Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.entspringt; jeder Gedanke bringt im künstlerischen Genius sogleich die Form, welche für ihn paßt, mit zur Welt. Begeht ein Künstler Jrrthümer vor dem spekulativen Forum, so werden es doch ebensoviel poetische Wahrheiten seyn, wenn ihnen nur die subjektive Rechtfertigung, das Gemüth, nicht fehlt. Die objektive Rechtfertigung wäre die Schönheit; aber die Schönheit allein kann den irrthümlichen Jnhalt nicht entschuldigen, wenn gleich mildern. Wie viel muß also nicht zusammenkommen, um jene Harmonien zu schaffen, welche in den Werken eines Phidias, eines Sophokles, eines Dante und Göthe walten! Doch verlassen wir das Gebiet der Theorie und treten in jene Kunstverhältnisse ein, wie sie uns die Wirklichkeit darbietet. Wie entwickelt sich bei uns der künstlerische Genius, was bieten ihm die Umstände dar; wo fördern, wo verhindern sie ihn? Der Künstler wird jezt unter den ungünstigsten Verhältnissen geboren. Sein Talent muß sich erst durch seine Erziehung hindurch Bahn brechen, denn diese kömmt den Gelehrten wohl, aber Künstlern nicht entgegen. Jn alten Zeiten war, wenn nicht die Kunst, doch Manches, was mit ihr eng verschwistert ist, der erste Eindruck, den der sich Bildende mit größerer Lebhaftigkeit empfing. Die Religion war die Pforte, durch welche im Alterthum der Bildner und Dichter, im Mittelalter der Maler und Architekt in die Hallen der Kunst eintreten konnten. Jezt aber läuft die entspringt; jeder Gedanke bringt im künstlerischen Genius sogleich die Form, welche für ihn paßt, mit zur Welt. Begeht ein Künstler Jrrthümer vor dem spekulativen Forum, so werden es doch ebensoviel poetische Wahrheiten seyn, wenn ihnen nur die subjektive Rechtfertigung, das Gemüth, nicht fehlt. Die objektive Rechtfertigung wäre die Schönheit; aber die Schönheit allein kann den irrthümlichen Jnhalt nicht entschuldigen, wenn gleich mildern. Wie viel muß also nicht zusammenkommen, um jene Harmonien zu schaffen, welche in den Werken eines Phidias, eines Sophokles, eines Dante und Göthe walten! Doch verlassen wir das Gebiet der Theorie und treten in jene Kunstverhältnisse ein, wie sie uns die Wirklichkeit darbietet. Wie entwickelt sich bei uns der künstlerische Genius, was bieten ihm die Umstände dar; wo fördern, wo verhindern sie ihn? Der Künstler wird jezt unter den ungünstigsten Verhältnissen geboren. Sein Talent muß sich erst durch seine Erziehung hindurch Bahn brechen, denn diese kömmt den Gelehrten wohl, aber Künstlern nicht entgegen. Jn alten Zeiten war, wenn nicht die Kunst, doch Manches, was mit ihr eng verschwistert ist, der erste Eindruck, den der sich Bildende mit größerer Lebhaftigkeit empfing. Die Religion war die Pforte, durch welche im Alterthum der Bildner und Dichter, im Mittelalter der Maler und Architekt in die Hallen der Kunst eintreten konnten. Jezt aber läuft die <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0242" n="240"/> entspringt; jeder Gedanke bringt im künstlerischen Genius sogleich die Form, welche für ihn paßt, mit zur Welt. Begeht ein Künstler Jrrthümer vor dem spekulativen Forum, so werden es doch ebensoviel poetische Wahrheiten seyn, wenn ihnen nur die subjektive Rechtfertigung, das Gemüth, nicht fehlt. Die objektive Rechtfertigung wäre die Schönheit; aber die Schönheit allein kann den irrthümlichen Jnhalt nicht entschuldigen, wenn gleich mildern. Wie viel muß also nicht zusammenkommen, um jene Harmonien zu schaffen, welche in den Werken eines <hi rendition="#g">Phidias</hi>, eines <hi rendition="#g">Sophokles</hi>, eines <hi rendition="#g">Dante</hi> und <hi rendition="#g">Göthe</hi> walten!</p> <p>Doch verlassen wir das Gebiet der Theorie und treten in jene Kunstverhältnisse ein, wie sie uns die Wirklichkeit darbietet. Wie entwickelt sich bei uns der künstlerische Genius, was bieten ihm die Umstände dar; wo fördern, wo verhindern sie ihn? </p> <p>Der Künstler wird jezt unter den ungünstigsten Verhältnissen geboren. Sein Talent muß sich erst durch seine Erziehung hindurch Bahn brechen, denn diese kömmt den Gelehrten wohl, aber Künstlern nicht entgegen. Jn alten Zeiten war, wenn nicht die Kunst, doch Manches, was mit ihr eng verschwistert ist, der erste Eindruck, den der sich Bildende mit größerer Lebhaftigkeit empfing. Die Religion war die Pforte, durch welche im Alterthum der Bildner und Dichter, im Mittelalter der Maler und Architekt in die Hallen der Kunst eintreten konnten. Jezt aber läuft die </p> </div> </body> </text> </TEI> [240/0242]
entspringt; jeder Gedanke bringt im künstlerischen Genius sogleich die Form, welche für ihn paßt, mit zur Welt. Begeht ein Künstler Jrrthümer vor dem spekulativen Forum, so werden es doch ebensoviel poetische Wahrheiten seyn, wenn ihnen nur die subjektive Rechtfertigung, das Gemüth, nicht fehlt. Die objektive Rechtfertigung wäre die Schönheit; aber die Schönheit allein kann den irrthümlichen Jnhalt nicht entschuldigen, wenn gleich mildern. Wie viel muß also nicht zusammenkommen, um jene Harmonien zu schaffen, welche in den Werken eines Phidias, eines Sophokles, eines Dante und Göthe walten!
Doch verlassen wir das Gebiet der Theorie und treten in jene Kunstverhältnisse ein, wie sie uns die Wirklichkeit darbietet. Wie entwickelt sich bei uns der künstlerische Genius, was bieten ihm die Umstände dar; wo fördern, wo verhindern sie ihn?
Der Künstler wird jezt unter den ungünstigsten Verhältnissen geboren. Sein Talent muß sich erst durch seine Erziehung hindurch Bahn brechen, denn diese kömmt den Gelehrten wohl, aber Künstlern nicht entgegen. Jn alten Zeiten war, wenn nicht die Kunst, doch Manches, was mit ihr eng verschwistert ist, der erste Eindruck, den der sich Bildende mit größerer Lebhaftigkeit empfing. Die Religion war die Pforte, durch welche im Alterthum der Bildner und Dichter, im Mittelalter der Maler und Architekt in die Hallen der Kunst eintreten konnten. Jezt aber läuft die
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/242>, abgerufen am 17.07.2024. |