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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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uns die Religion in etwas Faßlicheres verwandeln, so würden wir sie nur mit der Poesie vertauschen können.

Von der Philosophie unterscheidet sich die Kunst dadurch, daß in ihr der Gedanke auch sogleich die Form, und die Form der Gedanke seyn muß. Jn der Kunst ist gerade dies das organische Leben, daß sie nichts denkt, als das Schöne, und so die Wahrheit in ihr immer sogleich auch die Schönheit an sich hat. Wie ein so geheimnißvoller Prozeß möglich ist, darüber können selbst die, welche den Genius dafür haben, schwerlich Auskunft geben. Auch erreicht hierin kein Künstler den Dichter. Denn dieser allein hat den leichtesten Apparat für seine Thätigkeit. Jeder Moment der Begeisterung ist sogleich gestaltet. Noch glühend kann man den Gedanken zur Schau stellen. Der Dichter beweist uns vollkommen, worin der Selbstzweck der Kunst liegt. Er liegt darin, daß bei der Kunst der Begriff der Schönheit auch sogleich die Form der Schönheit seyn muß. Jn der tiefsten künstlerischen Durchdringung beider Momente halten sich Form und Begriff das Gleichgewicht und neigen weder in allzugroße Förmlichkeit und Kunsteinseitigkeit, wie bei Göthe, noch in zu tiefe und bodenlose Spekulation, wie bei Shelley, hinüber. Der ächte Künstler weiß das Ebenmaß von Form und Begriff mit feinem Taktgefühle abzumessen. Er findet für jeden Gedanken die Form, die seinem Wesen

uns die Religion in etwas Faßlicheres verwandeln, so würden wir sie nur mit der Poesie vertauschen können.

Von der Philosophie unterscheidet sich die Kunst dadurch, daß in ihr der Gedanke auch sogleich die Form, und die Form der Gedanke seyn muß. Jn der Kunst ist gerade dies das organische Leben, daß sie nichts denkt, als das Schöne, und so die Wahrheit in ihr immer sogleich auch die Schönheit an sich hat. Wie ein so geheimnißvoller Prozeß möglich ist, darüber können selbst die, welche den Genius dafür haben, schwerlich Auskunft geben. Auch erreicht hierin kein Künstler den Dichter. Denn dieser allein hat den leichtesten Apparat für seine Thätigkeit. Jeder Moment der Begeisterung ist sogleich gestaltet. Noch glühend kann man den Gedanken zur Schau stellen. Der Dichter beweist uns vollkommen, worin der Selbstzweck der Kunst liegt. Er liegt darin, daß bei der Kunst der Begriff der Schönheit auch sogleich die Form der Schönheit seyn muß. Jn der tiefsten künstlerischen Durchdringung beider Momente halten sich Form und Begriff das Gleichgewicht und neigen weder in allzugroße Förmlichkeit und Kunsteinseitigkeit, wie bei Göthe, noch in zu tiefe und bodenlose Spekulation, wie bei Shelley, hinüber. Der ächte Künstler weiß das Ebenmaß von Form und Begriff mit feinem Taktgefühle abzumessen. Er findet für jeden Gedanken die Form, die seinem Wesen

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[239/0241] uns die Religion in etwas Faßlicheres verwandeln, so würden wir sie nur mit der Poesie vertauschen können. Von der Philosophie unterscheidet sich die Kunst dadurch, daß in ihr der Gedanke auch sogleich die Form, und die Form der Gedanke seyn muß. Jn der Kunst ist gerade dies das organische Leben, daß sie nichts denkt, als das Schöne, und so die Wahrheit in ihr immer sogleich auch die Schönheit an sich hat. Wie ein so geheimnißvoller Prozeß möglich ist, darüber können selbst die, welche den Genius dafür haben, schwerlich Auskunft geben. Auch erreicht hierin kein Künstler den Dichter. Denn dieser allein hat den leichtesten Apparat für seine Thätigkeit. Jeder Moment der Begeisterung ist sogleich gestaltet. Noch glühend kann man den Gedanken zur Schau stellen. Der Dichter beweist uns vollkommen, worin der Selbstzweck der Kunst liegt. Er liegt darin, daß bei der Kunst der Begriff der Schönheit auch sogleich die Form der Schönheit seyn muß. Jn der tiefsten künstlerischen Durchdringung beider Momente halten sich Form und Begriff das Gleichgewicht und neigen weder in allzugroße Förmlichkeit und Kunsteinseitigkeit, wie bei Göthe, noch in zu tiefe und bodenlose Spekulation, wie bei Shelley, hinüber. Der ächte Künstler weiß das Ebenmaß von Form und Begriff mit feinem Taktgefühle abzumessen. Er findet für jeden Gedanken die Form, die seinem Wesen

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/241>, abgerufen am 24.11.2024.