem Grade, als wir vielleicht an ureigner und origineller Schöpfungskraft und organisirender Fähigkeit verloren haben, wir auch in der Verehrung vor dem Alter kühler wurden und eine Eigenschaft erhielten, die die Alten nicht hatten, die kritische Vergleichung und den mißtrauisch-zweifelnden Verstand. Gerade, wenn man Ursache hat (und wer hätt’ es nicht!), den einreißenden Jndifferentismus, die Negationssucht und den reflektiven Verstand zu beklagen; so sollte man am wenigsten annehmen, daß in der Wiederherstellung des Alten ein Hilfsmittel gegen dies Uebel läge, in einer künstlichen und affektirten Leidenschaft für das Bestrittene oder wohl gar in dem Zwange, sich dem Alten fügen zu müssen, weil man es zum Gesetz erhebt; sondern man lasse doch nur die Menschen recht wacker und frei in die Welt hinaus schaffen und erfinden, man räume allen Schutt weg, wo sie etwas constituiren wollen, man entfessele diesen Hang zur Neuerung, der ein Ziel nach Positivem zu haben scheint und sich negativ nur deßhalb äußert, weil es an der Freiheit, seinem Drange nachzugeben, überall gebricht. So würden wir, wenn nicht bloß die Wissenschaft und die Ueberzeugung in der Religion, sondern auch das Kirchenwesen freigegeben würde, zwar mancherlei seltsame Gestaltungen erleben, die das Alte verbessern oder gar ersetzen sollen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-09-13T12:39:16Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-09-13T12:39:16Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |